Interview | Heike Drechsler - "Wenn man keine Leistung bringt, dann kann man nicht gepudert werden"

Fr 15.09.23 | 17:45 Uhr
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Heike Dreschler am 15. August 1993 in Stuttgart bei der Leichtathletikweltmeisterschaft. (Quelle: Imago Images)
Audio: rbb24 Inforadio | 15.09.2023 | Heike Drechsler | Bild: Imago Images

In Wandlitz betreut bei der fünften Auflage des sportlichen Stadtfestes "Loofen und Schoofen" Olympiasiegerin Heike Drechsler die Weitsprunganlage. Spaß steht hier im Vordergrund, doch die ehemalige Leichtathletin macht sich Gedanken über ihren Sport.

rbb|24: Frau Drechsler, es gibt zurzeit jedes Wochenende große Sportevents. Was haben Sie am vergangenen Wochenende verfolgt?

Heike Drechsler: Ja, was hat man schon verfolgt? Dieses heiße Basketballspiel natürlich, es war genial. Das war von Anfang bis zum Ende Hochspannung. Ich finde es klasse, was Deutschland da gezeigt hat, das ist doch auch wieder mal ein positives Signal: Weltmeister! Wir haben fantastisch gespielt und auch gerecht gewonnen.

Es ist eine sportliche Sensation. Mit was würden Sie das vergleichen?

Mit einem Olympiasieg in der Leichtathletik. Basketball ist zwar ein Mannschaftssport, viele spielen auch in den USA in der NBA, aber einen WM-Titel zu holen ist etwas Besonderes. Mir gefällt vor allem diese Mannschaft, dieses Kämpferische und wie sie vorbereitet waren. Das wünschte ich mir so von manchen Athleten bei uns. Die geben sicherlich alle ihr Bestes, aber bei der Leichtathletik-WM hat so ein bisschen das I-Tüpfelchen gefehlt.

Sie waren bei der Leichtathletik-WM in Budapest. Deutschland hat keine Medaille gewonnen. Ist es wichtig, dass wenigstens eine Medaille herausspringt?

Ja, ich glaube es ist bezeichnend für unsere Gesellschaft. Wollen wir Spitzensport, wollen wir Leistungen in unserer Gesellschaft? Dann muss man auch fördern und fordern. Ich will das nicht vergleichen mit der Zeit, in der ich groß geworden bin. Aber da ist keiner mit einem vierten oder fünften Platz zu einer WM gefahren. Da gab es ein anderes Leistungsprinzip. Jetzt nimmt man die Spannung heraus, will den Nachwuchs pflegen. Aber vielleicht pudert man etwas zu viel. Wenn man keine Leistung bringt, dann kann man nicht gepudert werden. Medaillen sind wichtig, weil wir dadurch gesehen werden.

Man kann den Athleten keinen Vorwurf machen, wenn sie ihr Bestes geben und Bestleistungen erzielen. Es war eine herausragende Leistung unter diesen Bedingungen. Wir hatten in Budapest jeden Tag 37 Grad. Die Sportler waren nur am Schwitzen und dann machte Christopher Linke im 20-Kilometer-Gehen einen fantastischen neuen deutschen Rekord. Die anderen schlafen auch nicht. Ich denke, es ist gut, wenn man international den Wettbewerb sucht. Wir sollten auch überlegen, eine Meisterschaft mit internationaler Beteiligung zu machen, um von den Besten zu lernen.

Sie wünschten sich also mehr Kooperation auf internationaler Ebene?

Auf alle Fälle. Der Deutsche Leichtathletik-Verband macht schon viel möglich, aber wir müssen auch gucken, wie funktioniert der Deutsche Olympische Sportbund, wie funktioniert unsere Spitzenförderung? Jeder guckt nach Talenten, aber die Kinder sind heute in einem anderen Freizeitmodus. Es gibt viel Ablenkung durch die digitale Welt und dadurch geht viel Potenzial verloren. Kinder und Jugendliche gucken auch, wie ist die Attraktivität einer Sportart, wie sind die Fördermöglichkeiten?

Ich bin der Meinung, wenn man sich entscheidet für so einen Weg, dann sollen die auch monatlich ihr Einkommen haben. Wir brauchen Vorbilder und wir brauchen Medaillen, um unseren Sport in die Breite zu bringen. Um es kurz zu fassen: Wir brauchen die Olympischen Spiele! Nur so können wir es wieder schaffen, diese Spiele auch den Menschen nahe zu bringen und zu zeigen, dass es sich lohnt, Sport zu machen.

Würden Sie für eine ähnliche Förderung plädieren wie in den Niederlanden, wo die Sportler etwa 6.000 Euro im Monat erhalten?

Die haben einen Stützpunkt, da kommen alle guten Leute rein und die, die es dahin schaffen, werden unterstützt und gefördert. Aber es ist nicht so leicht vergleichbar. Deutschland ist ein föderales Land und das bringt einige Probleme mit sich. Wie bekommt man es hin, dass es überall qualitativ gute Zentren gibt? Und wie finden die guten Sportler den Weg in diese Sportschulen, die da sind? Das ist schwierig. Wir müssen sie überzeugen, dass es sich lohnt, den Weg zu gehen, um die nächste Stufe zu erreichen, auch indem wir die Möglichkeiten schaffen, dass sie Beruf und Studium mit dem Sport gut verbinden können.

Besteht das Problem in der Leichtathletik, der womöglich globalste Sport überhaupt?

Ja, das Wissen geht natürlich globale Wege. Wir haben eine Digitalisierung und der Wissenstransfer ist immer da. Ich weiß, hinter dem kenianischen Speerwerfer ist zum Beispiel ein finnischer Speerwurftrainer. Gute Trainer sehen sich auch international um, wo sie attraktive Angebote bekommen. Ich glaube, in Deutschland sind Trainer unterbezahlt und müssten auch einen anderen Stellenwert bekommen. Wir haben einen akuten Trainermangel, auch Qualität ist wichtig und da muss man auch mal Geld in die Hand nehmen für Trainer im Nachwuchsbereich.

Ein anderer Ansatz wäre, dass Sportlehrer in den Schulen motiviert werden, dass es sich lohnt, Talent in die Vereine zu schicken. Dass man da vielleicht auch etwas entwickelt, wo die Sportlehrer unterstützt werden von den Schulen. Es gibt tolle Sportlehrer, die gute Arbeit machen, aber es gibt auch in manchen Schulen wegen Lehrermangels keine Sportlehrer. Da wird oder da ist Sport stiefmütterlich behandelt und das kann es auch nicht sein.

Hilft es, bei Veranstaltungen wie dem "Loofen und Schwoofen" mitzumachen oder ist das nur eine Spaßgeschichte?

Natürlich, Spaß steht auch im Vordergrund, denn mit Spaß und Freude kommen natürlich auch junge Leute in Bewegung. Aber ich denke, wir brauchen einen Sportminister, der sich um den Sport in Deutschland kümmert.

Sport ist nicht alles, aber ohne Sport ist alles nichts?

Absolut. Ohne Bewegung ist Stillstand.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Kunze. Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.09.2023, 16:30 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Wenn der Anreiz, seinem Hobby vollumfänglich nachzugehen mit 6000 € bezuschusst werden muss, bei spärlicher Aussicht auf Erfolg, finde ich, wäre eine andere Freizeitgestaltung sinnvoller.
    Diese Millionen, die in Bezüge für Athleten, Betreuer, Trainer, Sportstätten gesteckt werden wären wesentlich sinnvoller in der Breite angelegt. Glaubt denn wirklich jemand das ein übergewichtiges Kind die Playstation ausmacht und losrennt, nur weil irgendjemand irgendwo mal eine Medaille gewinnt?

  2. 1.

    Leistung? Medaillen? Deutsche Siege? Mir fehlt da einiges. Ich hatte das Pech, unter solchen Prämissen in der DDR der 80er Schulsport zu haben. Es ging nicht um Bewegung, um Freude daran, an Wettstreit, an sportlichem Spiel und dem Miteinander, es ging nur um Leistung und Erfolg. Mir hat das für Jahrzehnte die Freude am Sport genommen. Und wenn der Sport nur der Kaderauslese dient, nützt er keinem was. Wenn ich mir die Dopinggeschichte der Leichtathletik ansehe, die Problematik des Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen, und den künstlich mit Sport verquickten nationalen Siegeswahn (Deutschland MUSS Weltmeister werden - olympischer Gedanke zählt eben nicht, sondern nur, den Gegner - also den eigentlichen Wettkampfpartner - zu bezwingen), dann kommen mir erhebliche Zweifel am sozialen Nutzen dieser Art der Sportausübung. Keine Arbeit, kein Essen, ja? Dieses Leistungsdenken im Sport macht kaputt, Mensch wie Gesellschaft.

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