Museum Europäischer Kulturen in Berlin - "Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation" bricht mit Tabus

Fr 06.10.23 | 16:55 Uhr | Von Susanne Lang
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"Läuft": Ausstellung zur Menstruation im Museum Europäischer Kulturen. (Foto: rbb)
Video: rbb24 Abendschau | 05.10.2023 | Ullrich Crüwell | Bild: rbb

Selten wird es in Staatlichen Kultureinrichtungen so intim: Das Museum Europäischer Kulturen Berlin wagt sich seit Freitag in einer Sonderausstellung an das Thema Menstruation und hat Erstaunliches zusammengetragen. Von Susanne Lang

  • alltagsaktuelles Museum will Entwicklung der Produkte rund um die Menstruation darstellen
  • drei Jahre Vorbereitung auf Ausstellung
  • auch gesellschaftlicher Diskurs wird abgebildet

Das blutige Rot an der Wand sieht frisch verschmiert aus. Dunkelbraune Farbsprengsel mischen sich darunter, die an Gewebereste erinnern. Schon der Eingangsbereich dieses besonderen Museumsprojekts lässt ahnen, was die Besucherinnen und Besucher gleich erwarten wird. Hier geht es ins Innere des weiblichen Körpers und an die Grenzen dessen, was lange Zeit in unserer Gesellschaft zeig bar war. "Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation" ist ab heute im Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin-Dahlem zu sehen. Sie will mit den letzten Tabus rund um das Thema Monatsblutung brechen.

Die Binden waren genäht oder gestrickt

Der erste Teil der Ausstellung präsentiert die Geschichte der Menstruationsprodukte. Sehr lange reicht diese nicht zurück, vor gut 140 Jahren erst kamen die ersten speziellen Unterwäschen und Binden zum Einsatz. Damals waren sie aus Stoff genäht oder aus Wolle gestrickt. Mit der Entwicklung von Einwegprodukten wird das Angebot vielfältiger und bunter. Rund 100 historische und aktuelle Menstruationsartikel versammelt die Ausstellung. Die Exponate reichen von Tampons über Kunststoffbinden und Menstruationstassen bis hin zu moderner, nachhaltiger Periodenunterwäsche. Ein besonderes Highlight ist eine Extra-Kabine, in der Besucherinnen die Modelle aus dem 19. Jahrhundert selbst anprobieren können. Nachgenähte Exemplare hängen zum Testen bereit.

"Als alltagskulturelles Museum wollen wir die Entwicklung der Produkte nachzeichnen, aber auch einen Eindruck vom Lebensgefühl der Frauen vermitteln", sagt Jana Wittenzellner, Kuratorin der Sonderschau. Das gelingt gut. Beim Anblick eines dreieckigen Stofftuchs, das wie eine Windel um den Unterleib gebunden wurde, kann man heute leicht nachvollziehen, wie der Zuwachs an Komfort über die Jahrhunderte auch zu mehr Bewegungsfreiheit von Menstruierenden geführt hat.

Wie viele Eizellen bildet eine Frau im Laufe ihres Lebens?

Über drei Jahre hat Wittenzellner gemeinsam mit Co-Kuratorin Sofia Botvinnik an der Konzeption gearbeitet und recherchiert. Denn trotz aller Aufklärungsarbeit fehlt es auch heute noch an Wissen über den weiblichen Zyklus. Dieses Wissen will die Ausstellung in einem zweiten Themenbereich vermitteln. So sind auf drehbaren Schildern beispielsweise Fragen notiert, die Antworten erfährt man auf der Rückseite. Wie viele Eizellen bildet eine Frau im Laufe ihres Lebens? Wer es noch nicht wusste: 300.000 bis 500.000. Ist Menstruationsblut schmutzig oder giftig? Nein, es ist genauso rein wie anderes Blut auch.

Die Ausstellung räumt auf diese Weise leicht verständlich mit Vorurteilen und falschen Theorien auf. So hielt sich beispielsweise lange der Irrglaube, dass das "Periodengift" Blumen verwelken ließe. Den Gebärkröten widmet "Läuft" eine ganze Vitrine. Die kleinen Amulette aus Wachs sollten eine gute Geburt bringen. Die Gebärmutter stellte man sich damals als krötenähnliches Tier vor, das im Bauch kratzt und beißt und damit die Blutung auslöst.

Aber auch in der modernen Medizin gibt es noch Lücken in der Forschung zur Menstruation. "Das hat Einfluss auf die Gesundheit von Frauen und menstruierenden Menschen", sagt Wittenzellner. Daher sei es wichtig, dass über das Thema und die Konsequenzen für die Lebensqualität gesprochen werde.

Heute diskutieren wir Menstruationsurlaub

Im gesellschaftlichen Diskurs jedenfalls ist Menstruation mittlerweile angekommen. Auch das zeigt die Ausstellung in einem dritten Bereich anhand von historischen Werbeanzeigen, Videos, Zeitungsartikeln und Social Media Posts. "Einfach bluten geht nicht", so bringt es Wittenzellner auf den Punkt. Die Menstruation sei immer eingebunden in Diskurse, die im Laufe der Zeit mehrfach ihr Gesicht verändert hätten. Diskutierte man vor 50 Jahren noch die Keimfreiheit und den erstrebenswerten ausgeglichenen Charakter von Frauen auch während der Periode, so geht es heute um Menstruationsurlaub und die Nachhaltigkeit von Hygieneprodukten. Kuriose Geräte wie eine Verbrennungsmaschine für gebrauchte Binden, wie sie in der Ausstellung zu sehen ist, sind heute tatsächlich nur mehr ein Fall fürs Museum.

Die Veränderungen im Blick auf Menstruierende spiegelt auch der vierte Bereich der Schau. Dort gibt es Video-Ausschnitte aus Filmen, Serien und Comedy zu sehen sowie Abbildungen von Kunstwerken, die sich mit dem Thema Menstruation beschäftigen. "Die Ausstellung soll Spaß machen und vergnüglich sein, auch für Menschen, denen der Umgang mit dem Thema schwerfällt", so Wittenzellner.

Das Publikum darf mitgestalten

Neben den Leinwänden liegen Stifte und Zettel bereit, auf denen den Besucherinnen und Besucher ihre Gedanken, Eindrücke und Anregungen festhalten können. Es ist nur eines von vielen interaktiven Elementen. "Das Publikum darf die Ausstellung mitgestalten und mitformen", sagt Sofia Botvinnik. Das sei der rote Faden. Das Interesse an der Schau jedenfalls ist bereits groß. Schon vor der Eröffnung gingen viele Anfragen beim MEK ein, von Schulklassen und anderen Interessierten. Ein Jahr lang wird "Läuft" nun in Berlin-Dahlem zu sehen sein.

Sendung: rbb24 Abendschau, 05.10.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Susanne Lang

22 Kommentare

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  1. 22.

    Fein! Und was machen wir morgen?
    Eine Ausstellung über Bartwuchs, Nasen- und Ohrenhaare, Stimmbruch, Brustbehaarung und hervortretende Adamsäfpfel? Nicht nur ab Pubertät mit Jahrzehnten Laufzeit, sondern wirklich lebenslang. Wenn ich ein Mann wäre, würde mich das echt nerven. Deshalb: Ein bisschen Gleichberechtigung zum Thema wäre schön. Rasierer werden an Schüler noch nicht verteilt - das wird jetzt aber mal Zeit! Mein Gott Walter!

  2. 20.

    Von mir aus gern. Auch davon ausgehend, dass sich viele Frauen an weit mehr Stellen rasieren, als die Herren.

  3. 19.

    Das Wort "Menstruations-Urlaub" ist eine Frechheit ohne Gleichen. Eine Verhöhnung.
    Ich leide seit Jahrzehnten an Endometriose. Furchtbare Schmerzen, Kreislauf-Zusammenbrüche... , starke Schmerzmittel. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich endlich die Diagnose bekommen habe. Bin mehrfach in der Notaufnahme gelandet...Das ist kein Urlaub !!! Da ist man arbeitsunfähig ! und nicht mal in der Lage, einen Arzt aufzusuchen. Nur wer selbst von Endometriose betroffen ist, weiß, was es bedeutet...

  4. 18.

    Hoffentlich wird dort auch das Thema " Endometriose" dargestellt! Verwachsungen im Bauchraum, außerhalb der Organe. Sie wirken hormonell , rufen bei manchen wahnsinnige Schmerzen hervor ,bei anderen wachsen sie in den Darm ( Darmbeutel vor dem Bauch notwendig)hinein....Alles von Ärzten abgetan als hysterische Frauenleiden und mit Ultraschall, CT usw. kaum zu erkennen. Nur durch OP. Viele junge Frauen haben schon ihre 3. und 4. OP hinter sich, weil die Verwachsungen einfach wieder wachsen. Die Politik schweigt und will kein Geld für die Forschung geben! Anzahl Betroffener : ca. soviele wie Diabetes Kranke!!!!

  5. 15.

    Ja, irgendwie sehe ich das auch so. Jede mag damit anders umgehen.

  6. 14.

    NIEMAND sagt, daß Schwangerschaft zu Rissen der Halte-/Stützstrukturen und bleibenden Beschwerden führen kann...
    Altes wissen über weibliche Schwellkörper wird wieder neu...
    Ausformungen weiblicher Intimität gelten als Standart, während Abweichungen (hypertrophe labia minora, Klitorishypertrophie o.ä.) als anormal gelten aber jegliche männliche "Pracht" von fraglicher Schönheit filmreif sein soll....

    Ja, das Thema ist aktuell denke ich...
    Und warum wird jede unforme "Wurst" präsentiert...?!?

  7. 13.

    Rund 20 Jahre trug ich während der Arbeitszeit einen Tampon neben allem anderen bei mir, um als Kavalier im Notfall aushelfen zu können, bisweilen auch privat.

    Er kam nie zum Einsatz.
    Sofern er zur Sprache wurde war es zu spät (Selten!), allein, vielmehr zeigen die Reaktionen von Männern ((unsicheres) Veralbern) und Frauen (unsicheres Belächeln, manchmal Achtung), die Berechtigung des verschwiegenen Themas.
    Oder als männl. /heteros. ehem. Single einen Hygieneeimer an der Toilette zu haben...

  8. 12.

    Das stimmt. Und es gab noch eine andere Werbung: "Ich möchte dein Tampon sein..
    " (Prinz Charles zu seiner Angebeteten...) lol

  9. 11.

    Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie froh ich war als der,, Mist "vorbei war,viel zu wenig Aufklärung.

  10. 10.

    Man muss sich folgendes nur vorstellen: NIEMAND sagt den Frauen vor/während der 1. Schwangerschaft, dass sie danach für den Rest der fruchtbaren Jahre verbluten, einmal im Monat. Bis zur Erfindung der Pille war eine weitere Schwangerschaft die einzige Möglichkeit, das zu unterbinden....

    Wer hätte das gedacht?

  11. 9.

    Da es sehr viele Frauen gibt, die bis zu eine von vier Wochen komplett an Schule, Beruf und Familienleben ge-/behindert werden durch die Menstruation, wäre es schön, wenn es einen Raum im Museum zum Thema "Beschwerden" und Verhinderung derselben gäbe. Unverständnis seitens Gyns und Mitmenschen wie Kommentator Matze ist immer noch weit verbreitet. Die Pille, die zum Verhindern von Menstruationsbeschwerden verordnet wird, müsste desweiteren kostenlos sein.

    Menstruieren ist eine Geschichte von Leid(en) und Benachteiligungen!

  12. 8.

    Unter einem Artikel zur sexuellen Aufklärung und Bildung dürfen Chauvi-Sprüche und Frauenbilder von vorgestern natürlich nicht fehlen. Das unterstreicht, dass so eine Ausstellung unbedingt nicht nur in Berlin-Dahlem(!) stattfinden sollte und dass sie nötig ist.

    Die in sehr vielen Erdteilen kulturgeschichtlich geprägte Einordnung von Frauen als vermeintlich unrein, ausdrücklich auch zur jeweiligen Blutungsphase, kann nicht immer so gewesen sein. Bei 300.000 Jahren Geschichte allein des homo sapiens sapiens stellt sich schon die Frage, wie pragmatisch oder diskriminierend der Umgang nach Zeit und Region in etwa war.

  13. 7.

    Meine Güte, muss man denn alles, auch alles im Museum oder in der Öffentlichkeit breit treten? Ich bin eine Frau, und möchte das eigentlich nicht. Aber wir sind ja so hip...

  14. 6.

    Ich hätte lieber schon viel früher gewusst, dass es Menstruationstassen gibt. Eine sehr saubere, sichere und unauffällige Art, das Menstruationsblut aufzufangen. Zudem ist die Menstruationstasse umweltfreundlich, da immer wieder verwendbar. Es entsteht fast kein Abfall, außer vielleicht Toilettenpapier. Man braucht keine Tampons und keine Binde. Zur Sicherheit kann man eine dünne Slipeinlage zusätzlich verwenden, die aber normalerweise nicht blutig wird. Tolle Erfindung!

  15. 5.

    Es gab mal eine Tampon-Werbung, die begann mit den Worten: „Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse.“ Wurde seinerzeit oft belächelt. Stimmt aber noch immer. Gut, dass mal der historische Umgang mit der Menstruation vorgeführt wird. Selbst heute glauben immer noch viele Menschen, das sei eine reine Frauenangelegenheit. Dabei ist es eigentlich ein Thema, mit dem Sie sich vielleicht auch befassen sollten, da Sie ja offenbar glauben, dass bereits die kostenlose Verteilung von Menstruationsartikeln in Schulen zu viel des Guten ist.

  16. 4.

    Fragen Sie doch einfach mal Frauen, was die zu diesem Thema zu sagen haben. Oder noch besser: Gehen Sie in die Ausstellung. Da bekommen Sie Antworten auf Ihre Frage.

  17. 3.

    In diesem Fall wünsche ich Ihnen, über 30 Jahre lang einmal im Monat zu menstruieren, vielleicht verstehen Sie es dann...

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