Regierungsbildung - Worin sich die Sondierungspapiere in Brandenburg und Thüringen unterscheiden

Di 29.10.24 | 18:04 Uhr | Von Michael Schon
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Katrin Lange (SPD, l-r) Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), Robert Crumbach, Landesvorsitzender des BSW Brandenburg, und Niels-Olaf Lüders (BSW), bei der Landespressekonferenz im Brandenburger Landtagsgebäude am 28.10.2024. (Quelle: picture alliance/dpa/Michael Bahlo)
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In Brandenburg haben SPD und BSW ein Papier als Grundlage für Koalitionsgespräche vorgelegt. Kurz darauf zogen CDU, BSW und SPD in Thüringen nach. Hinsichtlich der Ukraine-Politik unterscheiden sich die Papiere - je nach Perspektive - fundamental. Von Michael Schon

  • Ukraine-Politik in Sondierungspapieren in Brandenburg und Thüringen unterscheidet sich
  • Brandenburger BSW-Chef Crumbach: Thüringer Kompromiss wäre zu wenig gewesen
  • SPD-Politiker Roth: Brandenburger SPD bricht mit Politik des Kanzlers

Man hat Sahra Wagenknecht nicht allzu häufig in Fernsehkameras lächeln sehen in den Wochen seit den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, die für ihr Bündnis siegreich waren. Am Montag aber hatte sie offenbar Grund zur Freude.

Sie sei "sehr froh, dass ein guter Kompromiss gefunden wurde", sagte sie in ein Mikrofon des Saarländischen Rundfunks und strahlte dabei mit der Herbstsonne um die Wette. Gemeint war das Papier, das die Landeschefs von SPD und BSW, Dietmar Woidke und Robert Crumbach, am Morgen im Presseraum des Potsdamer Landtags vorgestellt hatten.

Neuer Sound - und ein Schritt in Richtung Wagenknecht

Grund für die Freude: in erster Linie drei Absätze des zweieinhalbseitigen Textes. Sie betreffen den russischen Krieg in der Ukraine. Dieser werde "nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet", heißt es dort. Und: Vor dem Hintergrund, "Spannungen innerhalb Europas" durch eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts abbauen zu wollen, sähen SPD und BSW "die Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch."

Das ist zumindest ein neuer Sound für Brandenburgs Ministerpräsident Woidke, der im Wahlkampf noch mit deutlich Ukraine-freundlicheren Tönen aufgefallen war. Vor allem war es ein deutliches Entgegenkommen in Richtung BSW-Chefin Wagenknecht.

Sie befand, das Papier enthalte eine "klare Position zur Frage der Außenpolitik". Und eine deutliche Kritik an einer möglichen Stationierung von US-Raketen. Auch BSW-Landeschef Robert Crumbach zeigte sich zufrieden: "Ich bin froh, dass wir das vereinbart haben."

Unterschiede zwischen CDU, BSW und SPD in Thüringen deutlich

Die Erleichterung ist nachvollziehbar. Denn aus dem Sondierungspapier in Thüringen lässt sich so viel Bewegung in Richtung BSW nicht herauslesen. Die künftige Regierung dort verbinde zwar "der Wille zum Frieden" und das Anerkennen von Ängsten, Deutschland könne in den Krieg "hineingezogen" werden. Es werden aber auch sehr deutlich Unterschiede hervorgehoben: "CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs", heißt es beispielsweise.

Auch "hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine" sei man "unterschiedlicher Auffassung". Beim Thema der Stationierung von US-Raketen in Deutschland gibt es anders als im Brandenburger Text keine gemeinsame Festlegung: Die drei potenziellen Koalitionspartner "erkennen", dass Menschen in ihrem Bundesland dies kritisch sähen oder ablehnten, hielten die Thüringer Sondierer fest – davon, dass sich CDU oder SPD diese Sicht zu eigen machen, wie es SPD und BSW in Brandenburg erklärten, ist in dem Text nicht die Rede.

So war die Miene von BSW-Chefin Wagenknecht auch deutlich düsterer, als sie am Montag nach Einbruch der Dunkelheit ein zweites Mal vor die Kamera trat. "Ich bedaure, dass der von den Verhandlern in Thüringen abgesegnete Text weit hinter dem zurückbleibt, was wir in Brandenburg erreicht haben", gab sie zu Protokoll. BSW-Landeschef Crumbach sagte dem rbb am Dienstag: "Wenn ich nur den Thüringer Teil gehabt hätte, wäre mir das zu wenig gewesen."

BSW: In Brandenburg besseren Schnitt gemacht

Während das BSW aus den beiden Texten einen deutlichen Unterschied herausliest und keinen Hehl daraus macht, in Brandenburg einen besseren Schnitt gemacht zu haben als in Thüringen, will Brandenburgs SPD das so nicht stehen lassen.

SPD-Generalsekretär David Kolesnyk ist seit der Veröffentlichung des Brandenburger Papiers damit beschäftigt, die Linie seiner Partei kenntlich zu machen. Er sieht offenbar keinen fundamentalen Unterschied zum Thüringer Text: "Auch in Brandenburg stimmen SPD und BSW beim Thema Waffenlieferungen nicht überein. Aus Sicht der SPD ist es aufgrund des Völkerrechts möglich und moralisch die Pflicht, die Ukraine, die sich verteidigt, dabei mit Waffen zu unterstützen."

SPD und BSW in Brandenburg stellen Gemeinsamkeiten in den Vordergrund

Also doch ein deutlicher Dissens zwischen SPD und BSW? Warum ist dann anders als in Thüringen davon im Sondierungspapier nichts zu lesen?

Man habe sich entschieden, "die gemeinsam gefundene Position festzuhalten und nicht das, was uns trennt", so Kolesnyk. Außerdem seien die eigentlichen Koalitionsverhandlungen in keinem der Bundesländer bisher abgeschlossen. Was wohl heißen soll: Abwarten, was am Ende im Thüringer Koalitionsvertrag steht – falls es überhaupt einen gibt.

Scharfe Kritik von SPD-Außenpolitiker Michael Roth: "Wagenknecht-Lüge"

Dissens gibt es allerdings auch innerhalb der SPD. Erste Stimmen kritisieren das in Brandenburg ausgehandelte Papier scharf. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth nannte es gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" "in mehrfacher Hinsicht einen Bruch mit der Politik des Bundeskanzlers und der SPD" – beispielsweise mit einem Präsidiums-Beschluss der SPD, der die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen befürworte. Außerdem greife das Papier die "Wagenknecht-Lüge" auf, wonach die Ukraine-Politik der SPD ausschließlich aus Waffenlieferungen bestehe. Diplomatie sei die andere Seite der gleichen Medaille, so Roth.

Derlei Kritik ficht Brandenburgs SPD-Strategen bisher nicht an. Er gehe davon aus, noch in diesem Jahr einen Koalitionsvertrag mit dem BSW verhandeln zu können, sagte Kolesnyk im rbb24 Inforadio. Läuft es so geschmeidig wie in den Sondierungen, könnte Dietmar Woidke schon in der Landtagssitzung am 11. Dezember als Ministerpräsident wiedergewählt werden.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 28.10.2024, 19:30

Beitrag von Michael Schon

98 Kommentare

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  1. 98.

    Ich vermisse eine Aussage von Herrn Woidke darüber, wie er denn unser Land vor den Raketen der Russen schützen will? Diese sind in großer Zeit bereits auf uns gerichtet und können uns auch locker erreichen. Also Herr Woidke, wie wollen Sie uns schützen?

  2. 97.

    Letzter zu sein ist nie schön.
    In der Bildung erst recht, weil die wirklich Guten benachteiligt sind. Bei den weiterführenden Einrichtungen. Die Zeugnisse sind dann weniger wert.
    Und wenn man Spitzenreiter zu oft angreift, passiert das, was die „Grün:innen“ z.Z. mit M.Söder erleben. Erfolgreichere sind, welch Überraschung, wehrhaft.

    P.S. Auch gegen Nickdiebe in #68....Egal ob diese sonst „klausbrause, zappa“ oder sonst wie heißen. ;-)

  3. 96.

    Er hat Prinzipien. Damit fällt man in unserer Gesellschaft natürlich auf. Er war fast 40 Jahre in der SPD..
    Verbrannte Erde.. was für ein Unsinn..

  4. 95.

    Sozusagen die Buschprämie abgreifen, oder doch eher darum, weil Sie in der Heimat so beliebt waren, dass man Sie darum weggelobt hat oder Ihnen im Osten Aufstiegschancen versprochen wurden, die Sie in Ihrer Heimat nie hatten.
    Auf jederfall belehren Sie uns -- danke Westler.

  5. 94.

    Das wäre nicht die schlechteste Option. Aber ob Merz und vor allen Dingen Söder das auch so sehen?!

  6. 93.

    Lafontaine war gegen die deutsche Einheit, wurde als Kanzlerkandidat nicht gewählt und musste demzufolge nie wie Kohl Verantwortung für Deutschland tragen. Überhaupt sind Lafontaines Verweilzeiten nicht die Längsten, als Finanzminister, in der SPD, der Linken etc.
    Er hinterlässt meist verbrannte Erde und redet sehr viel, darin war er ja schon immer spitze, im Quatschen.

  7. 92.

    Aber der Russe hat die Waffen doch nur, weil wir im bösen Westen ihn bedrohen. Und die Ukraine will er ja quasi nur befreien usw…. Ich habe es aufgegeben mit Linksextremen und Rechtsextremen zu diskutieren, und die SPD macht nun diese antiwestliche Politik regierungsfähig. Wenn da die Bundesebene nicht eingreift, dann weiß ich auch nicht mehr. Im Bund nächstes Jahr hoffe ich auf SchwarzGrün.

  8. 91.

    Sozusagen die Buschprämie abgreifen, oder doch eher darum, weil Sie in der Heimat so beliebt waren, dass man Sie weggelobt hat oder Ihnen im Osten Aufstiegschancen versprochen wurden?

  9. 90.

    Sozusagen die Buschprämie abgreifen, oder doch eher darum, weil Sie in der Heimat so beliebt waren, dass man Sie weggelobt hat oder Ihnen im Osten Aufstiegschancen versprochen wurden?

  10. 89.

    Das stimmt. Lafontaine, man kann heute zu ihm stehen wie man mag, hat als einziger gewarnt wie die "Wiedervereinigung" zumindest finanziell ausgehen wird.

  11. 88.

    Ich bezog es darauf, dass Lafontain für den Aufbau Ost in oberen dreistelligen Mrd. Bereich genannt und offen über die Probleme der Finanzierung geredet hat, während Kohl so tat als könnte es aus der Portokasse bezahlt werden, was zur Verschuldung der westdeutschen Gebietskörperschaften führte, die bis heute noch nachwirkt!

  12. 87.

    Irrtum bin Rheinländer der wegen des Berufes nach Berlin musste und offen gesagt auch die Berliner Finanzpolitik und ihre parteipolitischen Spielchen gehen mir gehörig auf den Senkel. Da wird keine solide Finanzpolitik vom Senat gemacht!

  13. 86.

    Hey sie oberschlauer Berliner mit der zweithöchsten pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer, sie brauchen mir nicht zu erzählen, dass ein Landeshaushalt auch Kredite zurückzahlen muss. Dass unser Landeshaushalt Brandenburg mit Bedacht angefasst wurde, davon zeugt einer der hintersten Plätze mit einer der niedrigsten brutto pro Kopf-Verschuldung.
    Im Übrigen kommt aus den Landeshaushalten nichts für die Kriegsunterstützung der Ukraine. Der Landeshaushalt sieht Mittel zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen des Krieges hier in unserem Bundesland vor. Selbst diese Mittel sind begrenzt im Sinne eines sparsamen Haushaltes.

  14. 85.

    Ausspricht? Das sind leere Floskeln von denen man weiß dass sie folgenlos bleiben werden.

  15. 84.

    Nun, die Weiterführung der kruden KPD-Ideen durch die BSW geschied erst seit diesem Jahr, während die viermal umbenannte SED seit 1949 existiert.
    Das die SPD, die Zwangsvereinigung mit der KPD vergessend, sich aus Machterhalt den SED-Schergen anbiederte, gipfelt heute im moralischen Verfall sich dem BSW anzudienen.

  16. 83.

    Ach sehen Sie die atomwaffenfähigen Iskanderraketen in Kaliningrad und Weißrussland, die Kinschalflugkörper und die Kalibrflugkörper die auf Schiffen der baltischen Flotte in Kaliningrad sind nicht als Bedrohung an? Ich schon!

  17. 82.

    " Da war Lafontaine als Kanzlerkanidat ehrlicher!"

    Nur dass der "dumme" Kohl die Wiedervereinigung durch geschicktes außenpolitisches Taktieren auch vollzogen hat und vielen Deutschen eine neue Hoffnung und neue Perpektive eröffnete. Man kann viel an der Treuhand der ganzen Abwicklung kritisieren und da bin ich auch bei Ihnen, aber Lafontaine schwingt nur schlaue Reden. Oskar hätte das kurze politische Zeitfenster einfach vertreichen lassen. Helmut Kohl dagegen hat gehandelt! Und er war alles im allem nicht der schlechteste Kanzler für den soziale Marktwirtschaft zumindest nie eine leere Worthülse war. Seine politische Zeit war sicher abgelaufen, aber was kamen denn danach für Bundeskanzler??? Da muss man sich inzwischen schon stark anstrengen, sie überhaupt noch zu bemerken.

  18. 81.

    Ja genau: Es war zunächst nur das BSW und nun zum Glück auch die Woidke-SPD, die sich medial für mehr Diplomatie und Friedensverhandlungen ausspricht. Das ist doch schonmal ein Fortschritt !

  19. 80.

    "Ich erwarte ein klares Stopp durch Herrn Klingbeil und Fau Esken"und was soll das heißen? Weiter so mit der Ostpolitik unser Feind war und ist Russland. Wold ihr wirklich alle den großen Krieg? Ich nicht und viele in den neuen Bundesländer auch nicht. Das ist so und das ist auch gut so!

  20. 79.

    Schauen Sie nur danach welche Partei Sie hinter die dickere Fichte führen will und hier sind AFD, BSW wohl die Spitzenreiter!