#wiegehtesuns? | Die wohnungslose Berlinerin - "Ich komme hierher, weil ich nicht so viel habe"

Mo 25.12.23 | 08:34 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Die wohnungslose Berlinerin Cilly. (Quelle: rbb/Tiegs)
Bild: rbb/Tiegs

Cilly ist Berlinerin, verwitwet und wohnungslos. Fast alles, was sie hat, gibt sie ihren Kindern. Im Ort der Wärme findet sie sich jeden Tag ein – und wärmt sich auf. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Der "Ort der Wärme" im Humboldt Forum [humboldtforum.org] ist fast jeden Nachmittag für alle geöffnet. Hier können sich Menschen aufwärmen, bekommen etwas zu essen und ruhen sich aus. Das Angebot wird von vielen angenommen - zum Beispiel von Cilly, die wohnungslos und hier Stammgästin ist.

Ich komme schon das zweite Jahr in die Wärmelounge. Wir kommen fast jeden Tag, meine Kumpels und ich. Damit wir hier entspannen. Wir können Spiele spielen, reden, und einen schönen Tag haben.

Die Atmosphäre gefällt mir hier. Vor allem, wenn es ruhig ist. Und dass man sich unterhalten kann – auch über die wichtigsten Themen: Was die Politiker so machen, oder was man in der Zeitung gelesen hat. Wir sprechen nicht nur übers Essen! Das ist zwar auch wichtig. Aber über die anderen Dinge sprechen wir auch.

Jetzt im Winter kann man sich hier schön aufwärmen. Und die Leute sind auch sehr nett. Sie bieten einem Kuchen an, fragen, ob man noch Kaffee haben möchte. Hungrig kommt man rein, und satt geht man wieder raus!

Ich komme auch hierher, weil ich nicht so viel habe. Meine Wohnung habe ich meinen Kindern gegeben. Zwei von ihnen wohnen da jetzt, mit zwei von meinen Enkeln. Meine Kinder sind mir wichtig. Die haben es auch schwer heutzutage. Da bin ich lieber auf der Straße, als dass sie auf der Straße sind. Ich gehe manchmal zu Besuch zu ihnen, aber ich kann denen ja nicht immer auf den Wecker fallen. Ich bin mehr draußen. Ist auch schön! Ich schlafe mal hier, mal da, und manchmal auch bei meinem Bruder.

Essen und Trinken ist hier im Ort der Wärme kostenlos. Das Geld, das ich spare, gebe ich dann den Kindern, weil die auch so wenig haben. Manchmal, wenn die hier was übrig haben an gespendeten Lebensmitteln, nehme ich auch was mit für die Kinder.

Früher habe ich als Friseurin gearbeitet. Mein Mann hat auch gearbeitet, aber er ist gestorben. Jetzt bin ich Frührentnerin. Wie alt ich bin? Das fragt man eine Frau nicht!

Meine Wohnung habe ich meinen Kindern gegeben. Da bin ich lieber auf der Straße, als dass sie auf der Straße sind

Cilly

Wenn ich mich hier nicht aufwärme, gehe ich in die U-Bahn. Das machen wir am Zoo immer, meine Kumpels und ich, wenn die BVG da aufmacht. Aber in der U-Bahn zieht’s! Da habe ich mir eine schlimme Bronchitis geholt. Ich sollte ins Krankenhaus, habe ich aber nicht gemacht. Grün gespuckt habe ich! Der Arzt hat mir dann Penicillin gegeben, jetzt ist die Bronchitis fast weg, Gott sei Dank.

Das Humboldt Forum habe ich mir angeschaut, die Höfe - die finde ich schön. Und dass hier Leute reinkönnen, die wenig Geld haben. Heute ist draußen Regen; ich bin froh, dass ich jetzt in der Wärmelounge trocken werde. Hier findet man auch Erholung! Man kann hier drin auch mal um die Ecke gehen und sich ganz viel ausruhen. Da hinten sieht’s keiner, wenn man mal richtig müde ist.

In den Noteinrichtungen wirst du um fünf, sechs geweckt. Da musst du morgens raus, frühstücken, und dann bist du den ganzen Tag auf der Straße. Das ist nicht so gut. Deswegen ist es gut, wenn man so einen Ort hat. Und warm ist es auch. Hier sind heute auch wieder ganz viele Leute da, die wir kennen – meine Kumpels und ich.

Ich wünsche mir, dass der Ort der Wärme im Humboldt Forum bleibt. Für die Leute, die wirklich wenig haben, die hier ihr Handy aufladen können und etwas Unterhaltung haben. Ich wünsche mir, dass Sie nicht in der Kälte sind. Dass sie hierbleiben, dass sie gesund bleiben und nicht nur auf der Straße sind.

Gesprächsprotokoll: Sylvia Tiegs

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.12.2023, 13:30 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

4 Kommentare

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  1. 4.

    Ich finde die Aussagen im Beitrag sehr seltsam. Die Frau arbeitete als Friseurin und ist jetzt Frührentner. Sie hat nicht nur die eigene Rente, sondern auch Witwenrente. Zwei Renten zu beziehen, bedeutet nicht, dass man nicht mehr weiß wohin mit der ganzen Kohle, aber man ist besser gestellt, als mit nur der eigenen kleinen Rente. Da ist es nicht nötig, dass man auf der Straße lebt, es sei denn, man will es so.

  2. 2.

    Habe ich auch gedacht. Unglaublich! Wenn in der Wohnung 2 Kinder mit 2 Enkel leben, dann bekommen die doch Unterstützung/Mietzuschüsse. Die Kinder müssten ihre Mutter unterstützen. Ich fasse es nicht! Aber gut, man weiß nicht, wie die weiteren Umstände sind.

  3. 1.

    Was sind das für Kinder ? , ich würde meine Eltern nie auf der Strasse leben lassen, es giebt immer einen Weg aber bitte nicht so . " Wer seinen Kindern gibt das letzte Brot den schlage man mit dieser Keule tot ". Dieser Spruch hängt am jüterbogger Tor .

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