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Audio: rbb24 Inforadio | 28.08.2022 | Nikolaus Hillmann | Quelle: imago images/Moritz Müller

Höhenflug geht weiter

Eifert Union Berlin nun dem englischen Märchen-Meister Leicester nach?

Der Höhenflug des 1. FC Union Berlin geht weiter. Nach dem beeindruckenden Saison-Start erinnern die Köpenicker einen Gegenspieler an den englischen Märchen-Meister Leicester City. Ein Vergleich. Von Till Oppermann

Fußballer neigen dazu, nach heftigen Niederlagen Gründe zu suchen, die ihre Leistung rechtfertigen. Union habe zwar nicht die Qualität des FC Bayern, sagte Schalke-Innenverteidiger Maya Yoshida nach der 1:6-Niederlage gegen die Berliner, "aber sie folgen ihrer Struktur sehr streng und spielen gut - genau wie Leicester City vor ein paar Jahren."

Der Japaner spielt auf das größte Märchen der jüngeren Fußballgeschichte an. In anderthalb Jahren mauserte sich Leicester vom gefühlten Absteiger zum englischen Meister der Saison 2015/16 - und das trotz scheinbar übermächtiger Konkurrenz aus Manchester, Liverpool und London. Kann Union tatsächlich eine ähnlich starke Saison spielen?

Tabellenführer für drei Stunden

Effizienter 1. FC Union schießt Schalke 04 mit 6:1 ab

Die Erfolgsserie des 1. FC Union geht weiter: Die Köpenicker gewannen bei Schalke 04 mit 6:1 (3:1). Das Team von Urs Fischer nutzte die Fehler des Aufsteigers eiskalt aus - und belohnte sich für einige Stunden mit der Tabellenführung.

Offizielles Saisonziel bleibt der Klassenerhalt

3:1 gegen Hertha, 0:0 in Mainz, 2:1 gegen Leipzig und 6:1 gegen Schalke: Dass Trainer Urs Fischer und seine Mannschaft weiterhin nur an die 40 Punkte-Marke denken, ist noch so ein modernes Märchen. Nach vier Spieltagen trennt die Köpenicker nur eine etwas schlechtere Tordifferenz davon, den Rekordmeister aus München von der Tabellenspitze zu verdrängen.

Trotzdem sprechen die Berliner auch im vierten Bundesliga-Jahr öffentlich ebenso stur wie stoisch nur vom Klassenerhalt. Bewertet man lediglich den Etat, ist das verständlich. Der 1. FC Union ist weiterhin einer der ärmeren Vereine der Liga. Doch sportlich ist die Mannschaften den finanziellen Möglichkeiten weit enteilt. Was zum grundlegenden Unterschied zwischen Leicesters Meister-Mannschaft und dem 1. FC Union führt.

Unions Entwicklung dauert schon Jahre

In ihrem Wörterbuch definieren die Gebrüder Grimm ein Märchen unter anderem als "Phantasiegebild, eine Einbildung dessen was sein oder geschehen könnte". Sie müssen es wissen - immerhin gibt es wohl kaum deutsche Haushalte, in denen sich nicht irgendeine Ausgabe ihrer Märchensammlung findet.

Die nüchternen Erfolgsarchitekten Urs Fischer und Oliver Ruhnert würden zustimmen. Union als Meister? Das ist ein "Phantasiegebild". Aber dass die Köpenicker mittlerweile zu den besten Mannschaften des Landes zählen, ist real. Seitdem Manager Ruhnert und Trainer Fischer 2018 bei Union übernommen haben, entwickelten sie die Mannschaft kontinuierlich sportlich weiter. Nach dem Aufstieg in ihrem ersten Jahr erreichte das Team jedes Jahr eine bessere Platzierung - obwohl zahlreiche Leistungsträger gingen. Leicesters Sprung an die Spitze war besonders märchenhaft, weil er so unerklärlich schien. Der Erfolg des 1. FC Union ist leichter auf eine Formel zu bringen.

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Die klare Spielidee als Erfolgsgarant

Da wäre beispielsweise die herausragende Effizienz: Auf Schalke erzielte Union am Samstag mit den ersten sechs Schüssen vier Tore. Sieben Tage zuvor stand die 2:0-Führung gegen RB Leipzig nach drei Abschlüssen - der dritte wurde auf der Linie geklärt. Auf der Pressekonferenz nach dem höchsten Sieg der eisernen Bundesliga-Geschichte lobte auch Fischer die Effizienz der Mannschaft, an der er persönlich großen Anteil hat.

Viele Tore kann nur schießen, wer konstant in gute Abschlusspositonen kommt. Auf Schalke gelang das trotz einer auf den ersten Blick unterirdischen Passquote von 68 Prozent. Diese lässt sich jedoch leicht mit Fischers Spielidee erklären. Die Spieler sind angehalten, schnell und direkt risikoreiche Pässe in die Tiefe zu spielen, wo unter anderem der pfeilschnelle Sheraldo Becker lauert. Der Nationalspieler Surinams ist nach vier Spielen mit vier Toren und zwei Vorlagen Top-Scorer der Bundesliga. Aktuell funktioniert diese Taktik sowohl gegen Aufsteiger wie Schalke als auch gegen Pokalsieger wie Leipzig. Bei den beiden ersten Treffern gegen RB lagen zwischen Unions Ballgewinn und dem Tor nicht mehr als 13 Sekunden.

Fischer macht Spieler besser

Man könnte noch weitere Merkmale des Fußballs aufzeigen, der die Berliner so stark macht. Das ausgeklügelte Pressing-System ab der Mittellinie, mit dem Union die Zentrale schließt. Die perfekt abgestimmte Dreierkette. Die herausragende Laufbereitschaft. Zusammen ergibt all das ein Korsett, in dem fast jeder Spieler im Kader funktioniert.

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Vielleicht liegt hier die größte Gemeinsamkeit mit Leicesters Mannschaft aus der Saison 2015/2016. Während Unions Sheraldo Becker statistisch aktuell einer der kreativsten und erfolgreichsten Stürmer Europas ist, avancierte damals bei Leicester Jamie Vardy zum Star, der die längste Zeit seiner Karriere in der zweiten Liga verbrachte.

Die Defensive organisierte Wes Morgan, der mit mehr als 30 Jahren zum Verteidiger der Saison gewählt wurde. Union-Kapitän Christopher Trimmel hat eine ähnliche Geschichte. Er gab sein Debüt im Oberhaus mit 31 Jahren und ist seither einer der Außenverteidiger mit den meisten Torvorlagen. Diese Leistungssteigerungen haben die Spieler in erster Linie Urs Fischer zu verdanken, dessen Ansagen so klar sind, dass jeder zu jedem Zeitpunkt weiß, was er zu tun oder zu lassen hat.

Bundesliga-Spitze fehlt die Leistungsdichte

Schon die doppelte Qualifikation für den Europapokal war gemessen an den Köpenicker Ressourcen mehr als nur eine Überraschung. Trotzdem ist bei Union niemand abgehoben. "Es wird eine Herausforderung, dieses Spiel einzuordnen", sagte Fischer in Gelsenkirchen. Seine Mannschaft müsse weiter an sich arbeiten.

Von außen mag sie angesichts der tollen Ergebnisse wie Koketterie wirken, aber Bescheidenheit gehört zum Markenkern der Unioner. Yoshidas Leicester-Vergleich werden sie nicht annehmen. Allein schon deshalb, weil in der Bundesligaspitze die Leistungsdichte fehlt, von der Leicester 2016 profitierte, als sich die Konkurrenten gegenseitig die Punkte wegnahmen.

Sendung: Abendschau, 28.08.2022, 19:30 Uhr

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