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Audio: rbb24 Inforadio | 18.04.2023 | H. Ackermann | Quelle: Selina Pfruener

Konzert | Bundesjugendorchester spielt Beethoven

"Sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub!"

Das Bundesjugendorchester befasst sich in der Berliner Philharmonie mit Ludwig van Beethovens fortschreitender Schwerhörigkeit. Seine "Eroica" paarn sie mit modernen Werken - und echten Attacken auf das Trommelfell. Von Hans Ackermann

"Wenn das Gehör versagt - Beethoven und die Frage der Musikwahrnehmung" ist das Konzert an diesem Montagabend in der Berliner Philharmonie überschrieben. Ein "Themenabend", den das Bundesjugendorchester mit Schülerinnen und Schülern des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte im baden-württembergischen Stegen zusammen erarbeitet hat.

Die exzellenten Orchestermusikerinnen und Orchestermusiker im Alter von 14 bis 19 Jahren werden bei diesem Konzert von Christoph Altstaedt dirigiert. Der Dirigent hat zwischen die vier Sätze der Sinfonie Nr. 3 von Ludwig van Beethoven jeweils ein zeitgenössisches Werk von Brett Dean, Bernhard Wulff und Mark Barden gesetzt. Werke, die sich in unterschiedlicher Weise auf Beethoven und seine um das Jahr 1800 zunehmende, bis zu seinem Tod 1827 zu vollständiger Taubheit führende Gehörerkrankung beziehen.

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Bis zur Schmerzgrenze

In den ersten drei Sätzen der "Eroica" ist die philharmonische Welt noch in Ordnung. Wohlklang, Perfektion, jugendliche Frische - nichts anderes erwartet man, wenn das bundesweit beste Jugendorchester im besten Konzertsaal der Stadt zu Gast ist.

Doch der Schlusssatz der Sinfonie Nr. 3 klingt später irgendwie verzerrt. So als seien die eigenen Ohren überreizt - was sie tatsächlich auch sind und wohl auch sein sollen. Denn vor den Schlusssatz - der natürlich in der gleichen Qualität gespielt wird wie alles andere - lässt Dirigent Christoph Altstaedt seine jungen Musiker "The Weight of Ash" spielen.

Ein Auftragswerk, in dem der in Berlin lebende amerikanische Komponist Mark Barden sein Konzept einer physischen, mit dem ganzen Körper wahrnehmbaren, kraftvollen, bisweilen brutalen Musik in ebensolche Klänge überträgt - Stress pur für die Ohren, die sich danach eigentlich erst einmal erholen müssten.

Die unangenehm hohen Rückkopplungs-Frequenzen erzeugt dabei eine elektrische Sologitarre, die Adrian Pereyra - dem Willen des Komponisten folgend - aber eigentlich nur als Tongenerator benutzt. Die Schlagzeuger bearbeiten derweil mit aller Kraft Trommeln und Becken, aber auch gewaltige Stoßdämpfer-Federn, die einen markant-metallischen Klang erzeugen. Das etwa zehn Minuten dauernde Werk sei von Beethovens "Appassionata" inspiriert, liest man im Programmheft - verzerrte Fetzen der berühmten Klaviersonate mögen tatsächlich irgendwo im krachenden Fortissimo des Orchesters versteckt sein.

Zum Glück erfolgt die Attacke auf das Trommelfell nicht ohne Vorbereitung. Vor der Pause widmet sich Brett Deans Stück "Testament" dem - allerdings leisen - Kratzen von Beethovens Schreibfeder auf dem Papier seiner Partituren. In Bernhard Wulffs "Carillon für Glockenklänge" musizieren hörende und hörbeeinträchtigte Schlagzeuger und Perkussionisten auf wunderbare Weise zusammen, lassen mit Gongs und Klangschalen geradezu "sichtbare" Klänge entstehen - oder zumindest eine Ahnung davon aufscheinen.

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"Sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub"

Modern diagnostiziert litt Beethoven an Innenohrschwerhörigkeit gepaart mit Hyperakusis - der Komponist war also nicht nur schwerhörig, sondern auch äußerst geräuschempfindlich. Ein tückisches Leiden, das Menschen mit intaktem Gehör kaum nachvollziehen können: Betroffene können am Tisch keinem Gespräch mehr folgen, werden gleichzeitig aber vom leisen Gläserklirren oder einem herunterfallenden Besteckteil heftig und schmerzhaft erschreckt.

Beethovens "Heiligenstädter Testament", jenen verzweifelten, auch von Suizid sprechenden Brief an seine Brüder, mit dem berühmten Satz "Sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub", tragen Schülerinnen und Schüler des Bildungs- und Beratungszentrums Stegen vor, einer integrativen Förderschule für Hörgeschädigte im Hochschwarzwald. In Gruppen stehen sie dabei auf der Bühne und übersetzen den gesprochenen Text für das Publikum in Gebärdensprache. Wort für Wort - was zu völliger Stille im Saal führt und damit zu den stärksten Momenten des gesamten Abends.

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.05.2023, 08.00 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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