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Quelle: dpa/Soeren Stache

Kommentar | Brandenburgs Pandemie-Management in der Krise

Corona? War da was?

Brandenburg befindet sich erneut fest im Griff des Corona-Virus. Dabei hätte es viele Gelegenheiten gegeben, aus den bisherigen Corona-Ausbrüchen zu lernen. Warum stehen wir erneut dort, wo wir nie wieder stehen wollten? Von Hanno Christ

Die Inzidenzen steigen und die Ampeln, die sich Brandenburgs Landesregierung einst als Frühwarnsysteme gegeben hatte, springen auf Rot. So rasch, dass nun auch eine Vollbremsung nicht mehr taugt.

Aber die Landesregierung wirkte in den vergangenen Wochen ohnehin nicht so, als würde sie mit dem Fuß auf der Bremse stehen. Viel eher ist sie damit beschäftigt, zu diskutieren, welchen Weg man denn nun einschlagen müsse. Dabei war sie auf der gleichen Route unterwegs wie auch schon im Frühjahr 2020, im Herbst und im Winter und auch schon in diesem Frühjahr. Als die Pandemie Deutschland erstmals überrollte, traf sie auf ein Land der Unerfahrenen, auf ein Land, in dem sich Politik und Gesellschaft auf die Bewältigung erstmal einstellen mussten.

Corona-Pandemie in Brandenburg

Woidke fordert Verlängerung der epidemischen Notlage

Ministerpräsident Woidke fordert angesichts schnell steigender Corona-Zahlen in Brandenburg eine Verlängerung der epidemischen Notlage. Kurz vor Beginn der Debatte im Landtag meldete das Gesundheitsministerium einen Inzidenz-Wert von 433.

Die gleichen Fehler - nach fast zwei Jahren Pandemie

Vorausschauend hatte damals Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) davon gesprochen, dass man sich viel werde verzeihen müssen. Fast zwei Jahre später aber tauchen teils die wieder gleichen Fragen auf, trifft das Virus auf eine Gesellschaft, die es hätte besser wissen können. Mahner und Warnungen aus der Wissenschaft, dass man früher hätte reagieren müssen, gab es genug. Stattdessen verging viel Zeit mit Debatten um Freedom-Days, Abschaffung kostenloser Tests, Maskenfreiheit an Schulen oder mit der Schließung der mühsam errichteten Impfzentren.

Die Linke im Brandenburger Landtag vermisst eine Lernkurve von Gesellschaft und Politik in der Bekämpfung der Pandemie. Auch in der Brandenburger Landesregierung mag sich mancher fragen, warum man jetzt wieder dort steht, wo man steht. Es gibt wohl noch keine eindeutigen Erklärungen, aber Umstände, die eine Bekämpfung der Pandemie sicherlich schwieriger gemacht haben.

Entgegen der Ampel-Pläne im Bund

Nonnemacher fordert Verlängerung der epidemischen Lage

Angesichts der gestiegenen Corona-Infektionszahlen fordert die Brandenburger Gesundheitsministerin von der Bundesregierung eine Verlängerung der epidemischen Notlage. Damit wendet sie sich gegen die Pläne der Parteikollegen im Bund.

Uneinigkeit in der Landesregierung

Eine Pandemie lässt sich nur mit entschlossenem Handeln bekämpfen, das klar kommuniziert wird. In Brandenburg hatte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/Die Grünen) im Sommer aus ihren Zweifeln keinen Hehl aus der Frage gemacht, ob das Land ausreichend auf den Herbst vorbereitet sei. Ihr Haus hatte gerade erst wieder die Verantwortung für die Impforganisation vom Innenministerium übernommen. Das CDU-geführte Haus hatte in den vergangenen Monaten auf Order des Ministerpräsidenten die Impf-Geschicke übernommen, weil das Gesundheitsministerium damit überfordert schien.

Tatsächlich wurde unter Leitung des Innenministeriums die Impfquote gesteigert, und die Erfolge im nahenden Bundestagswahlkampf parteipolitisch instrumentalisiert. Die CDU liefert, die Grünen haben es nicht im Griff, so die Botschaft von Innenminister Michael Stübgen. Das Innenministerium suggerierte, dass man dem Gesundheitsministerium ein gut bestelltes Feld überlasse. Der Leiter des Impfstabs sah Brandenburg sogar kurz vor der Herdenimmunität. Eine Fehleinschätzung, die aber den Eindruck vermittelte: Eigentlich sei man doch über den Berg und für den Herbst gewappnet. Auch auf dieser Basis wurde die Schließung von Impfzentren in die Wege geleitet. Heute könnten die Impfzentren vor einer Renaissance stehen.

Interner Streit der Ministerien statt interner Abstimmung

Doch auch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz muss sich fragen lassen, ob es Arbeit ausreichend koordiniert hat. Seine Ministerin Nonnemacher gilt als fleißig und auskunftsfreudig, aber auch als eine, die schlecht loslassen kann. In einer Zeit, in der auf ihr Haus von Schweinepest, über Vogelgrippe bis Corona eine Seuche nach der anderen zukam, wirkte das Management teils fahrig. Das Ministerium klagte über mangelnde personelle Unterstützung, Teile der übrigen Landesregierung über die schlechte interne Kommunikation- Konflikte.

Zu einem Zeitpunkt, als Inzidenzen an Schulen schon durch die Decke gingen, zankten sich zwei Kabinettsmitglieder, Nonnemacher und Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), reichlich öffentlich um die Wiedereinführung von Masken in den Grundschulen.

Krise in der Brandenburger Landesregierung

Gemeinsam einsam

Erst Kabinettssitzung, dann Pressekonferenz - und alles ganz schnell: SPD, Grüne und CDU hatten die neuen Corona-Schutzmaßnahmen beraten. Die Essenz aber war, dass sie sich nicht einig sind - und dass die Zukunft der Gesundheitsministerin auf dem Spiel steht. Von Hanno Christ

Gegenseitige Anschuldigungen

Streit zwischen Bildungsministerium und Gesundheitsministerium gab es auch, als es um die Einführung von Lüftern ging. Das Gesundheitsministerium warb als unterstützende Maßnahme schon länger dafür, auch die Elternverbände forderten einen breiteren Einsatz. Das Bildungsministerium hielt dagegen, dass der Sinn der Lüfter in Frage stehe, um eine Förderung zusammen mit dem Bund schließlich vor wenigen Wochen mit vielen Ausnahmen doch noch möglich zu machen. Die Förderung aber ist so kompliziert und die Bestellung so langwierig, dass ihr Einsatz in diesem Winter reichlich spät kommen dürfte.

Einen Teil der Verantwortung sehen die Grünen auch beim Innenministerium und den Ordnungsbehörden. Die hätten in der Vergangenheit die bestehenden Corona-Schutzmaßnahmen z.B. in Gaststätten nicht konsequent durchgesetzt. Das Problem sei erkannt, sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Benjamin Raschke, aber der Finger, mit dem er auf den Koalitionspartner zeigte, war unübersehbar.

Taugte das Frühwarnsystem?

Und der Ministerpräsident? Dietmar Woidke (SPD) ließ sich mehrfach als Teilnehmer der Ampel- Koalitionsverhandlungen entschuldigen. Er muss sich fragen lassen, ob er nicht früher auf den Tisch hätte hauen müssen, erst recht als klar war, dass es zwischen den Ministerien seiner Regierung nicht rund läuft. Doch es wirkt, als habe die Regierung die Heftigkeit dieser Welle deutlich unterschätzt.

Grundlage der Handlungen der Landesregierung ist ein Ampelsystem, das sie sich auf Basis der Corona-Erfahrungen selbst gegeben hatte. Nicht mehr nur die Inzidenzen sollten alleiniger Ausgangspunkt von politischen Entscheidungen sein, sondern auch Hospitalisierung und Intensivbettenbelegung. Es schien das richtige Instrument, um einerseits nicht in Panik zu verfallen, andererseits aber auch rechtzeitig die richtigen Maßnahmen in die Wege leiten zu können.

Doch bildete diese neue Ampel die tatsächliche Lage ab? Noch in der vergangenen Woche rechtfertigten Teile der Regierungskoalition ihre Zurückhaltung bei neuen Corona-Maßnahmen mit noch immer grüngeschalteten Ampeln z.B. bei der Intensivbettenbelegung. Dass die Ampelphasen aber so kurz sein würden und von Grün auf Rot umspringen, war offenbar nicht einkalkuliert. Während Brandenburg auf dem Papier noch im grünen Bereich schien, schrillten in den Krankenhäusern schon längst die Alarmglocken. Die stehen nun – personell ausgereizt und am Limit – vor einer wohl historischen Belastung.

Kostenfreie Corona-Tests

Nonnemacher bezeichnet Abschaffung von Bürgertests als Fehler

In Brandenburg infizieren sich momentan so viele Menschen mit dem Coronavirus wie seit dem vergangenen Winter nicht mehr. Brandenburgs Gesundheitsministerin bezeichnet es nun als einen Fehler, die kostenfreien Tests für alle abgeschafft zu haben.

Politischer Schwebezustand

War schon der Bundestagswahlkampf schlechtes Terrain, um zu guten politischen Entscheidungen zu finden, so ist es der jetzige Zustand erst recht nicht: Die Pandemie trifft Deutschland in einer politisch verletzlichen Phase – in einem Schwebezustand politischer Entscheidungsfähigkeit zwischen amtierender Bundesregierung und Parteien, die sich gerade erst als Partner finden. Es könnte die Stunde der Bundesländer sein, stünden die nicht auf rechtlich unsicherem Terrain. Das Auslaufen der epidemischen Lage nimmt Möglichkeiten, um eine Pandemie zu bekämpfen. Die einst so gescholtene Bund-Länder-Konferenz, die nun ansteht, könnte damit wichtiger denn je werden, um die Pandemie auch aus dem Interregnum heraus zu bekämpfen. Von einem Freedom-Day dürften sich wohl alle verabschiedet haben.

Hoher Anteil Impfunwilliger

An der Impfbereitschaft haben sich Wissenschaft und Regierungen die Zähne ausgebissen. Woran es nun genau liegt, dass die Impfquoten gerade in Ländern wie Brandenburg, Sachsen oder Thüringen so eklatant niedrig sind, ist nicht ganz klar. Auch in welchem Maße Impfnachweise gefälscht werden, ist ein Dunkelfeld. Doch es ist ersichtlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Opposition zu den vorgeschlagenen Maßnahmen der Eliten des Landes steht.

Zwar kämpft auch Bayern mit niedrigen Impfquoten und hohen Inzidenzen, aber oftmals ist dort, wo die Impfquote niedrig, die AfD besonders stark ist. Ein Zusammenhang? Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Jan Redmann, schlussfolgerte auf die Frage nach den Versäumnissen von Politik bei der rechtzeitigen Bekämpfung der Pandemie, dass es politische Kräfte gäbe, die die Impfskepsis erst geschürt hätten. Die Regierenden haben hier ein Kommunikationsproblem, Teile der Bevölkerung noch zu erreichen. Der Kampf gegen Corona ist auch ein Kampf gegen postfaktische Stimmungsmache. Es dürfte eine Baustelle sein, die über die Pandemie hinaus Bestand hat.

Sendung:  

Beitrag von Hanno Christ

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