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Audio: Inforadio | 12.10.2021 | Jan Menzel im Gespräch | Quelle: imago images/Emmanuele Contini

Sondierungen in der Schlussphase

Giffeys schmaler Grat

SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey hat die Wahl gewonnen. Sie würde Berlin am liebsten mit Grünen und FDP regieren. Doch die Sondierungen sind keine One-Woman-Show. Von Jan Menzel

Nach siebeneinhalb Stunden Beratungen hat niemand mehr Lust, etwas Gehaltvolles sagen. Die beiden Gastgeber, die SPD-Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey, verlassen das Kurt-Schumacher-Haus, die Parteizentrale der SPD, als erste. "Gute Gespräche" ist das einzige, was sich Giffey entlocken lässt.

Die FDP-Verhandler um ihren Landesvorsitzenden Christoph Meyer sind einfach nur müde und fallen wortlos ins wartende Großraum-Taxi. Als letzte kommt Bettina Jarasch raus. Sie kann noch lächeln. Die Grünen-Spitzenkandidatin spricht sehr bewusst von "intensiven Gesprächen". Das klingt mehr nach einem Ringen, weniger nach einem Durchbruch.

Rot-grün-rote Sondierungen

Erstes Dreiergespräch von SPD, Grünen und Linken beendet

Nachdem die Berliner Spitzen von SPD und Grünen bereits mit der FDP nach Schnittmengen gesucht haben, sprachen sie am Dienstag mit den Linken über eine zweite Auflage von R2G in Berlin. Das Treffen dauerte länger als geplant.

Zwei auf Augenhöhe

Mathematisch betrachtet liegen die Grünen nach der Wahl "nur" auf Platz 2. Doch der Abstand ist so klein, dass das, was die Grünen schon in der vergangenen Legislaturperiode immer einforderten, Realität wird: Augenhöhe.

Die SPD lädt zwar zu den Sondierungen. Franziska Giffey hat auch das erste Wort. Doch auch sie hat sich festgelegt, dass SPD und Grüne quasi den Kern einer neuen Koalition bilden. In dieser Logik muss der oder die dritte im Bunde beiden gefallen. Das ist Jaraschs Stärke und Giffeys Schwäche. Und die Berliner Grünen sind nach allem was zu hören ist, klar auf Kurs Richtung Rot-Grün-Rot.

Giffey wiederum kann sich in dieser Phase der Gespräche ihrer Partei (noch) sicher sein. Das Team der SPD-Sondierer ist handverlesen. Der einflussreiche SPD-Co-Landes- und Fraktionsvorsitzende Raed Saleh ist dabei. Dazu kommen noch Innensenator Andreas Geisel und die beiden stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Iris Spranger und Ina Czyborra. Alle liegen auf Giffey-Linie. Im Landesvorstand ihrer Partei hat die Spitzenkandidatin ebenfalls eine klare Mehrheit. In diesem Gremium halten nur einige wenige um den stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Julian Zado die rot-grün-rote Fahne hoch.

Berliner Spitzen von SPD, Grüne und FDP

Ampel-Sondierungen nach siebeneinhalb Stunden beendet

Siebeneinhalb Stunden dauerten die Gespräche zu einer möglichen Ampel-Regierung für den Berliner Senat. Deutlich länger als vorher veranschlagt. Die designierte Regierende Bürgermeistern Giffey bleibt zum Inhalt der Gespräche schmallippig.

Widerstand aus den Kreisen

Mächtiger Gegenwind bläst Giffey aber aus den SPD-Kreisverbänden ins Gesicht. In Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg dürften die Fürsprecher einer Koalition mit der Linken sogar in der Mehrheit sein. Giffeys Heimatkreis Neukölln tickt ebenfalls links. Dort hat man aber auf einen förmlichen Beschluss pro Rot-Grün-Rot verzichtet, auch um die Spitzenkandidatin nicht zu düpieren.

Am Wochenende machten sich der Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel und der ehemalige Kulturstaatssekretär Tim Renner noch einmal für die Ampel stark. Das Echo darauf war verhalten. Man muss dazu wissen, dass Hikel außerhalb der Neuköllner Grenzen kaum eine Rolle spielt. Renner hat zwei Mal erfolglos versucht, in den Bundestag zu kommen.

Wenn es so weit kommen sollte, müsste eine Koalition auf jeden Fall von einem Landesparteitag der SPD abgesegnet werden. Auch hier liegen die Dinge alles andere als klar. Giffey kann sich der Mehrheit für ihren Ampelkurs keinesfalls sicher sei. Zur Spitzenkandidatin wurde sie im Frühjahr zwar mit soliden 86 Prozent der Stimmen gewählt. Das maßgeblich von ihr geprägte Wahlprogramm erhielt seinerzeit sogar 94 Prozent Zustimmung. Solche Traumergebnisse wären bei der Koalitionsfrage aber nicht mehr drin.

Jusos können traditionell nichts mit FDP anfangen

Nicht nur in der SPD rätseln viele, wie Giffey die Parteitags-Klippe nehmen will. Der Parteinachwuchs Jusos ist in Berlin im Aufwind und kann traditionell mit der FDP nichts anfangen. Zum Kreis der Giffey-Gegenspieler gehört mit Kevin Kühnert immerhin der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Dennoch könnte sie die Machtfrage mit aller Härte stellen und versuchen, die Partei auf Ampel-Kurs zu zwingen. In der SPD würde das maximalen Unfrieden schaffen. Aber vor die Alternative gestellt, die Spitzenkandidatin zu verlieren oder ein unliebsames Bündnis mit der FDP einzugehen, dürften die Staatstragenden in der SPD die Oberhand behalten.

Grünes Veto?

Ob es aber so weit kommt, liegt in den Händen einer anderen Frau. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, die sich selbst "Brückenbauerin" nennt, hat bislang keine solche für die FDP gebaut. Sie kann sich eines linken Grünen-Landesverbandes und einer jungen, neuen Grünen-Fraktion sicher sein, für die eine Ampel-Koalition in der derzeitigen Ausgangslage kein Thema ist. Wenn aber die Grünen nicht blinken, ist die Ampel tot.

Diese Grundkonstellation stand in wesentlichen Zügen bereits nach dem Wahltag fest. Die Sondierungen haben daran nicht viel geändert. Warum Franziska Giffey sich dennoch so ausdrücklich zur Ampel als Wunschkoalition bekannt hat, verwundert auch viele erfahrene Verhandler. "Davon kommt sie doch gar nicht mehr runter" ist zu hören, oder: "Wie ungeschickt, sich so festlegen."

Denkbar wäre aber auch, dass die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin und Bundesfamilienministerin längt erkannt hat, dass kein Weg an einem Neustart für Rot-Grün-Rot vorbeiführt. Franziska Giffey könnte dann aber ihren zahlreichen Unterstützern auch in der Wirtschaft und der Wohnungsbranche glaubhaft versichern, dass sie alles versucht hat, in Berlin ein Ampel-Bündnis zu schmieden.

Sendung: Inforadio, 12.10.2021, 6:46 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

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