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Audio: rbb24 Inforadio | 07.02.2024 | Birgit Raddatz | Quelle: Picture Alliance / Schoening

Wohnungsnot in Berlin

Wenn selbst der Wohnberechtigungsschein nicht hilft

Eine Wohnung mit fairer Miete in Berlin zu finden, ist fast unmöglich - besonders für Suchende mit wenig Geld. Dafür gibt es eigentlich den WBS. Den könnten über eine Million Menschen in Anspruch nehmen - doch Sozialwohnungen fehlen. Von Birgit Raddatz

Sandra Bierings Wohnung in Berlin-Buch ist gemütlich eingerichtet. Zwei Kinderzimmer, ein Wohnzimmer, eine kleine Küche und ein Bad. Hier lebt sie schon seit zwölf Jahren mit ihren zwei Kindern und ihrer Katze. Aber schon seit mehreren Jahren braucht sie eine größere Bleibe - 60 Quadratmeter misst ihre aktuelle Wohnung nur. "Meine Vorstellung wären 80 Quadratmeter und mindestens vier Zimmer", sagt die 34-Jährige. Denn bald kommt ihr drittes Kind zur Welt, ihre Tochter hat unter anderem Autismus. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) drängt ebenfalls darauf, dass sie umzieht, weil die Wohnung für ein autistisches Kind zu klein sei.

Aber Sandra Biering findet im Umkreis der Schule ihrer Tochter keine bezahlbare Wohnung. Dabei hat sie einen Wohnberechtigungsschein (WBS) mit besonderem Wohnbedarf. Derzeit kostet ihre Wohnung rund 650 Euro, bis 1.000 Euro dürfte die neue maximal teuer sein. "Ich bin sogar bereit, die neue Wohnung erst zu renovieren, wenn es sein muss."

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Höhere Einkommensgrenzen seit vergangenem Jahr

Beim Berliner Mieterverein ist das Problem bekannt. Eigentlich sei der WBS dafür da, dass Menschen mit geringem Einkommen sich auf mietpreisgebundene Wohnungen bewerben können, sagt Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz. Doch im vergangenen Jahr hat der Berliner Senat die Einkommensgrenzen nach oben korrigiert.

Ein Zweipersonen-Haushalt darf im Jahr nun maximal 39.600 Euro netto verdienen, um eine vergünstigte Wohnung zu erhalten. Für eine einzelne Person liegt die Grenze bei maximal 26.400 Euro netto. Hamann-Onnertz hält das Vorgehen des Senats für "fahrlässig", wie sie sagt: "Wir sind dafür, dass man bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auch die Mittelschicht versorgt. Aber wenn man das tut, dann sollte man auch die Prozente ausweiten.“

Derzeit werden etwas mehr als 60 Prozent der Wohnungen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften an Menschen mit WBS vermietet. Hamann-Onnertz plädiert dafür, dass es mindestens 75 Prozent sein sollten. Dann könnten auch verschiedene Stufen für die WBS-Grenzen gesetzt werden, so die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. "Stattdessen hat man quasi das Kontingent gleich gelassen, aber die Zahl der Berechtigten erhöht."

Gaebler verteidigt höhere Einkommensgrenzen für WBS-Berechtigte

Der Berliner Stadtentwicklungsenator Christian Gaebler (SPD) verspricht, die große Lücke zwischen der Zahl an Menschen mit WBS und den dafür angebotenen Wohnungen zu verringern. Dies geschehe, indem durch die Wohnungsbaugesellschaften mit Landesbeteiligung "über den tatsächlich geförderten Bestand hinaus eine deutlich größere Zahl an Sozialwohnungen bereit" gestellt werde, sagte Gaebler am Mittwoch im rbb.

Der Senator verteidigte die Heraufsetzung der Einkommensgrenzen für einen WBS und die damit steigende Zahl der Anspruchsberechtigten, denn schließlich "steigen die Löhne", so Gaebler. Vielen Leuten wären sonst beide Wege verwehrt - die Suche auf dem für sie unerschwinglich teuren Wohnungsmarkt und die Suche nach Wohnungen für Menschen mit Wohnberechtigungsschein.

Zwar sei aktuell die Zahl der Anspruchsberechtigten gestiegen, so Gaebler, doch im Mehrjahresvergleich sei man nun bei der Zahl von vor fünf Jahren, ergänzte Gaebler.

Nur noch knapp 90.000 Sozialwohnungen

Offenbar entscheiden sich Vermietende nicht für Menschen wie Sandra Biering. Nach Wohnungsbesichtigungen werde sie gar nicht erst zurückgerufen, sagt sie. "Ich denke, die Vermieter nehmen dann lieber das Doppelverdiener-Pärchen mit WBS als die dreifache Mutter."

Ein zweites Problem, das hinlänglich bekannt ist: In Berlin gibt es immer weniger mietpreisgebundene Sozialwohnungen. Laut der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen gab es Stand Ende vergangenen Jahres noch 90.654 Sozialwohnungen. Und der Anteil sinkt, da für viele Wohnungen die Bindungen auslaufen und dann auf dem freien Markt angeboten werden können.

Keine Kontrolle bei Fehlbelegung

Eine weitere Herausforderung: Wer einmal in eine mietpreisgebundene Wohnung eingezogen ist, muss in Berlin schon seit Anfang der 2000er Jahre nicht mehr nachweisen, dass er oder sie weiterhin berechtigt ist dort zu wohnen, selbst wenn das Einkommen steigt. Bis dahin zahlten Mieter, deren Einkommen über die WBS-Grenze gestiegen waren, eine Fehlbelegungsabgabe.

Mit der Abschaffung dieser Fehlbelegungsabgabe wollte Berlin einst eine soziale "Durchmischung" von Quartieren sicherstellen. "Dieser Mythos der sozialen Mischung wird oft angeführt, wenn es um Verdrängung geht und nicht dann, wenn man auf Gebiete schaut, wo Menschen wohnen, die viel Einkommen haben", kritisiert Hamann-Onnertz. Denn auch Menschen mit mittlerem Einkommen fänden in Berlin kaum noch Wohnungen, zögen demnach immer weg.

In diesem und im und kommenden Jahr betrifft das insgesamt noch einmal 28.000 Wohnungen, rechnet Ulrike Hamann-Onnertz vom Berliner Mieterverein vor. Der Verein würde sich wünschen, dass Bindungen verlängert werden könnten. "In der derzeitigen Lage, in der Neuvermietungen bei rund 19 Euro pro Quadratmeter liegen, glaube ich ehrlich gesagt wenig daran, dass private Eigentümer bereit sind, zu verlängern. Aber es gibt natürlich noch die Genossenschaften und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften."

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Fehlbelegungsabgabe wieder einführen?

Eine Fehlbelegungsabgabe wieder einzuführen, um die wenigen Sozialwohnungen an Menschen mit niedrigem Einkommen vermieten zu können, davon hält die Geschäftsführerin vom Berliner Mieterverein allerdings nur bedingt etwas: "Dann muss man natürlich überlegen, wohin geht denn diese Abgabe? Geht sie nur an den Vermieter, dann hat ja niemand etwas davon, denn es verpflichtet den Vermieter noch nicht, eine neue Wohnung zu bauen."

Sandra Biering jedenfalls hat die Hoffnung auf eine größere und bezahlbare Wohnung fast aufgegeben. Wenn ihr Kind geboren ist, wird sie es wohl erst einmal bei ihrem neuen Partner aufwachsen lassen. "Das kann ja eigentlich nicht sein, dass mein Kind deswegen von mir getrennt sein muss", sagt sie.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.02.24, 07:25 Uhr

Beitrag von Birgit Raddatz

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