Soziale Einrichtungen besorgt über Energiekosten - Wenn die Helfenden selbst Hilfe brauchen

Di 20.09.22 | 06:21 Uhr | Von Helena Daehler
  3
Symbolbild: Sozialarbeiterin sucht am 25.02.2019 in der Kleiderkammer der Notübernachtung für Straßenjugendliche "Sleep In" Kleidung für einen Jugendlichen heraus. (Quelle: dpa/Britta Pedersen)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.09.2022 | Konrad Spremberg | Bild: dpa/Britta Pedersen

Schuldnerberatungen, Kleiderkammern oder Wohngruppen: Auch soziale Träger sind von den steigenden Energiekosten betroffen. Die bisherigen Entlastungszahlungen reichen nicht aus, kritisiert der Paritätische Gesamtverband. Von Helena Daehler

In einem Altbau nahe des Görlitzer Parks wohnen 19 Berliner:innen, die auf dem regulären Wohnungsmarkt vermutlich keine Wohnung gefunden hätten. Sie sind angewiesen auf finanzielle Hilfe und therapeutische Begleitung, viele von ihnen haben psychische Erkrankungen und können keiner geregelten Arbeit nachgehen. Deshalb wohnen sie in sogenannten Trägerwohnungen der gemeinnützigen Prowo Berlin, einem Netzwerk mit verschiedenen Angeboten im psychosozialen Bereich.

Die Energiekrise macht vielen Bewohner:innen große Sorgen, besonders die gestiegenen Heizkosten. Die müsste eigentlich das Jobcenter für die Bewohner:innen übernehmen, doch bisher blieben die gestellten Anträge unbeantwortet. Unklar ist: Akzeptiert das Jobcenter die Gasrechnungen, obwohl sie über dem liegen, was laut Verordnung als angemessen gilt? Das sorgt für große Unsicherheit.

Schutzfonds für soziale Einrichtungen gefordert

Die steigenden Heiz- und Stromkosten treffen auch soziale Einrichtungen wie Prowo. In einem Brandbrief Anfang September warnte der Paritätische Gesamtverband der Sozialen Träger vor einer Insolvenzwelle und forderte einen Schutzfonds für soziale Einrichtungen und Dienste [der-paritaetische.de].

Zumindest beim Strom ist bei den Bewohnern der Prowo bereits Hilfe angekommen: Die Bundesregierung hatte zusätzlich zu Hartz IV einmalig 200 Euro bezahlt. Aber auch das reiche langfristig nicht aus, befürchtet Stefan Lutz, Sozialmanager der Prowo Berlin: "Die Steigerungen allein im Bereich der Stromkosten, die die Bewohner:innen von ihrem Geld zahlen müssen, sind in einer Größenordnung von mindestens 50 Euro pro Monat."

Das bringe den sozialen Träger nicht nur in eine finanzielle, sondern auch in eine moralisch schwierige Lage, so Lutz. Er will sich um die Menschen kümmern, kann aber nicht, da die Übernahme der Strom- und Heizkosten das Budget sprengen würde. Auch die Kosten für Therapie-, Büro- und Beratungsräume sind gestiegen.

Soziale Träger sehen ihre Liquidität gefährdet

Helmut Elle, Hauptgeschäftsführer bei Prowo, sieht die Liquidität des - vergleichsweise großen - Trägers in Gefahr: "Wir brauchen dringend Hilfe der Politik, damit die Träger nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben und pleite gehen." Im Falle der Prowo würde das Menschen in 270 Wohnungen in Berlin treffen, die dann von Wohnungslosigkeit bedroht wären.

Die rot-grün-rote Koalition hat weitere Entlastungen wegen der Energiekrise angekündigt. Im Haushalt sind bisher 380 Millionen Euro für Härtefälle eingeplant. Die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat am Montag Maßnahmen in sechs Bereichen angekündigt, neben Hilfen für Privathaushalte und Unternehmen unter anderem auch die Absicherung von sozialen Einrichtungen in der Hauptstadt.

Allerdings muss darüber erst noch der Senat entscheiden - und zur Finanzierung wird es nicht ohne Nachtragshaushalt gehen. Offen blieb, wie hoch die Hilfe wirklich ausfallen wird und wie sie bei den Trägern ankommt. Auf eine konkrete Summe haben sich die Parteispitzen noch nicht festgelegt. Giffey begründete das damit, dass derzeit noch vieles offen sei, etwa mit Blick auf die Kosten der Maßnahmen im Bund für die Länder. Insgesamt will die Berliner Landesregierung Finanzmittel zwischen 0,8 und 1,5 Milliarden Euro aufwenden. Die genaue Höhe solle aber erst festgelegt werden, wenn klar sei, wofür der Bund Geld gibt, und wofür nicht. Doppelförderung müsse vermieden werden, machte Giffey klar.

Unklar, wer vom Brandenburger Rettungsschirm profitiert

In Brandenburg wurde aufgrund der Energiekosten-Krise bereits Mitte September ein Rettungsschirm mit einem Volumen im dreistelligen Millionenbereich angekündigt. Bei den Verhandlungen waren Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften beteiligt, die Wohlfahrtsverbände wurden allerdings außenvorgelassen. "Wir wissen nicht, ob wir von diesem Geld etwas sehen", kritisiert Anne Baaske von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Brandenburg. "Wir warten seit März darauf, dass jemand aus der Landesregierung auf uns zukommt. Auch nach unserem Offenen Brief an den Ministerpräsidenten ist nichts passiert."

Zusammen mit anderen Verbänden hatte sich die Awo mit Forderungen und Lösungsideen direkt an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gewandt. Sie forderten unter anderem ein Einschreiten der Landeskartellbehörde bei ungerechtfertigten Preisen, eine ausreichende Aufstockung des Wohngeldes oder die Einrichtung eines Härtefallfonds. Der Brief und die Forderungen seien bei den Verantwortlichen angekommen, wurde der Awo mitgeteilt. Rückmeldung gab es bisher nicht.

Berechnungen passen nicht zu gestiegenen Kosten

Die Wohlfahrtsverbände und sozialen Träger seien genauso sehr von der Energiekosten-Krise betroffen wie die Bürger:innen, die die Hilfsangebote in Anspruch nehmen wollen, betont Baaske. Bei der Awo Brandenburg zeigt sich das unter anderem bei den Schuldnerberatungen: "Wir haben einen viel höheren Bedarf an Beratungsangeboten. Da braucht es zusätzliche personelle Ressourcen, aber auch eine Erstattung der Betriebskosten. Ich will meine Kolleg:innen nicht bei 16 Grad frieren lassen in den Beratungsstellen."

Bei stationären Hilfsangeboten wie Kinderheimen oder Pflegeeinrichtungen kommt erschwerend hinzu, dass die Awo die Kostensätze jeweils ein Jahr im Voraus mit dem Land oder den Kommunen verhandeln muss. Die Berechnungen von vor zwölf Monaten entsprechen aber nicht annähernd den jetzigen Kosten: "Wenn da jetzt nicht schnell politisch gehandelt wird, dann wird es am Ende dazu führen, dass Einrichtungen verschwinden", so Baaske.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2022, 09.30 Uhr

Beitrag von Helena Daehler

3 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 3.

    Da zu kann ich nur sagen daran sieht man wie besorgt unsere Regierenden in Bund und Land um ihre Bevölkerung besorgt ist. Man sollte mal daß ganze Geld für die Ärmsten bereit stellen was alles ins Ausland geht und die Rüstung. Der Staat 29 Milliarden mehr Steuern im ersten Halbjahr eingenommen dieses Geld der gesamten Bevölkerung als Entlastung zu Verfügung stellen sowie die gesamten Steuern halbieren.

  2. 2.

    Naja, sicher helfen wir als wohlhabende Nation Menschen ausserhalbs Deutschland und das ist auch richtig so.
    Einfaches Beispiel: Sie unterstützen VOR - ORT damit die Leute eben nicht migrieren und in die Sozialkassen wandern - deswegen wird das gemacht!
    Aber ich gebe ihnen Recht, es wird zuviel für Stuss ausgegeben und die Bürokratie ist wohl eines der Hauptproblem allein wenn ich an den unverbrauchten Strom aus SH denke der einfach verbufft.
    Gestern als Bericht aus TS....
    Das macht traurig

  3. 1.

    Der Staat sollte mal auf sämtliche Energiesteuern verzichten, wenigstens bis Mai 2023.
    Es fallen so viele verschiedene Steuern auf Gas, Strom und Ölprodukte an, dass sich das kaum mehr jemand leisten kann, der Normalverdiener ist, oder Rentner.
    Die Politik steckt so viel Geld in Dinge, aus denen sich der Staat raushalten sollte / könnte. Aber Deutschland hilft ja Allen, außer den Deutschen.
    Darüber sollten sich die Damen und Herren im Parlament mal Gedanken machen.

Nächster Artikel