Interview | Nachwuchsprobleme im Handwerk - "Wir müssen jetzt ins Machen kommen"

Do 27.10.22 | 07:30 Uhr
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Symbolbild: Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger posieren nach einem Festgottesdienst mit Fahnenweihe der Schornsteinfeger-Innung Sachsen vor der Christuskirche Dresden-Strehlen (Quelle: dpa / Matthias Rietschel).
Audio: rbb24 Inforadio | 26.10.2022 | Interview mit Michael Biel | Bild: dpa-Zentralbild

Die Babyboomer hinterlassen riesige Lücken auf dem Arbeitsmarkt. Besonders das Handwerk hat es schwer, Nachwuchs zu finden. Wirtschafts-Staatssekretär Michael Biel erklärt im Interview, wie man mehr Leute für eine Ausbildung begeistern könnte.

rbb: Herr Biel, eine der Branchen in Berlin, die vergleichsweise überaltert sind und wenig Nachwuchs finden, ist der Bereich Sanitär-, Heizungs und Klimatechnik. Wie kann man denn hier künftig mehr Menschen für diesen Job begeistern?

Michael Biel: Das ist eine große Aufgabe, die nicht nur die Wirtschaftsverwaltung alleine lösen kann, sondern alle zusammen mit den Innungen, mit den Kammern. Und ich glaube, wir brauchen Storytelling. Wir sollten aufhören, über Fachkräftemangel zu reden. Wir sollten über Fachkräftebedarf reden. Die Berliner Wirtschaft wächst und wir haben höhere Bedarfe, als wir in der Vergangenheit gehabt haben. Wenn man sozusagen positiv über diese Fragen spricht, kommen wir, glaube ich, auch leichter an jüngere Menschen heran.

Was wir alle miteinander schaffen müssen, ist, dass wir die "Fridays for Future"-Leute, die zu Recht die Themen, die sie auf die Straße bringen, ansprechen und die Politik natürlich auch ein Stück weit unter Druck bringen, in die Klimaberufe von heute und morgen bringen. Das schafft man mit einer positiven Kommunikation, das schafft man mit dem Schulterschluss zwischen Kammern, Innungen, der Politik und den Unternehmen.

Und dann müssen wir eines wieder stärker ins Schaufenster stellen: Das Ausland beneidet Deutschland, auch Berlin, um das duale System der Ausbildung. Wenn wir positiv über Ausbildung sprechen, wenn wir viel öfter über Ausbildung sprechen, darüber, dass man damit auch die Welt verändern kann und die Frage des Klimawandels - ich glaube, wenn wir das hinbekommen, dann begeistern wir auch mehr junge Menschen dafür. Ausbildung ist gleichwertig mit akademischer Ausbildung. Das will ich an der Stelle ganz klar sagen.

Die Fachkräftestrategie des Bundes will nun unter anderem erreichen, dass mehr Frauen arbeiten. Wie sieht das in Berlin aus? Ist das überhaupt umsetzbar?

Wir müssen das umsetzen. Das ist ein großer Lösungsansatz. Wir haben bei mir im Haus in der Wirtschaftsverwaltung Kolleginnen und Kollegen, die sich mit Frauen in der Wirtschaft beschäftigen. Im Startup-Bereich sind in einigen Branchenteilen viel zu wenig Frauen unterwegs. Auch das Thema Gründungen ist nicht unbedingt zu 50 Prozent weiblich, sondern wesentlich weniger. Da haben wir eine große Aufgabe vor der Brust.

Das beginnt damit, Frauen darüber zu informieren, was alles geht, aber eben auch die Strukturen zu ändern. Wenn wir genügend Kitaplätze und Schulplätze haben, dann ist das auch ein Lösungsansatz, den wir alle miteinander hinbekommen müssen. In Berlin ist da viel passiert, weil in den letzten Jahren 25.000 zusätzliche Kitaplätze organisiert wurden. Das ist gut, das reicht aber nicht. Und wenn wir Gleichstellung ernst nehmen, dann muss Gleichstellung natürlich auch auf dem Arbeitsmarkt stattfinden. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir brauchen, um die Frage des Fachkräftebedarfs zu lösen.

Zur Person

Der Berliner Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel (SPD) (Quelle: Presse/Reto Klar)
Presse/Reto Klar

Wirtschaftsstaatssekretär in Berlin - Michael Biel

Biel (41) ist SPD-Politiker. Er wurde in Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern geboren und studierte Politikwissenschaft in Berlin. Zwischen 2004 und 2021 arbeitete er für verschiedene SPD-Bundestagsabgeordnete und die Bundestagsverwaltung. Seit Dezember 2021 ist er Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.

Ein zweiter Lösungsansatz ist die Einbindung von Geflüchteten. Auch die hat der Bund im Fokus. Die zuständige Innung Sanitär/Heizung/Klima (SHK) sagte uns, dass nur acht Prozent der Geflüchteten als Azubis in der Sanitärtechnik tätig sind. Ist das ein Problem der Branche oder ist das generell so?

Es gibt generellen Fachkräftebedarf in allen Branchen, egal wo ich hinkomme, ob es in der Gastro ist, im Veranstaltungsbereich oder eben auch im Bereich der SHK-Innung. Das liegt daran, dass die Wirtschaft in Berlin einerseits wächst. Und andererseits die von Ihnen gerade angesprochene Problematik, dass die Babyboomer in Rente gehen.

Wir müssen den Zuzug der Menschen aus der Ukraine und aus anderen Ländern als Gewinn betrachten, auch da positiver kommunizieren und die Menschen da abholen, wo sie stehen, Ausbildungen und Abschlüsse, die sie mitbringen, schneller anerkennen, leichter anerkennen und da, wo Ausbildung noch stattfinden muss, stark unterstützen. Acht Prozent ist ein guter Start, das reicht aber logischerweise nicht. Und wenn man sich richtig integriert, bedeutet das am Ende auch, dass Arbeit eine ganz große Rolle spielen muss.

Wir alle definieren uns ein Stück weit über Arbeit. Das ist Teilhabe. Das müssen wir natürlich auch mit den Menschen machen, die nach Deutschland kommen. Da ist das ganz große Rad, was wir mit dem Bund zusammen drehen müssen, die Frage des Einwanderungsrechts. Wir sind Einwanderungsland. Und wenn wir die Fachkräftebedarfe decken wollen, müssen wir schlichtweg das Einwanderungsrecht entbürokratisieren und anders mit den Menschen umgehen, die bei uns ankommen.

Können wir überhaupt diesen Weg, diese Verrentung verkraften, die ausscheidenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ersetzen? Oder müssen wir uns auf Wohlstandsverlust einlassen, was meinen Sie?

Ich glaube, wir haben es zusammen in der Hand, wenn wir alles dafür tun, dass wir die Fachkräftebedarfe gut angehen. Wenn wir die verschiedensten Ansätze miteinander besprechen und dann dafür auch Lösungen präsentieren. Dann brauchen wir nicht über Wohlstandsverluste zu fabulieren, sondern haben eine gute Zukunft vor uns und alles ist möglich. Die Antworten liegen auf dem Tisch. Wir müssen jetzt ins Machen kommen.

Danke für das Gespräch.

Es handelt sich um eine redigierte Fassung des Interviews. Die Audiofassung können Sie anhören, wenn Sie oben links auf das Symbol im Bild klicken.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.10.2022, 9 Uhr

Schwerpunkt Babyboomer

7 Kommentare

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  1. 7.

    Unverständlich ! Angeblich treten sich doch die Arbeitsuchenden beim Jobcenter fast zu Tode, weil der Andrang an Fachkräften und der Wunsch nach Arbeit so hoch ist.

  2. 6.

    Wer eine Ausbildung wählt, wird Gründe dafür haben.
    Wer eine akademische Ausbildung wählt, auch.
    Es mag Fälle geben, in der eine Ausbildung gute Möglichkeiten für einen beruflichen Aufstieg bietet. Tatsache aber bleibt, dass die von Ihnen angeführten Aufstiegschancen in Berufen, welche einen akademischen Abschluss voraussetzen, in der Regel höher sind, als in normalen Ausbildungsberufen.
    Es mag durchaus einige Ausbildungsberufe geben, die ein sehr hohes Bildungsniveau des Auszubildenden voraussetzen,
    nur frage ich mich, warum Eltern von jungen Menschen, die über ein solches Niveau verfügen, ihren Kindern eher zu einem Studienabschluss raten, als zum Erlernen eines Ausbildungsberufs. Es ist nur eine Vermutung, aber ich denke, diese Eltern sehen vor allem diejenigen Ausbildungsberufe, die kein allzu hohes Bildungsniveau voraussetzen - es sei denn, man betrachtet einige Kenntnisse in schreiben, lesen und rechnen schon als Bildung. So gesehen sind die Aussagen des Mannes amüsant.

  3. 5.

    Die Ausbildungszeit ist bereits rentenwirksam, das Studium nicht und muss zurück verdient werden. (einschl. Abi)

  4. 4.

    Also zusammengefasst: Für Kinder Fremdbetreuung ab Geburt und Notschule mit Personalmangel, für Mütter und Väter keine Alternative mehr zu Vollzeit mit Überstunden, die Kinder sieht man mal im Urlaub. Für die Jugend kein Studium mehr, sondern 50 Jahre Maloche zum Mindestlohn in der Pflege oder der Gas-Wasser-Sch* Branche.

    Die Einzigen, denen ein Wohlstandsverlust damit erspart bleibt, sind die (heutigen oder sehr baldigen) Rentner, ihr Besitzstand wird gewahrt und die Mehrarbeit brauchen sie nicht zu leisten.

  5. 3.

    Haben Sie je in den letzten 5-7 eine Prüfung bei der IHK gemacht? Sind Sie anerk. Ausbilder?
    Keine Ahnung, aber Scherz-Keks spielen wollen.
    Der Mann hat selbstredend Recht und ich verstehe auch nicht, warum Mädchen wie Jungen gefühlt nur 10 Ausbildungsberufe kennen. Aber auch das ist ein alter Hut, die Wirklichkeit sieht echt progressiver aus. Und die Ansprüche in einigen Ausbildungsberufen dürften höher sein, als so in manchem gewählten Studienfach, in dem der Studierende nicht so richtig weiß, wohin es beruflich geht.
    Wer einenAusbildungsberuf mit - unbedingt(!)- IHK-Abschluss wählt, hat wirklich auch Aufstiegschancen gewählt!
    Aber da kann man sich ja "Fransen an die Gusche reden". Nicht kneifen, sondern machen!

  6. 2.

    ,,Ausbildung ist gleichwertig mit akademischer Ausbildung. Das will ich an dieser Stelle ganz klar sagen."
    Großartig, genau mein Humor!

  7. 1.

    "Wir müssen den Zuzug der Menschen aus der Ukraine und aus anderen Ländern als Gewinn betrachten,.."
    Das sind Menschen,die aus Zwängen ihr Land verlassen und die von der Wirtschaft nur als zukünftige Arbeitskräfte gesehen werden. Wieso hat das so ein positives Bild?

    Auch hier wird Bezahlung/Arbeitszeit wieder nicht thematisiert.

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