rbb24
  1. rbb|24
  2. Sport
Quelle: imago images/Memmler

Interview | Fanclub-Betreuer Thomas Vorberger

"Das Spiel ist ja nur noch Beiwerk für irgendwelche Werbe-Maßnahmen"

Vor der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland steht nicht nur die deutsche Mannschaft in der Kritik. Auch die Uefa als Ausrichter wird getadelt. Immerhin der DFB ist auf dem richtigen Weg, sagt Fanclub-Betreuer Thomas Vorberger im Gespräch.

rbb|24: Thomas Vorberger, sind Sie schon in Besitz von Tickets für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland?

Thomas Vorberger: Ich habe einen eingetragenen Fanclub für Fans mit Beeinträchtigungen. Wir haben ein Ticket-Kontigent zugeteilt bekommen und sind jetzt, zumindest für die Vorrunde, gut versorgt.

Herzlichen Glückwunsch! Beim offiziellen Losverfahren der Uefa sind zunächst mal viele Fußball-Fans leer ausgegangen.

Das liegt vermutlich vor allem an der hohen Nachfrage aus dem Ausland. Die deutschen Spiele hingegen stehen vermutlich gar nicht so sehr im Fokus.

Zur Person

Unabhängig davon, ob die deutsche Elf spielt oder nicht, haben alle Paarungen eines gemeinsam: hohe Ticketpreise. Die günstigste Final-Karte zum Beispiel liegt bei 95 Euro.

Ich bin schon erschrocken, wie hoch das gehen kann. Wenn ich mir vorstelle, dass ich für das Endspiel in Berlin mindestens 1.000 Euro auf den Tisch legen muss, wenn ich einen guten Sitzplatz auf der Geraden haben möchte — also das sind schon Preise jenseits von Gut und Böse. Für einen normalen Fan ist das eigentlich gar nicht mehr bezahlbar.

Die Preise bestimmt die Uefa. Ebenso wie über die Verteilung der Tickets. So gibt es insgesamt 42.000 Tickets für Rollstuhlfahrer. Aber 500.000 für Sponsoren, VIPs und Funktionäre.

Das ist schon ein bisschen beschämend. Auch wenn in vielen Stadien aufgrund der baulichen Beschaffenheiten gar nicht mehr Plätze für Rollstuhlfahrer angeboten werden können. Aber es gibt auch Plätze mit leichtem Zugang. Für Sehbehinderte und Gehörlose zum Beispiel. Und auch das sind immer noch wenige Tickets im Vergleich zu den anderen Zahlen.

Fußball-EM, Handball-EM, Olympische Spiele

Das sind die sportlichen Höhepunkte 2024 in Berlin und Brandenburg

Das Sportjahr 2024 hat einiges zu bieten – und Berlin wie Brandenburg sind mittendrin. Ob Fußball- und Handball-EM oder Trampolin-Weltcup – über das gesamte Jahr finden große Sportgroßveranstaltungen in der Region statt.

Auch Stehplätze wird es keine geben. Dabei beweist gerade der deutsche Fußball seit langer Zeit, damit hervorragend umgehen zu können.

Die Uefa verweist auf das Gleichheitsprinzip. Das Stadion in Dortmund zum Beispiel hat auf der einen Seite über 20.000, auf der anderen "nur" 6.000 Stehplätze. Das würde, so die Uefa, zu Benachteiligungen führen. Ich kann diese Argumentation nicht nachvollziehen, weil man die Größe der Stehplatz-Blöcke ja leicht paritätisch anpassen könnte. Aber ein Stehplatz bringt eben weniger ein als ein Sitzplatz, den ich stattdessen verkaufen kann.

Sie sind ein alter Hase und schon bei vielen Turnieren gewesen. Wo und wann lief es dann mal besser?

Bei den Männer-Turnieren muss ich weit zurückblicken. Da fällt mir gerade noch die WM in Frankreich ein (1998, Anm. d. Red.), bei der es noch einigermaßen fair zuging. Auch wenn man auf das Drumherum schaut. Auf die Hotelpreise zum Beispiel. Die sind ja exorbitant gestiegen. Die kann ja auch kein Mensch mehr bezahlen. Mir kann auch niemand erklären, wie ich jetzt ein Bett im gemischten Schlafsaal im Hostel für 168 Euro anbieten kann, wie ich das zuletzt für München gesehen habe.

Es gibt aber noch mehr Kritik. Vom gläsernen Fan ist die Rede, da beim Ticket-Verkauf jede Menge Daten hinterlegt werden müssen. Oder war das schon immer so?

Auch das ist extremer geworden. Solange es noch Papier-Tickets gab, musste man seine Daten, von der Adresse abgesehen, nicht angeben. Jetzt wird das alles online abgehandelt. Man muss eine App runterladen und für jedes Ticket seine Daten hinterlegen. Das geht schon zu weit. Es muss jetzt nicht unbedingt jeder meine Telefonnummer wissen oder mit welcher Kreditkarte ich bezahlt habe. Wenn da eine nachvollziehbarer Name und ein Geburtsdatum drauf stünde, würde das schon ausreichen anhand der Kontrollmöglichkeiten, die man ansonsten hat.

Berlin

Kunstrasen für EM-Fanmeile vor Brandenburger Tor kostet rund eine Million Euro

Der Senat rollt den grünen Teppich aus - und stößt damit bei den Grünen auf Kritik. Die richtet sich gegen die Kosten für den Fußboden der EM-Fanmeile im kommenden Sommer. Überhaupt wird das Fußballspektakel für Berlin teurer als gedacht.

Doch nicht nur die Uefa als Veranstalter steht in der Kritik, auch die nationalen Sicherheitsbehörden. Zuletzt kam es zu ungewöhnlich scharfen Auseinandersetzungen zwischen Fans und Sicherheitskräften, etwa auf St. Pauli oder in Frankfurt. Manchen sehen das als Vorgeschmack auf die kommende Europameisterschaft.

Die Vereinsanhänger, die da zuletzt mit der Polizei aneinandergeraten sind, fahren ja nicht zu Länderspielen. Wer da einen Zusammenhang sieht, weiß eigentlich nicht Bescheid, wie das Fansein funktioniert. Ungeachtet dessen ist es ein Unding, dass Polizeieinheiten im vollbesetzten Stadion mit Pfefferspray vorgehen. Die hohe Zahl von verletzten, unbeteiligten Zuschauern und Kindern sprechen da für sich. Hier sind deutlich Grenzen überschritten worden, die auch mit einer "erhöhten" Einsatzlage nicht zu rechtfertigen sind.

Bei der Europameisterschaft erwarten Sie also keine Probleme?

Ich gehe von einem friedlichen Turnier aus. Wenn Gefahr droht, dann durch ungarische Fans, die in Deutschland auftreten. Das hatten wir vor zwei Jahren auch schon.

Jetzt haben wir noch gar nicht über den DFB gemeckert. Der wollte nach den zuletzt mehr als unglücklich verlaufenen Turnieren und Imagekampagne vieles anders machen.

Insbesondere die Abteilung Fan-Belange ist tatsächlich auf einem positiven Weg. Wir haben seit vergangenem Herbst wieder die Möglichkeit, sich als eingetragener Fanclub beim DFB registrieren zu lassen, ohne Mitglied im Fanclub Nationalmannschaft sein zu müssen. Das ist schonmal ein Fortschritt, dass es diese Zwangsregistrierung nicht mehr gibt, die auch viele abgeschreckt hat, zu Länderspielen zu gehen. Jetzt kann man sich mit Gruppen ab elf Personen als Fanclub eintragen und genauso gut für Auswärtsspiele Tickets kaufen, wie es früher nur über den Fanclub Nationalmannschaft ging.

Der sportliche Aufschwung allerdings lässt noch auf sich warten. Dementsprechend wenig Euphorie ist zu spüren im Vorfeld dieser Heim-EM.

Vor der Weltmeisterschaft 2006 hat man auch sämtliche Spiele verloren. Dann kam das erste Spiel, die Mannschaft wurde immer besser und die Stimmung auch. Dieses Sommermärchen-Gefühl kam erst nach und nach. Das wird dieses Jahr nicht viel anders sein. Es hängt von den ersten Spielen ab.

Wie viele Länderspiele haben Sie eigentlich schon auf dem Buckel?

Ich zähle schon seit Jahren nicht mehr. Aber ich besuche ungefähr 95 Prozent aller Begegnungen. Diese Europameisterschaft wird aber mein letztes, großes Männerturnier.

Was? Warum das denn?

Zum Einen wegen der inzwischen viel zu hohen Preise. Und dann wegen des Marketings drumherum. Das hat ja mit Fußball nichts mehr zu tun. Das Spiel ist ja nur noch Beiwerk für irgendwelche Werbe-Maßnahmen. Da fühle ich mich im Moment bei der Frauen-Nationalmannschaft besser aufgehoben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde geführt von Ilja Behnisch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.01.2024, 09:15 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen