20 Jahre "Mensch" von Herbert Grönemeyer - "Ich setze ein Puzzle zusammen"

Di 30.08.22 | 07:56 Uhr | Von Magdalena Bienert
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Arezu Weitholz (l-r), Schriftstellerin, der Musiker und Sänger Herbert Grönemeyer, und und Katrin Funcke, Illustratorin, stehen auf der Bühne im Kino International.(Quelle:dpa/A.Riedl)
Audio: rbb24 Inforadio | Di 30.08.22 | Niebert, M. | Bild: dpa/A.Riedl

2002 erschien die Platte "Mensch" von Herbert Grönemeyer - das bis heute erfolgreichste Album eines Künstlers in Deutschland. Für Fans gibt es jetzt auch ein Buch über den Entstehungsprozess. Grönemeyer war bei der Lesung am Montag in Berlin dabei. Von Magdalena Bienert

96 Wochen war "Mensch" in den Charts, über zwei Millionen Fans haben Herbert Grönemeyer damals während seiner zweijährigen Tour live gesehen. Er sei völlig "geflasht" gewesen vom Erfolg dieser Platte, erzählt der Musiker am Montagabend im ausverkauften Saal des Kino International in Berlin-Mitte.

"Es geht wieder"

Nun hat die Buchautorin und Grönemeyers Textdramaturgin Arezu Weitholz Gespräche aus der Zeit rund um das Album aufgeschrieben. In "Skizzen und Blicke zurück auf Herbert Grönemeyers Album 'Mensch'", im Mai erschienen, beschreibt sie den Moment, als Grönemeyer Anfang 2001 wie so oft am Klavier Melodien klimpert und da ganz plötzlich eine Tonfolge auftaucht, die alles verändert: "Sie ist schneller, hat Kraft und bricht aus dem Balladenhaften aus. Sie ist die erste Melodie, bei der er ahnt: Es geht wieder." Diese Melodie wird später der Refrain zum Lied "Kein Pokal".

Es war Grönemeyers langjähriger Produzent Alex Silva, der die Idee eines Buches zum 20-jährigen "Mensch"-Jubiläum hatte. Eine Graphic Novel stellte er sich vor. Das ist es nicht geworden, aber neben den Texten finden sich auch viele Zeichnungen oder Infokästen.

Texten als Matheaufgabe

Das entstandene Buch ist ein Muss für Fans, die sehr wahrscheinlich noch Neues erfahren und ihre Freude an dem aufwändigen Layout, den Skizzen und Anekdoten haben werden. Zum Beispiel wie Grönemeyer ans Texten geht: "Ich setze ein Puzzle zusammen. Für mich besteht alles aus Einzelteilen", heiß es da. "Texten ist letztendlich auch das Lösen einer Aufgabe, einer Mathematikaufgabe." So erfährt der Leser, dass der Musiker seine Texte immer per Hand aufschreibt und jedes Album einen eigenen neuen Stift bekommt. Und die Band philosophiert im Buch, dass sich der Bochumer an keine kompositorischen Regeln halte - vielleicht macht das ja Grönemeyers Erfolg aus?

Alles beginnt mit Bananentexten

Bei einer Lesung im Berliner Kino International liest Weitholtz am Montagabend kurze Auszüge, dann kommt Grönemeyer gemeinsam mit seinem Produzenten Alex Silva auf die Bühne - der Jubel ist groß, viele erheben sich. Im gespräch zwischen Moderatorin Marion Brasch und den Dreien erfährt man natürlich viel über den Entstehungsprozess der "Mensch"-Platte, aber nebenbei auch mehr über den Mensch Herbert Grönemeyer: über sein "chaotisches Arbeiten" und wie die richtigen Texte zu ihren Melodien kommen. Es geht immer erst über "Bananentexte", also Fantasiegesang.

Das Album, aufgenommen in den Londoner Abbey Road Studios, ist tatsächlich schon 20 Jahre alt, der 66-jährige Musiker wird nostalgisch. Abgesehen davon, dass es kaum Fotos aus der Zeit gibt, bedauere er die neuen digitalen Prozesse des Abmischens einer Platte, sagt er. Ihm fehle da was, wenn jemand im Computer einfach "zack hier ein Dezibel lauter oder leiser" macht, statt wie früher, wo jedes einzelne Instrument händisch am Pult "eingefahren" werden musste. "Es hat nichts mehr mit der Wärme zu tun, wenn du alles einfährst."

Dieses besondere Album - darüber ist man sich nach zwei Stunden einig - sei "sehr gut gealtert". Grönemeyers elftes Studioalbum - und das erste nach dem Tod von Grönemeyers Frau Anna 1998 - habe nichts von seiner Schlagkraft eingebüßt.

"Mensch" in neuem Gewand

Man könnte stundenlang zuhören. Herbert Grönemeyer ist einfach immer unterhaltsam und grundsympatisch. Am Ende, bei den Publikumsfragen, wird es so gar kurz politisch: Der Musiker fordert nach wie vor einen Sozial-Fonds, in den alle Reichen des Landes einzahlen sollen.

Doch kurz bevor man "Herbie for president" oder "Herbert an die Macht" denken könnte, geht der Musiker - und lässt als letzten Gruß eine völlig neue Song-Version von "Mensch" zurück: Gerade erschienen sind zum einen das französische Lied "Humaine" von Camille und zum anderen das deutschsprachige Lied "Es ist okay, Mensch". Das Schwarz-Weiß Video mit Drum'n Bass Beats der drei Künstlerinnen Balbina, Ace Tee und Ebow läuft als Rausschmeißer.

Das Lied war übrigens nicht Grönemeyers Idee, sondern die der Musikerinnen - eine Hommage an einen großen Pop-Song.

Sendung: Inforadio, 30. August 2022, 07:55 Uhr

Beitrag von Magdalena Bienert

14 Kommentare

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  1. 14.

    mit "Mensch" ging es bei ihm m.E. künstlerisch bergab, 1987 war Ende mit Grönemeyer - zu eckig die Musik, langweilige Texte.

  2. 13.

    Vielleicht können wir ja einfach mal aufhören, jede Aussage und jeden Menschen auf seine vermeintlichen oder tatsächlichen Ansichten zur Covid-Pandemie zu reduzieren. Schliesslich hat Grönemeyer schon 1984 z.B. mit seinem Song "Jetzt oder nie" vom Album "Bochum" Verschwörungstheorien unterstützt: "Sie werden dich fotografier'n. Sie werden dich registrier'n. Du verbaust dir dein ganzes Leben. Warum nur du, es gibt doch so viele andere." (Zitat Ende) - Ist das heute ALLES anders, weil eine Pandemie dazwischen kam, in der viele Leute konträre und sicherlich oft auch befremdliche Ansichten vertraten?

  3. 12.

    Gerdchen,
    besser die kasachische Sirene, die Wildecker Herzbuben oder anderes Schlagergejammer von heiler Welt und Liebe.
    Aber auch das hatten wir schon: frieren, verdunkeln, sparen und "Davon geht die Welt nicht unter"-Propaganda.

  4. 11.

    Na, dann hören Sie doch besser Der Wendler, Xavier Naidoo, NENA Kerner oder vlt. auch Capital Bra oder andere "Anti-Mainstream" Unterhaltungskünstler, die nicht dermaßen "regimetreu" sind, Torsten.

  5. 10.

    Musikalischer Erfolg ist immer auch eine Frage zufälliger oder gelenkter Trends. Bis heute entscheidet z.B. mit, wie oft ein Titel im Radio läuft. Aus dem deutschen wie dem westlich-internationalen Bereich gibt es Künstler oder einzelne Songs, die werden hier Riesen-Erfolge, ähnlich gute hingegen kennen viel weniger: Aus Grönemeyers Generation halte ich in Deutschland z.B. Heinz Rudolf Kunze für ihm mindestens ebenbürtig, aber leider längst nicht mehr so erfolgreich. Englischsprachigen oder etwa italienischen Sänger*n geht es nicht anders. Und dann gibt es ja noch unzählige super Künstler* im großen "Rest der Welt", die in ihren Ländern Stars sind oder auch nicht - die aber hier selbst vom vermeintlich weltoffenen Publikum und allen Sendern (ausser Funkhaus Europa) meist komplett ignoriert werden. Doch das kann man nun Grönemeyer nicht vorwerfen: Er ist ein exzellenter Komponist und Texter - und auch Sänger. Und kann immerhin nicht schlechter tanzen als HRK oder Eugenio Finardi.

  6. 9.

    Dass all Diejenigen, die Grönemeyers Musik zugetan sind und "Mensch" erwarben, billige Opfer einer PR-Strategie wurden, ist sehr weit hergeholt. Zudem: Grönemeyers hervorragende Kompositionen werden nicht wegen seines Gesangs, sondern empfindsam trotz seines Gesangs gemocht. Das kann keine PR glätten. ;-

  7. 8.

    Ich höre lieber Gröni (tja, schlimm, dass mwxd den Text versteht), als 20 x am Tag auf 4 Berl. Sendern, die alle die besten 80iger spielen immer nur M. Jackson, welcher übrigens genauso wie Cocker, Daltrey etc. zu Zuckungen neigte (die üblichen Witze kennen wir, es gibt 'Comedian' die verdienen damit Geld). Aber Liedermacher sind eben nicht Ötzi, den ja alle hören wollen - jaja.

  8. 7.

    Gerochen,
    vielleicht resultiert die Anzahl der verkauften Einheiten nur daraus, weil Empatie und Mitleid eine Rolle spielte.
    Letztlich ging/geht Grönemeyer, z.B. Tocotronic, die Tote Hose, den Weg des angepassten Mainstream.

  9. 6.

    Warum nicht, soll sogar Leute geben die -Wind of Chance - heute noch hören können.

  10. 5.

    Grönemeyers Musik ist nun auch nicht unbedingt mein Fall; aber bei mehr als 3.000.000 verkauften Hardcopy Exemplaren, und sicher noch sehr vielen Digitalverkäufen, kann man wohl kaum von einer nur von der Presse hochgejubelte Platte sprechen.

  11. 4.

    Gibt es wirklich Menschen, die daran interessiert sind, wie eine, bis dato belanglose, nur durch die Presse hochgejubelte Platte entstanden ist?
    Einzig die Entwicklung von einem streitigen Sänger zum Haltungs-Barden ist beachtlich, der Konzerte absagt und keinerlei Ausgleichkonzerte in Aussicht stellte.
    Nun hält der Hofnarr hof und die Jünger kamen nicht in Scharen

  12. 3.

    They came from outer space

  13. 2.

    Gibt es wirklich Menschen, die daran interessiert sind, wie eine, bis dato belanglose, nur durch die Presse hochgejubelte Platte entstanden ist?
    Einzig die Entwicklung von einem streitigen Sänger zum Haltungs-Barden ist beachtlich, der Konzerte absagt und keinerlei Ausgleichkonzerte in Aussicht stellte.
    Nun hält der Hofnarr hof und die Jünger kamen nicht in Scharen

  14. 1.

    mal eine Bitte an rbb24:
    Wäre es nicht möglich, bei Archivbildern einfach auch mal eine Bildunterschrift
    mit zuzufügen? (Fast) jedes mal, wenn ich mit dem Mauszeiger über eure Bilder
    fahre, erscheint "Audio abspielen". Ich möchte im Browser aber keine Mediendateien
    abspielen und bezweifle zudem, dass diese Erleuchtung bringen würde.

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