Sondierungsgespräche zwischen SPD und BSW - Viele Gemeinsamkeiten und eine Sollbruchstelle

Di 22.10.24 | 06:04 Uhr | Von Michael Schon und Hanno Christ
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Robert Crumbach (BSW), Jan Redmann (CDU) und Dietmar Woidke im ARD-Wahlstudio
Audio: rbb24 Inforadio | 22.10.2024 | Jonas Ziegler | Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Seit knapp drei Wochen führen SPD und BSW in Brandenburg Sondierungsgespräche. Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Wiegen sie stärker als eine Festlegung in der Ukraine-Frage, wie sie Parteichefin Wagenknecht fordert? Von Michael Schon und Hanno Christ

  • SPD und BSW haben Schnittmengen vor allem bei Migrations- und Sozialpolitik
  • Auf Landesebene ist die Rolle des Verfassungsschutzes eine mögliche Hürde
  • Größte Herausforderung bleibt die Ukraine-Politik

Gefühle ja - Inhalte nein: SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) äußern sich bisher nur vage zu ihren Sondierungsgesprächen. Die Stimmung sei positiv. Aber Inhalte wollen die Parteien nicht preisgeben.

Es herrscht derzeit auch Stillschweigen darüber, wann eine mögliche Entscheidung über Koalitionsgespräche fallen könnte.

Aber woran könnte es haken? Und wo gibt es Schnittmengen?

Ein Streitprojekt der bisherigen Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Bündnisgrünen würde in einem neuen Bündnis aus SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wohl sehr schnell abgeräumt: die Bezahlkarte für Asylsuchende.

Beide Parteien versprechen die Einführung in ihrem Wahlprogramm. Beide wollen damit Überweisungen ins Ausland und eine mögliche Bezahlung von Schleusern erschweren. Die Frage, wie viel Bargeld Asylsuchende mit der Karte abheben können, spielt dagegen keine Rolle – anders als in der bisherigen Debatte.

Brandenburg: Härter Kurs gegenüber Einwanderung möglich

Ganz generell lässt sich aus beiden Kapiteln zur Migrationspolitik ein härterer Kurs gegenüber Einwanderern herauslesen – auch wenn er beim BSW schärfer formuliert ist als bei der SPD. "Im Bereich der Migration ist man sich näher als in anderen Bundesländern", sagt der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam. Gleiches gelte für sozialpolitische Themen.

SPD und BSW Brandenburg: Schnittmengen bei Schuldenbremse, Mieten, Polizei

Thomeczek hat in einer Studie ein gutes Dutzend seiner Wissenschaftskollegen an Brandenburger Universtäten und Hochschulen nach Schnittmengen und Unterschieden zwischen SPD und BSW befragt. Mit dem Ergebnis: Bei Themen wie einer Lockerung der Schuldenbremse, einer stärkeren Regulierung von Wohnungsmieten oder in der Bildungspolitik liegen beide Parteien relativ nahe beieinander. Auch bei der Frage, ob Wirtschaftswachstum wichtiger ist als Umweltschutz, schlägt das Pendel bei beiden in Richtung Wirtschaftsfreundlichkeit.

Bei der Innenpolitik gibt es Schnittmengen, aber auch Unterschiede. Mehr Stellen bei der Polizei – darauf könnten sich beide Partner in einem Koalitionsvertrag vermutlich recht schnell einigen. Schwieriger dürfte es bei der Rolle des Verfassungsschutzes sein, dessen Befugnisse das BSW begrenzen will. Den eben erst eingeführten Verfassungstreue-Check, eine Regel-Anfrage für angehende Beamte beim Verfassungsschutz, will das BSW sogar wieder abschaffen, sieht ihn als Instrument, nicht-konforme Meinungen zu unterdrücken. Die SPD dagegen betont im Wahlprogramm, Beamtinnen und Beamte müssten uneingeschränkt zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.

SPD und BSW - woran hapert es noch?

Dennoch sieht Politikwissenschaftler Thomeczek so viel Übereinstimmung, dass er sich die Frage stellt: Wo hapert es eigentlich noch? Die Antwort liegt aus seiner Sicht nahe: Waffenlieferungen an die Ukraine, die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland – Themen, bei denen das Land Brandenburg eigentlich nicht mitentscheiden kann. "Insofern geht es da vor allen Dingen um die symbolische Wirkung", fasst Thomeczek zusammen. Druck auf die Bundespolitik über die Länder – ob sich die SPD darauf einlassen wird?

Von der SPD ist dazu bislang wenig zu hören. Seit einem Gastbeitrag von Ministerpräsident Dietmar Woidke in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", den er gemeinsam mit Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und dem Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt veröffentlichte, gibt es aus der Potsdamer SPD-Zentrale nichts Neues zur Ukraine-Politik. Und auch damals ging es neben einem Bekenntnis zum Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und ihrer territorialen Integrität eher um ein allgemeines Bekenntnis zu stärkeren diplomatischen Bemühungen.

BSW-Chefin Wagenknecht hingegen lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig ihr eine Absage an Waffenlieferungen und Mittelstreckenraketen ist – im Wahlkampf immerhin das Alleinstellungsmerkmal ihrer Partei. Selbst Thüringens BSW-Vorsitzende Katja Wolf ließ sich jüngst im Interview mit "Zeit Online" zur Aussage verleiten, Wagenknecht sei "auf die Bundestagswahl fokussiert".

Crumbach: Bundestagswahl ist für BSW entscheidend

Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach teilt die Analyse seiner Parteifreundin in Erfurt, findet daran aber nichts Kritikwürdiges. "Natürlich" sei die Bundestagswahl im nächsten Jahr auch für das BSW entscheidend. "Es ist natürlich richtig, dass Frau Wagenknecht das im Blick hat", findet Crumbach.

Offenbar ist den Landesverbänden klar, dass die Ära BSW in den Landtagen sehr schnell wieder vorbei sein kann, wenn der Einzug in den Bundestag im nächsten Jahr misslingt. Aber eben auch, wenn es sich in den Ländern um Verantwortung drückt. Das führt zu gemischten Signalen an den potenziellen Koalitionspartner SPD. Dem rbb sagte Crumbach: "Da müssen wir erstmal schauen, ob wir überhaupt Koalitionsverhandlungen aufnehmen." Nur um nachzuschieben: "Aber wir werden nicht das Interesse der Bundestagswahl über das Interesse Brandenburgs stellen."

Was das für die Sondierungsgespräche in Brandenburg bedeutet, könnte sich schon in den nächsten Tagen zeigen, wenn die Vorstände beider Parteien zu ihren Sitzungen zusammenkommen. Von den Verhandlern gibt es erste Andeutungen, dass die Gespräche allmählich zu einem Ende kommen könnten. Für das BSW rückt damit die Stunde der Wahrheit näher.

In Thüringen hat dessen Landesvorstand beschlossen, eine Präambel zur Ukraine-Politik im Koalitionsvertrag zur Bedingung für Verhandlungen über eine Regierungskoalition zu machen und einen Formulierungsvorschlag zu machen.

Daran wird sich zweierlei ablesen lassen: Welchen Spielraum Wagenknecht den BSW-Landesverbänden gibt. Und wie groß ihr Interesse an einer Regierungsbeteiligung in den Ländern tatsächlich ist.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.10.2024, 7:20 Uhr

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Beitrag von Michael Schon und Hanno Christ

97 Kommentare

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  1. 97.

    Als Pazifist lehnt man grundsätzlich jede Gewalt ab, aber man sieht nicht tatenlos zu, wenn anderen Gewalt angetan wird!
    Ergo, mäßigen sie sich in sinnfreien Tiradeergüßen über die Grünen

  2. 96.

    Vertreten diese Politiker wirklich deutsche Interessen oder nicht eher die Interessen einer Großmacht jenseits des Atlantiks?

  3. 95.

    Naja, da Sie hier ja Ihre offensichtlich ziemlich simpel strukturierte Perspektive hinreichend offengelegt haben, wird Ihnen diese Meinung wohl niemand mehr nehmen können...

  4. 94.

    Na, die von einer einst pazifistischen Partei zur größten Kriegshetzerpartei verkommenen Grünen sollten sich da lieber nicht zu laut aufregen. Unglaubwürdiger als die Grünen ist derzeit keine andere Partei in Deutschland.

  5. 92.

    Wenn die Grundbedingung jeder Form von Verhandlungen, zu denen Selenskyj bereit ist, der Rückzug Russlands aus allen derzeit von Russland kontrollierten Gebieten einschließlich der Krim ist, worüber soll dann noch verhandelt werden? Nicht Putin, Selenskyj verweigert also ernsthafte Verhandlungen.

  6. 91.

    Auch wenn alle anderen hier Lesenden zurückscrollen müssen, was ohnehin nahezu niemand macht, will ich für die Wenigen, die dies dennoch tun und sich Zeit dafür nehmen, antworten:

    Dass die Marktliberalen "den Schwimmkurs versäumt" haben und alle anderen innerhalb der Regierung dafür verantwortlich machen, kann nur aus dem Kontext verstanden haben, aber nicht losgelöst, was ansonsten zu einem "verbalen Fingerhakeln" führt. Dazu allerdings ist mir meine Zeit zu schade.

    Das Wortspiel bezog sich auf die Wahlergebnisse der Marktliberalen, die mit den Liberalen an sich nicht verwechselt werden dürfen, wie sie zu früheren Zeiten ggf. mal bestanden. Im hier betreffenden Land Brandenburg gab es eine Ausbeute von 0,83 % bei aller Großtönerei und bei allerlei gezielter Provokation wie bspw. der unseligen Parole "Freie Fahrt für freie Bürger". Nicht trotz dessen, sondern gerade deswegen ist die FDP ab Absaufen.

  7. 90.

    erfährt, nur die Interessen einiger Deutscher, lange nicht aller. Was nun für Deutschland gut sein wird, zeigt sich erst hinterher.

  8. 89.

    Bitte meinen Beitrag vollständig lesen, nachdenken bevor man anderen Dinge unterstellt. Die von Ihnen abqualifizierten Person vertreten im Gegensatz zum BSW und zur AfD deutsche Interessen.

  9. 88.

    Frau Wagenknecht nicht zu ihre Wahlversprechen einzulösen, wer mit dem BSW koalieren will, kannte die Bedingungen schon vorher. Es wird ja niemand dazu gezwungen.

  10. 87.

    Die Kaderschmiede BSW ist in etwa so "linksextrem" wie einst die Strasser Brüder. Das ist Querfront mit einem gehörigen Schuss Selbstsdarstellung der Frau Wagenknecht.

    National + sozialistisch ergibt genau was? Genau!

  11. 86.

    Ich bin der gleichen Meinung, hinzu kommen die derzeitige Erpressungsversuche der Frau Wagenknecht in Thüringen, und die lassen aufhorchen.
    Ich hoffe, dass die kultigen Versuche dieser Frau zum "Schuss" nach hinten werden, und das Thema "BSW" hat sich bald erledigt.

  12. 85.

    >"Alles schon gesagt."
    Ich weiß. Haben nur nicht alle bisher gehört oder verstanden, selbst die Sarah nicht. Steter Wiederholungstropfen höhlt den Stein oder dringt irgendwann ins logisch denkende Gehirn. Ich möchte schlicht in meinem Land hier verteitigt werden. Putins Russland ist eben nicht mehr die liebe Großmacht, sondern mit nem echt wirren Führer derzeit. Diktatoren haben eben den Nachteil, dass die unberechenbar sind und ständig nen zappeligen Finger am roten Atomknopf haben. Wäre echt nett, wenn wir dann zumindest halbwegs taugliche Abwehrwaffen hätten. Auch gegen mögliche konventionelle Drohnen.
    So und jetzt kommt mir keiner mit... das wird er nicht machen. Die Sarah hat auch schon mal gesagt, dass Putin die Ukraine nicht angreifen wird. Niemand hat die Absicht... naja...

  13. 84.

    Da Rechtsextreme ihre Meinung äußern dürfen, sollten wir es auch den linksextremen BSW Anhänger zugestehen. Da hilft keine Diskussion mehr. Wer antiwestliche Politik macht, der ist selbstzerstörerisch. Hinzukommen die Trolle aus Russland. Überlass es den Profis, damit umzugehen.

  14. 83.

    „ Bundeswehr sich taktische Verteidigungswaffen anschafft. So ist die USA mit eigener Stationierung auf Bundesgebiet außen vor “. Das ist auch der eigentliche Plan. Nur, die Beschaffung dieser Waffen dauert noch, daher die Zwischenlösung mit den US Waffen. Alles schon gesagt. Pistorius hat es auch wiederholt erklärt.

  15. 82.

    Jede Waffe lässt sich auch zum Angriff nutzen. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und kein Angriffsbündnis! So ist die Nutzung von Waffen auch in den NATO Statuten festgelegt. Dort steht auch drin, dass wenn ein NATO-Mitglied von sich aus einen Angriff auf einen anderen Staat ausführt, was es eigentlich nicht darf, dann keine Verteidigungsunterstützung von der NATO kommt.
    Wie schon in einem vorherigen Kommentar von mir vorgeschlagen, wäre ein Kompromiss, dass die Bundeswehr sich taktische Verteidigungswaffen anschafft. So ist die USA mit eigener Stationierung auf Bundesgebiet außen vor und unser Land natürlich immer ein Teil der gesamten NATO-Verteidigungsstrategie. Denn SW brüllt auf jeder Kundgebung gegen die Stationierung von USA-Raketen hier. Bei der Bundeswehr sinds dann unsere.

  16. 81.

    Eine Mehrheit für den von Wagenknecht geforderten NATO-Austritt und Aufkündigung der amerikanischen nuklearen Teilhabe kann ich in keiner Umfrage erkennen.
    Und die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands wird immer noch von der gewählten Bundesregierung und nicht von irgendwelchen Demagogen stellvertretend über ostdeutsche Bundesländern organisiert.

  17. 80.

     „Folgt man Frau Wagenknecht, würde es die Ukraine bald nicht mehr geben mit katastrophalen Auswirkungen auf uns. Wir hätten dann noch eine größere Flüchtlingswelle.“
    Das sind also Jostis Hintergedanken und womöglich auch der vieler Politiker. Der Flüchtlingswelle soll anscheinend durch Lieferung von immer mehr Waffen begegnet werden. Jede erfolgreich zur Detonation gebrachte Granate, Rakete oder Drohne spart Plätze in unseren Aufnahmeheimen. Man muss nur noch dafür sorgen, dass der Krieg möglichst lange andauert. Verhandlungen sind da wirklich kontraproduktiv. Ein hoch unseren ach so genialen Koryphäen Scholz, Merz, Habeck, Bearbock, Hofreiter, Strack-Zimmermann oder sonst wie sie noch heißen.

  18. 79.

    Ist doch schön wie die Wagenknecht-Wähler hier ihre eigenen Argumente beliebig auslegen und sich wie ihr Vorbild ständig widersprechen.

    Das macht den ganzen „Friedens“-Laden auch so furchtbar glaubwürdig.

  19. 78.

    Da kann ich ja aber nun wirklich nichts dafür, wenn Sie die Komplexität des Themas überfordert. Aber vielleicht finden Sie Imperialismus auch einfach okay, ich will Ihnen da nicht zu nahe treten.

    Dass Putin nicht zu Verhandlungen bereit ist, haben Sie aber mitbekommen...?