Interview | Leiterin der Wärmelounge
Seit zwei Jahren leitet Barbara Fischer ehrenamtlich den "Ort der Wärme" im Berliner Humboldtforum. Menschen zu helfen, sei dort einfach, sagt die Ärztin. Zu akzeptieren, dass viele keine Hilfe wollen, habe sie erst lernen müssen.
rbb: Frau Fischer, während wir dieses Gespräch führen, regnet und stürmt es draußen. Es ist ungemütliches Winterwetter. Die Wärmelounge im Humboldt Forum ist in diesen Tagen wahrscheinlich wieder voll?
Barbara Fischer: Gestern hatten wir 137 Gäste. Vorgestern waren es 122, also pendelt es sich allmählich mit über 100 Gästen am Tag ein. Das ist eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, in dem wir mit dem Angebot gestartet sind.
Wir haben das Gefühl, unsere Gäste, unsere Besucherinnen fühlen sich angenommen und respektiert und kommen gerne. Und es kann ja auch jeder kommen. Es wird überhaupt nicht unterschieden, ob jemand viel, wenig oder gar kein Geld hat. Jeder bekommt, wenn er möchte, kostenlos einen Kaffee, einen Tee oder Wasser. Wir haben Kuchen, Brote und versorgen, glaube ich, unsere Besucher sehr gut.
Hauptsächlich kommen aber wahrscheinlich die Bedürftigen, die wenig haben?
Das kann man schon sagen, ja. Es kommen diejenigen, die wenig haben, oder die, die einfach einsam sind.
Schon im letzten Winter haben sich dort Gruppen gefunden, die jetzt auch wieder da sind. Die spielen Schach oder Memory oder plaudern einfach miteinander. Das ist sehr schön zu erleben.
Sie sind als Ärztin mittlerweile im Ruhestand. Sie könnten also auch bequem zu Hause sitzen und Ihre freie Zeit genießen. Warum arbeiten Sie nun weiterhin?
Ich habe mein Leben lang gerne mit Menschen gearbeitet, und es gibt mir viel – unter anderem natürlich auch bereichernde Kontakte. Ich lerne noch viel von unseren Besuchern und Gästen, und ich finde, es ist eine wunderbare Arbeit.
Was nehmen Sie denn mit? Was lernen Sie von den Menschen?
Wie Menschen außerhalb unserer bürgerlichen Welt versuchen, eine Existenz aufzubauen und diese dann mit viel Würde aufrechterhalten; das beeindruckt mich immer wieder aufs Neue.
Die Geschichten der Menschen bewegen mich. Das sind auch die Geschichten von obdachlosen Menschen, die wir so nicht kennen und die mich sehr berühren. Ich überlege schon, ob ich mit den Menschen mal Interviews führe - um mehr von ihnen als Menschen zu erfahren. Das wäre sicherlich sehr spannend.
Kritiker sagen, je besser man Wohnungs- und Obdachlose versorgt, desto mehr stützt man diesen Kreislauf. Was sagen Sie dazu?
Wir haben ein paar Menschen, die in Einrichtungen leben. Wir haben auch einen Mann als Gast, bei dem wir mitbekommen haben, dass er jetzt eine Wohnung bekommen hat. Es gibt Wege aus dem Kreislauf.
Aber es gibt auch sehr viele Menschen, die weder in eine Einrichtung wollen noch eine Wohnung haben möchten und die das Leben auf der Straße gut finden. Das muss man einfach respektieren.
Manch einem Beobachter mag es dabei im sprichwörtlichen Sinne das Herz zerreißen. Haben Sie in Ihren Gesprächen herausfinden können, was Menschen dazu bewegt, dieses Leben auf der Straße freiwillig zu wählen?
Es ist ein freies Leben. Das ist zumindest der Grundtenor von denen, die weder in eine Wohnung noch in eine Einrichtung möchten. Das mag für Außenstehende etwas seltsam klingen. Und ich muss zugeben, dass wir im letzten Winter auch tatsächlich Mühe hatten, das zu akzeptieren. Aber es gibt einfach Menschen, die sagen, ich will keine Hilfe. Es gibt Menschen, die sagen, "Lass mich in Ruhe, ich meistere mein Leben so und alles ist gut."
Ich habe Freunde, die arbeiten in der Wärmestube mit. Für uns war es eine echte Herausforderung, dass unsere Gäste die gut gemeinten Beratungsangebote nicht annehmen wollten. Aber ich kann sagen, dass wir gelernt haben, das zu akzeptieren und das ist jetzt auch gut so - für die Menschen und für uns.
Steckt da immer wirklich ein freier Wille dahinter? Oder sind es manchmal auch schwere Schicksale oder psychische Erkrankungen?
Wir haben in der Wärmestube relativ viele psychisch Kranke, meistens Frauen. Ich habe lange Jahre mit psychisch kranken Menschen gearbeitet, von daher kenne ich mich gut aus mit dieser Gruppe. Wenn sie medikamentös nicht gut eingestellt sind, sind sie für Hilfsangebote quasi nicht erreichbar. Dann ist das ist natürlich ein echtes Problem.
Hat Corona da noch mal eine Rolle gespielt?
Ja, das hat sich mit Corona aufgebaut und das Problem noch einmal deutlich verstärkt. Auf jeden Fall.
Entstehen da manchmal vor solchen Problemen nicht auch Macht- und Hilflosigkeitsgefühle?
Es hört sich immer ein bisschen seltsam an, aber man kann nicht die ganze Welt retten. Das muss man einfach so sehen. Es gibt Menschen, die leider durch alle Raster fallen, das ist leider wirklich so. Ich hatte am Anfang meiner Berufstätigkeit viel Mühe, das zu akzeptieren. Aber ich habe es gelernt.
Sie waren als Ärztin auch auf den Philippinen im Einsatz und sind nach dem Ende ihres Berufslebens nun noch karitativ tätig. Woher kommt dieser Wunsch, zu helfen und zu unterstützen?
Es ist ein Lebensfaden, und ich glaube, der beginnt bei meiner Großmutter. Meine Großmutter war eine Hutmachermeisterin in einem kleinen Ort in Mecklenburg. Und die hat sich auch immer um Menschen gekümmert. Und ich glaube, da habe ich es her.
Haben Sie sich ein Datum gesetzt, wo sie sagen, ich mache das noch so und so viel Jahre und dann höre ich auf? Oder sagen Sie: Ich mache so lang wie ich kann?
Also, ich habe bis 69 noch in der Praxis gearbeitet, und ich schaue erstmal. Es ist aber in jedem Fall einfach wunderbar, es ist eine wunderbare Arbeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Sylvia Tiegs für rbb24 Inforadio. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.01.2024, 10:45 Uhr
Beitrag von Sylvia Tiegs
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