Analyse | Nach der Pleite gegen den BVB - Hertha steckt im Konjunk-Tief

Sa 27.08.22 | 21:36 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Marco Richter von Hertha BSC. (Bild: imago/Matthias Koch)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.08.2022 | Lars Becker | Bild: imago/Matthias Koch

Auch am vierten Spieltag kann Hertha BSC nicht den ersten Saisonsieg feiern. Gegen den BVB setzt es eine knappe wie verdiente 0:1-Niederlage. An Einstellung und Offensivdrang lag es nicht, andere Dinge machen Sorgen. Von Marc Schwitzky

Es wäre beinahe zur schönsten Geschichte dieses vierten Spieltages der Fußball-Bundesliga gekommen. Marco Richter wird in der 76. Minute eingewechselt und kommt somit zu seinem ersten Einsatz seit der überstandenen Hodenkrebs-Operation. Von Mitspieler Wilfried Kanga in Szene gesetzt zieht Richter nur drei Minuten nach seiner Einwechslung aus rund 18 Metern kraftvoll ab, sein Schuss wird von BVB-Keeper Gregor Kobel aber noch mit den Fingerspitzen an die Latte gelenkt.

Es wäre nicht nur ein traumhafter Moment für Richter, sondern gleichzeitig auch der 1:1-Ausgleichstreffer für Hertha gegen Borussia Dortmund gewesen. Doch die Berliner verlieren ihr Heimspiel, so knapp wie verdient. Wie schon gegen Eintracht Frankfurt und Borussia Mönchengladbach stimmt am Samstag die Einstellung der Mannschaft, wie schon in jenen beiden Spielen kommt sie zu guten Offensivszenen – doch erneut fehlen die letzten Prozente, um endlich einen Sieg zu erringen. "Was wäre gewesen, wenn …" ist die Frage, die in der Bundesliga aktuell wohl niemanden so umtreibt wie Hertha-Fans. So viele gute Vorstellungen, so wenige Punkte – Hertha steckt im Konjunk-Tief.

Hertha beginnt stark, lässt aber zu sehr nach

Denn auch gegen den BVB erarbeitet sich Hertha die Möglichkeit, sich für den eigenen Aufwand zu belohnen. Bereits in der vierten Minute hätte Jonjoe Kenny beinahe das 1:0 erzielt. Nach Vorlage des ewig quirligen Chidera Ejuke kommt Herthas Rechtsverteidiger im Rückraum zum Schuss, der so gefährlich abgefälscht wird, dass es eine Glanzparade Kobels braucht, um den Gegentreffer zu verhindern.

Hertha ist in den ersten zehn Minuten die bessere Mannschaft. Gegen den Ball wird im engmaschigen 4-4-2 verteidigt, aufgrund des disziplinierten Positionsspiels und der Grundaggressivität im Zweikampf wird dem BVB kein Platz gelassen, um aufzudrehen und Tempo zu entwickeln. In der Anfangsphase sind die Zwischenräume blau-weiß eingefärbt. Immer wieder gewinnt Hertha den Ball frühzeitig, doch schon früh in der Begegnung zeigt sich ein Kernproblem, das die Berliner die gesamte Spieldauer begleiten wird: mangelnde Präzision. Nach Balleroberung geht der Blick zwar stets in die Tiefe, doch werden die eigenen Umschaltmomente durch unsauberes Passspiel, schlechte Ballannahmen und unkonzentrierte Laufwege unnötig zunichte gemacht. Das letzte Angriffsdrittel wird so kaum erreicht.

Fehlende Entlastung und Berliner Passivität

So verliert Hertha die Spielkontrolle Stück für Stück. "Wir haben den Gegner durch viel zu einfache Ballverluste stark gemacht!", analysiert Trainer Sandro Schwarz. Mit dem noch an die Latte abgefälschten Schuss von Marco Reus wird die Dominanzphase des BVB eingeläutet. Hertha lässt durch die so vielen technischen Fehler die Entlastung vermissen, sodass sie von den Schwarz-Gelben immer weiter in der eigenen Hälfte eingeschnürt werden.

Die Berliner Passivität wird von zahlreichen Dortmunder Gelegenheiten immer weiter herausgefordert - es ist Torhüter Oliver Christensen und dem Aluminium zu verdanken, dass es nicht schon früher 0:1 steht. Doch in der 32. Minute passiert es dann. Einmal mehr verteidigt Hertha fahrig, hier in Person von Linksverteidiger und Startelf-Rückkehrer Marvin Plattenhardt, der nach einem Einwurf Salih Özcan nur halbgar verteidigt. Dessen ungestörte Flanke findet den Kopf von Anthony Modeste, der sich nicht zweimal bitten lässt - 0:1, der Halbzeitstand.

Ein ungestimmtes Instrument

Schon im ersten Durchgang bringt Hertha den Konjunktiv zum Glühen. Denn mit mehr Präzision hätten die Hauptstädter deutlich öfter gefährliche Momente geschaffen, in denen die individuelle Klasse des Sturmtrios glänzen könnte. Gleichzeitig sorgen individuelle Fehler oder leichte Abstimmungsprobleme in der Defensive dafür, dass der BVB höher führen müsste. So steht es nur 0:1, noch alles drin für die Gastgeber. Und so beginnt die zweite Halbzeit mit offenem Visier - Hertha ist um den Ausgleich, Dortmund um die Entscheidung bemüht.

Hertha zeigt wieder mehr Präsenz im Mittelfeld und kann den BVB weiter vom eigenen Tor weghalten. Doch nach Balleroberung dasselbe Bild: Unzählige Bälle werden in den Rücken des Mitspielers gepasst, Herthas Akteure rutschen rekordverdächtig auf dem eigenen Rasen aus, Abstimmungsprobleme führen dazu, dass sie sich auch noch auf den Füßen stehen. Herthas Spiel fühlt sich wie ein ungestimmtes Instrument an: Das Lied - also der Matchplan und Einstellung - ist das richtige, doch die Musiker kriegen keinen richtigen Ton raus.

Exemplarisch dafür ist die Szene in der 56. Minute, als Kenny durch einen technischen Fehler am gegnerischen Sechszehner den Ball verliert, Lukebakio aufopferungsvoll zurücksprintet und den BVB-Konter unterbindet, nur damit der eigens geschaffene Umschaltmoment erneut leichtfertig verspielt wird. Es ist zum Verzweifeln.

Christensen mit bester Leistung im Hertha-Trikot

Und doch weiß Hertha am Samstagnachmittag zu gefallen. Denn die Ansätze sind zweifellos zu erkennen, besonders nach der Einwechslung von Stevan Jovetic fordert der Hauptstadtklub den BVB noch einmal heraus. Immer wieder läuft Hertha an, immer wieder begibt man sich ins Dribbling - um dann doch nicht zwingend zu werden, da der letzte Pass nicht ankommt, der Schuss abgeblockt oder vom glänzend aufgelegten Kobel pariert wird.

So hätte sich der BVB womöglich nicht über den einen oder anderen Gegentreffer beschweren dürfen, Hertha aber noch viel weniger. Christensen setzt in diesem Spiel zu seiner bisher besten Leistung im Hertha-Trikot an, zusammen mit seiner Verteidigung, die oft in letzter Sekunde klärt, bringt er die Borussia zur Verzweiflung. Eine lobenswerte Leistung, die jedoch die Defensivprobleme der Berliner nur weiter aufdeckt, denn insgesamt wurde es viel zu oft brenzlig.

Hertha arbeitet weiter am ersten Sieg

Am Ende steht eine 0:1-Niederlage. Hertha hätte auch weitaus höher verlieren können, konnte einen individuell überlegenen Gegner jedoch auch immer wieder vor große Probleme stellen. Das größte Problem ist Hertha aber für sich selbst gewesen, denn aufgrund der so fahrigen Spielweise bleibt viel Potenzial ungenutzt. Was wäre wenn - da ist es wieder. Viele Vorgaben setzten die Spieler bereits gut um, nur um sich dann um den verdienten Lohn zu bringen. Eine Thematik, die zur Frustration führen kann.

Doch noch, so merkt man, ist das Umfeld mehr als gnädig mit der eigenen Mannschaft. Dies ist vor allem in der Haltung begründet, mit der sie in die Partien der neuen Saison geht. Ließ Hertha in den vergangenen Jahren meist den Spielverlauf apathisch über sich ergehen, wird das Schicksal unter Sandro Schwarz in die eigene Hand genommen - selbst mit schwächerer Tagesform. Was nun noch fehlt, ist, dass sich die Ergebnisse den Leistungen anpassen. Der Wert "Expected Points" errechnet, wie viele Punkte eine Mannschaft aufgrund der statistisch zu erwartenden Tore und Gegentore eigentlich auf dem Konto haben sollte - Hertha weist hier mit 2,19 zu wenigen Punkten einen der höchsten Werte in der Liga auf.

"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir endlich einen Dreier holen und uns belohnen", prognostiziert Rückkehrer Richter. Am kommenden Sonntag soll gegen dessen Ex-Klub Augsburg jene Wartezeit vorüber sein. Ein Sieg würde nicht nur Vertrauen in den neuen Weg schaffen, sondern auch das dann anstehende Programm - Leverkusen, Mainz, Hoffenheim, Freiburg und Leipzig warten - sanfter überstehen lassen. Doch hier ist er wieder, der falsche Freund Konjunktiv.

Sendung: rbb24, 27.08.2022, 21:45 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

17 Kommentare

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  1. 17.

    Hertha beginnt stark, lässt aber zu sehr nach - Nö, das muss lauten: Hertha hat schwach angefangen und stark nachgelassen. Nicht wahr - Prince.....

    Und @Teichert #7 - Respekt muss man sich auch verdienen. Wissen Sie; Mitleid bekommt man geschenkt - Neid muss man sich erkämpfen...

  2. 15.

    Nicht wundern, das ist ein typischer Schwitzky-Text. Bei Hertha-Fans wird er als der neue journalistische Heilsbringer gesehen, dabei sind es Schülertexte. Nur, wenn es allzu offensichtlich wird, gibt es mal was Kritisches zu Herthas "Leistungen". Nun ja, wir sind hier beim rrb, da darf man nicht so viel erwarten. ;-)

  3. 14.

    "Hertha steckt im Konjunk-Tief" ... und in der Tabelle im Da-tief.

  4. 13.

    Irgendwie klingt schon allein der Name unsympathisch und nach verstaubtem Alt-West-Berliner Kaffee-Kränzchen. Komplett aus der Zeit gefallen. Will man in Charlottenburg nicht mal irgendwie langsam auch namentlich weg von diesem Image?

  5. 12.

    Sie lernen doch auch nichts
    Meine Mannschaft wird sicherlich kein Meister, den Anspruch hat auch keiner
    Ich bin aber auch kein Unioner, halten sie den Verein da raus

  6. 11.

    Die Stimmung war gut, eigentlich wie immer. Nur das Ergebnis nicht. Vielleicht wirds ja in naher Zukunft besser. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Na vielleicht gehe ich mal irgendwann wieder ins Olympiastadion.

  7. 10.

    "Gegen den BVB setzt es eine knappe wie verdiente 0:1-Niederlage." Ja, lieber Marc Schwitzky, als Hertha-Pressesprecher mit blau-weißer Brille mag man eine "knappe" Niederlage gesehen haben, Die Kollegen der ARD sahen eine "extrem überforderte Mannschaft", mit einem "geringen Spielanteil", denen "die Spiellust fehlt" und nur durch die "Abschlußschwäche der Dortmunder nicht völlig untergegangen ist".

  8. 9.

    Sehr guter Text. Inhaltlich und sprachlich. Ohne das Spiel gesehen zu haben, bekommt man ein gutes Gefühl für die Partie. Es wird nicht nur der Ablauf runtergebetet, sondern gut analysiert, wo es tatktisch mangelte, wo Potential ist und wie es verschenkt wurde. Kompliment und Danke an den Autor.

  9. 8.

    "Gegen den BVB setzt es eine knappe wie verdiente 0:1-Niederlage." Ja, lieber Marc Schwitzky, als Hertha-Pressesprecher mit blau-weißer Brille mag man eine "knappe" Niederlage gesehen haben, Die Kollegen der ARD sahen eine "extrem überforderte Mannschaft", mit einem "geringen Spielanteil", denen "die Spiellust fehlt" und nur durch die "Abschlußschwäche der Dortmunder nicht völlig untergegangen ist".

  10. 7.

    Antwort auf Nils
    Sie lernen wohl Nie !
    Ich habe im Gegensatz zu Ihnen Ihrer Mannschaft Respekt gewollt aber noch sind Sie nicht Deutscher Meister!!!
    Also mehr Respekt wenn Sie über andere Mannschaften sprechen

  11. 6.

    "Gegen den BVB setzt es eine knappe wie verdiente 0:1-Niederlage." Ja, lieber Marc Schwitzky, als Hertha-Pressesprecher mit blau-weißer Brille mag man eine "knappe" Niederlage gesehen haben, Die Kollegen der ARD sahen eine "extrem überforderte Mannschaft", mit einem "geringen Spielanteil", denen "die Spiellust fehlt" und nur durch die "Abschlußschwäche der Dortmunder nicht völlig untergegangen ist".

  12. 4.

    Hertha bitte 3te Liga, wo ihr alle hingehört!!!¡!!


    P.S: Ich bin west Bèrliner !¡ Es lebe Union

  13. 3.

    Na na... nich so böse...
    Obwohl, wäre schon jut für Berlin wenn die Erna endlich weg is.

  14. 2.

    .... dann aber auch nur mit dem einen Punkt... was soll Tasmania sagen ?? :-P

  15. 1.

    Wenn die nächsten 30 Spiele so laufen ist Hertha endlich abgestiegen

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