Gesetzesänderung in Berlin - Taser und Bodycams: Experten kritisieren Pläne für breiteren Einsatz

Mo 13.11.23 | 14:01 Uhr
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Archivbild: Ein Polizist trägt eine Bodycam auf seiner Uniform bei einem Pressetermin zur Ausweitung des Einsatzes von Bodycams bei Berliner Polizei. (Quelle: dpa/M. Skolimowska)
Video: rbb24 Abendschau | 13.11.2023 | Material: Dorit Knieling | Bild: dpa/M. Skolimowska

Taser könnten potenziell tödlich sein und als "ungefährlicher Ersatz für Schusswaffen" verharmlost werden: Experten haben im Innenausschuss erhebliche Vorbehalte gegenüber den Plänen der schwarz-roten Berliner Koalition geäußert.

Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses haben am Montag mehrere Experten massive Zweifel an den Plänen der schwarz-roten Koalition angemeldet und sich gegen die geplanten Gesetzesänderungen ausgesprochen. Mit der Novelle soll der Einsatz von Elektroschockern und Bodycams durch die Polizei geregelt sowie der Präventivgewahrsam - Polizeigewahrsam zur Verhütung von Straftaten - ausgeweitet werden.

Thomas Feltes, emeritierter Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, warnte davor, den Einsatz von Elektro-Schockern auszuweiten. "Der Taser kann töten", sagte Veltes. Es sei gefährlich, den Elektroschocker als "ungefährlichen Ersatz für die Schusswaffe" zu verharmlosen. Gerade bei Einsätzen mit psychisch kranken Menschen sei der Einsatz von Elektroschockern "total kontraproduktiv", so der Jurist. Er verwies darauf, dass es bei Einsätzen mit Tasern sieben Todesfälle gegeben habe.

Forderung nach präzisen Regeln

"Weitreichende Risiken und Nebenwirkungen" befürchtet auch Hartmut Aden, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, wenn die schwarz-rote Koalition das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) wie angestrebt ändere.

Aden nannte den Einsatz von Tasern zwar "grundsätzlich sinnvoll". Es brauche aber sehr präzise Regeln für den Gebrauch. Aden verwies auch auf die praktische Dimension. In der Dynamik eines Einsatzes sei es für die Beamten oft schwer zu erkennen, wann sie tasern dürfen und wann nicht. Skeptisch zeigte sich der Jurist bezüglich der gesetzlichen Verlängerung des Präventivgewahrsams. Derzeit ist das für 48 Stunden möglich.

Die Koalition will erreichen, dass dieses Instrument bis zu fünf Tage angewendet werden kann. Aden verwies auf "weitreichende soziale, auch berufliche Folgen" eines solchen Freiheitsentzugs. Auch Kriminologe Feltes bewertete die Verlängerung des Präventivgewahrsams kritisch und einseitig von aktuellen Debatten getrieben. "Für mich ist das ein Gesetz, das auf Klimakleber abzielt."

Problem: keine "verfassungsrechtliche Absicherung"

Fundamentale Bedenken äußerte in der Anhörung auch die Datenschutzbeauftragte des Landes, Meike Kamp. Sie machte mehrfach deutlich, dass die Ausweitung des Einsatzes von Bodycams für Beamte nach ihrer Auffassung gegen das Grundgesetz verstoße. So soll künftig das sogenannte Pre-Recording ausgeweitet werden. Damit könnten bis zu 60 Sekunden Videomaterial gespeichert werden, noch bevor die Bodycam ausgelöst wird. Das sei nicht verfassungsgemäß und deshalb habe sogar Bayern mit seinen weitreichenden Polizeigesetzen darauf verzichtet.

Kamp bemängelt zudem, dass es an der "verfassungsrechtlichen Absicherung" fehle, wenn Bodycam-Aufnahmen für die Ermittlung von Straftaten verwendet würden. Dafür brauche es eine richterliche Anordnung. Aktuell werden Bodycams zur sogenannten Eigen- und Drittsicherung verwendet, das heißt, Einsätze zu dokumentieren, etwa bei Übergriffen von oder Übergriffen gegen Einsatzkräfte.

In der Novelle geht es um die Frage, ob von diesem Material auch etwas für die Beweissicherung abfallen kann oder ob das nicht der richterlichen Zustimmung bedarf, zum Beispiel, wenn in Wohnungen gefilmt würde: Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist grundgesetzlich geschützt. Das ASOG regelt diesen Fall nicht.

Ehemaliger Polizeibeamter begrüßt Ausweitung

Einzig der ehemalige Polizei-Justitiar und Rechtsanwalt Oliver Tölle lobte die Gesetzesnovelle der schwarz-roten Koalition. Sie sei dem "Grunde nach richtig, aber nicht zureichend, aber ein ganz beachtlicher Schritt".

Der Einsatz von Bodycams und sogenannten Dashcams an Dienstfahrzeugen sei richtig. Nach seiner Einschätzung reiche auch der bisherige Präventivgewahrsam nicht aus. Tölle sprach mit Blick auf das Demonstrationsgeschehen in Berlin von "andauernden Krisenlagen länger als 48 Stunden", weshalb die Verlängerung auf fünf Tage erforderlich sei. Der ehemalige Polizeibeamte begrüßte auch die Ausweitung von Taser-Einsätzen. Dieser sei in vielen Lagen "besser als die Schusswaffe".

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.11.2023, 12 Uhr

71 Kommentare

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  1. 71.

    Das ist ja wohl offensichtlich. Die Menschen, die der Polizei bzw. dem Staat dienen, im Übrigen auch.
    Aber was steckt denn nun ursächlich genau dahinter? Die Bevölkerung agiert ja nicht in einem Vakuum.

  2. 70.

    Werter Johannes,
    wie stehen sie zu ihren Ausführungen anlässlich des aktuellen Vorfalls in Gummersbach?

  3. 69.

    Ihre Eingangsfrage ist Whataboutism in Reinstform.

    Es ist ein schwieriger Beruf, ohne Frage. Polizisten sind verbeamtete Menschen. Sie haben ihre Arbeit bewusst gewählt, und diese geht automatisch mit einem gewissen gesteigerten Grundrisiko einher. Sie werden explizit darauf geschult, das Risiko zu minimieren. Natürlich dürfen sie sich wehren, etwa wenn sie Angriffe oder Widerstand erfahren. Dennoch müssen Sie dabei rechtlich geltende Regeln achten, etwa die Verhältnismäßigkeit.

    Schön, dass Sie persönlich Vertrauen & Respekt in die Polizei haben. Fakt ist, dass es an breitem Respekt und, damit Vertrauen, ggü. der Polizei mangelt. Daran sind nicht nur die Anderen schuld ("Einzelfälle"). Ich finde es befremdlich, dass Sie implizieren, Leute wie ich würden die Polizei als Ordnungsmacht vorn herein weder achten noch respektieren, nur weil Bedenken, Sorgen und Forderungen geäußert werden. Kritikfähigkeit sieht anders aus. Das ist kontraproduktiv.

  4. 68.

    nein, das Verhalten in Teilen der Bevölkerung gegenüber dem Bürger und der Polizei hat sich grundlegend verändert, genau, wie das Verhalten gegenüber Lehrern und Erziehern.

  5. 67.

    Wie viele unschuldige Opfer außerhalb der Tätigkeit der Polizei gibt es täglich in Berlin? Sind Polizisten, die während ihres Dienstes körperlich oder z.B. mit Böllern angegriffen werden, nicht auch unschuldige Opfer? Und sie dürfen sich nicht wehren - denn dann kommen Leute wie Sie und beklagen ungerechtfertigte Gewalt.
    Was das Vertrauen in die Polizei betrifft - ich vertraue den Menschen in Uniform und respektiere sie. Allerdings gehöre ich nicht zu der Klientel, die unsere Regeln und die Polizei als Ordnungsmacht - so wie auch die bei uns geltenden Gesetze - von vorn herein weder achten noch respektieren. Diese Gruppe ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Das Problem ist also etwas umfangreicher. Und auch wenn Sie sich die Zeit nehmen, Polizeieinsätze zu verfolgen und die Tätigkeit der Polizisten zu kontrollieren (dann braucht es aber auch jemanden, der Sie kontrolliert usw.) - es wird das Problem nicht lösen.

  6. 66.

    Es tut mir leid, aber Ihrer Diskussionskultur kann ich nichts Zielführendes oder Fruchtbares entnehmen. Ich sehe nicht ein, mich daran anzupassen oder abzuarbeiten. Daher steige ich aus dieser Teildiskussion aus.

    Alles Gute

  7. 65.

    Nichts zu danken. Ich gebe Ihnen Recht, dass hier - leider wie so oft - wichtige journalistische Arbeit ausgelassen worden ist. Ich bitte Sie dennoch, Ihre journalistische Kritik in Zukunft sachlicher, präziser und gerichteter zu äußern. Das beugt Missverständnissen vor.

  8. 64.

    Das ist alles schön und gut. Ich glaube Ihnen und Ihren Familienangehörigen bei der Polizei das auch alles. Ich verstehe die naheliegenden Forderungen etc.
    Der Trugschluss ist doch aber, dass allein durch Erweiterungen von Befugnissen und Werkzeugen der Polizei plötzlich neuer Respekt entstehen und dies keine nachteiligen Sekundäreffekte mit sich ziehen würde. Wurde denn das Potential anderer vertrauens-, rückahlts- und respektbildender Maßnahmen seitens Politik, Polizei als Institution und auch Ihren Familienangehörigen bei der Polizei bereits ausgeschöpft? Warum erfolgen diese nicht im Vorlauf oder zumindest parallel zu der Ausweitung der Möglichkeiten der Polizei?
    Die bisherige Vorgehensweise ist mir schlicht zu einseitig. Die Polizei hat in der Vergangenheit mit inkonsequentem Verhalten ggü. Kritik etwa wegen zahlreicher problematischer "Einzelfälle" unnötig Vertrauen verspielt. Ich erkenne kaum Gegenmaßnahmen.

  9. 63.

    "Und das ist alles schon so passiert."
    Tolles Argument für oder gegen alles.
    Aber mir Argumente vorhalten von wegen "wenn einer aus dem Fenster springt, springen Sie ja auch nicht hinterher..." :-)))

  10. 62.

    "Herr Feltes wird laut der Berliner Zeitung zitiert ... Das konnte ich nach 1min finden. Bitte erst selbst recherchieren statt wild in die Tasten zu hauen."
    Ich bedanke mich ehrlich für die Recherche. Ich sehe mich allerdings auch nicht in der Pflicht, die Arbeit des Journalisten hier zu machen. Es wurde wohl nicht deutlich, dass dieser Teil meines Kommentars darauf gerichtet war. :-)
    Aber auch bei sieben Fällen - wie oft wurde denn ein Taser eingesetzt, wenn sonst geschossen und jemand verwundet oder vielleicht getötet worden wäre?
    Nein, müssen Sie nicht recherchieren. :-)) Und ich werde auch nicht Herrn Feltes anrufen, ich bin ja nicht der Verfasser des Artikels. :-)

  11. 61.

    Sie meinen doch nicht etwa die ANTIFA-Kämpfer ? Die haben auch die versuchte Erstürmung des Reichstages in vorderster Front gefilmt und sind seltsamer Weise immer dabei, wenn es gegen die Polizei geht.

  12. 60.

    50. 13 mal Johannes, ich glaube es reicht jetzt, ich habe zwei Polizisten in meiner Familie, ich weiß über dessen Katastrophalen Dienstzeiten. Wenn Sie aus dem Haus gehen, wissen Sie nicht ob Sie wieder gesund nach Hause kommen.
    Die Leute müssen wieder lernen das ein Polizist eine Respekt Person ist, genau das ist nicht mehr vorhanden! Johannes, da können schreiben so oft Sie wollen trotzdem sind Sie auf den Holzweg! Ich hoffe das die Polizisten alle möglichen Erleichterungen bekommen.

  13. 59.

    Wieder Unsachlichkeit und Zynismus als Antwort auf das Thema. Ihre "Logik" verstehe wer will. So räumen sie wohlbegründete Sorgen jedenfalls nicht aus.

    Bei jedem neuen Befugnis oder Werkzeug für die Polizei besteht ein gesondertes Ausmaß und Risiko eines möglichen Missbrauchs. Das ist also auch im Einzelnen jeweils gesondert zu bewerten & zu diskutieren.
    Wie wäre es stattdessen mit vertrauens- & rückhaltbildenden Argumenten und Maßnahmen?

  14. 58.

    Sie sagen: "Wer sich - salopp gesagt - regelkonform verhält, der braucht diese Mittel und die Polizei nicht fürchten. "

    Und weshalb gibt es dann unschuldige Opfer von Polizeigewalt, bspw. mittels Taser, in Staaten wie den USA, die diese breit nutzen? Jedes unschuldige Opfer ist eines zu viel.

  15. 57.

    Informieren Sie sich doch bitte eingehend damit, welche zusätzlichen Probleme beim Einsatz der Kameras als zusätzliches polizeiliches Werkzeug auftreten können und aufgetreten sind (hier oder anderswo). Die Kameras und das erzeugte Bildmaterial stehen unter der Kontrolle der Polizei. Wer kontrolliert die Polizei, z.B. wenn das aufgenommen Material eher die Polizei belastet, verschwindet oder durch bewusstes und gezieltes Ausschalten erst gar nicht generiert wird?

  16. 56.

    Ich möchte bitte die Statistik sehen, auf die sich Ihre Aussage stützt. Vielen Dank!

  17. 55.

    Nunja, wenn die Kameras im interessantesten Moment plötzlich ausgeschaltet wird oder "den Dienst verweigert" weil "Akku leer", oder das Material hinterher plötzlich verschwindet, funktioniert die Bodycam nicht gegen die Polizei. Und das ist alles schon so passiert. Recherchieren Sie das gern. Wie beugt man dem vor?

    Es bräuchte demnach bei Einführung/Ausweitung dieses Werkzeugs viel mehr vertrauens- & rückhaltsbildende Maßnahmen von Polizei & Politik, sowie eine effektive unabhängige Kontrolle des Einsatzes dieses Werkzeugs und des entstehenden Bildmaterials. Davon kann man leider nur sehr wenig erkennen.

  18. 54.

    Nur weil jemand neben Ihnen aus dem Fenster springt, springen Sie ja auch nicht gleich hinterher. Das ist also ein Scheinargument für den Einsatz hier. Gleichzeitig gibt es äußerst problematische Einsätze von Tasern im Ausland, bspw. USA.

    Herr Feltes wird laut der Berliner Zeitung zitiert mit: "In Deutschland habe es in den letzten vier Jahren sieben Todesfälle nach Taser-Einsatz gegeben." Das konnte ich nach 1min finden. Bitte erst selbst recherchieren statt wild in die Tasten zu hauen.
    Woher diese Statistik kommt, weiß ich nicht. Fragen Sie einfach direkt den Herrn Feltes. Jedenfalls wird meines Wissens noch keine zentrale offizielle Statistik geführt, bzw. nur für die Bundespolizei. Jede Länderpolizei macht natürlich ihre eigene. Dort müssten die Zahlen zu finden sein.

    Weniger Zynismus und mehr Sachlichkeit täten Ihrem Kommentar gut.

  19. 52.

    Ihr 1. Satz: Stimmt, wenn man ein "kann" dazwischen mogelt. Das hilft den geschädigten Opfern hinterher jedoch oft nur sehr begrenzt etwas.
    Ihr 2. Satz: Das hilft denen, die sich fürchten oder das Sorgen bereitet, herzlich wenig. Wie wäre es denn im Gegenzug zur Erweiterung von Befugnissen & Werkzeug mit der Bildung von Vertrauen & Rückhalt auf polizeilicher sowie politischer Ebene? Wo ausufernde Totalüberwachung hinführt, ist historisch hinreichend belegt. Das müssen man nicht nachahmen.
    Ihr 4. Satz: Ist schlicht unwahr und unmenschlich. Wieso gibt es zahlreiche unschuldige Opfer von Polizeigewalt mittels Taser bspw. in den USA?
    Ihr 5. Satz: Ich weiß nicht auf welche Generation Sie sich beziehen. Kennen Sie den Begriff des zivilen Ungehorsam? Die Demonstranten der DDR in den späten 80ern haben sich mit großem Selbstverständnis gegen die Polizeigewalt gewehrt, und das zu Recht. Ich bin froh, dass es jeden Einzelnen von ihnen gab.
    Ihr Rest: Welche Krimis schauen Sie denn?

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