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Quelle: rbb/Simon Wenzel

Zukunft des Einkaufens

Kameras, die auf Regale und Menschen starren

Roboter, die Inventur machen, Künstliche Intelligenz, die das Alter kontrolliert und Supermärkte ohne Kassen: Die Welt des Einkaufens könnte sich verändern und Technik Menschen ersetzen - wenn die deutschen Konsumenten denn mitmachen. Von Simon Wenzel

Auf den ersten Blick sieht die Kasse ganz normal aus. Selbstbedienung, klar, aber das kennt man inzwischen. Die Kundin zieht Schokoriegel und andere Snacks in Plastikverpackung über den Scanner und legt sie in ihre Tasche. Jetzt aber kommt sie zum Obst - bislang an "self checkout"-Kassen in den Supermärkten ein echtes Ärgernis. Man muss aus einer gefühlt ewig langen Liste das richtige Obst suchen, und das dauert dann doch länger als die Früchte einem lebenden Kassierer anzuvertrauen.

Diese "self checkout"-Kasse aber ist "künstlich intelligent": Der Prototyp der Universität Heilbronn erleichtert das Abkassieren von Obst, Gemüse und Backwaren - bislang einer der Hauptgründe, wieso Kundinnen und Kunden den Kauf an Selbstbedienungskassen abbrechen. Kameras und Künstliche Intelligenz sollen das künftig verhindern: Die Kasse erkennt nun automatisch, welches Obst auf die Waage gelegt wird, wählt dieses aus und wiegt - zuverlässig und schnell.

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Am Potsdamer Platz kann man in die Zukunft blicken

Der zweite Abbruchsgrund ist der Kauf von Alkohol oder vielmehr die notwendige Altersüberprüfung. Auch hier bieten Kameras die Lösung: Diesmal wird nicht das Produkt von der KI analysiert, sondern der Kunde. Er muss in eine Kamera blicken, der Computer schätzt dann das Alter. Und zwar im Schnitt besser als echte Menschen, sagt Marilyn Repp. Sie arbeitet in der "retail garage" und hat gerade den Kassen-Prototypen vorgeführt. Bei Repp hat er sich um vier Jahre verschätzt, oder er wollte ihr schmeicheln, man weiß ja nie, wie intelligent die KI schon ist.

Die Kasse ist eines der ersten Ausstellungsstücke im Eingangsbereich der "retail garage" am Potsdamer Platz. Es ist ein Ort, der Einblicke in die Zukunft des Einkaufens ermöglicht. Hier sieht es ein bisschen aus, wie im Werkraum eines Technik-Bastlers. Roboter stehen herum, an der Decke hängen Kameras, und an einem Tisch findet sich ein kleines Automodell. Mit einem Tabletcomputer lässt es sich - zumindest digital - als großer Rennwagen mitten in den Raum setzen. Die "retail garage" ist ein Showroom für den Handel, Mittelständler sollen sich hier über Innovationen informieren. Es geht vor allem um Digitalisierung. Finanziert wird das Projekt vom Bundeswirtschaftsministerium, initiiert wurde es unter anderem vom Handelsverband Deutschland.

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Supermärkte ohne Kassen werden längst getestet - auch in Berlin

Wann und ob die Kasse mit KI-Unterstützung tatsächlich in deutschen Supermärkten eingesetzt wird, ist offen. Das sei auch eine rechtliche Frage, sagt Marilyn Repp. Im Gegensatz zu Kassiererinnen und Kassierern kann sich der Roboter nämlich nicht einfach einen Personalausweis zeigen lassen, wenn er beim Alter unsicher ist. Dürfen Ladenbesitzer also einem Computer die Verantwortung übertragen beim Verkauf von Alkohol an möglicherweise Minderjährige? Die Frage wird kommen.

Es geht allerdings auch noch autonomer: Die Lebensmittelkette "Rewe" ist schon einen Schritt weiter. Sie testet in Berlin seit über einem Jahr den kassenlosen Supermarkt. Kundinnen und Kunden registrieren sich dafür per App. Am Eingang checken sie ein und lassen sich von einem Kamerasystem erfassen. Der Weg durch die Regallandschaft wird anschließend mit zahlreichen Kameras im Markt verfolgt und dabei registriert, welche Waren aus den Regalen genommen werden. "Rewe" sagt, die Verfolgung der Kunden im Markt arbeite ohne Gesichtserkennung. Anhand von "schematischen Darstellungen des Knochenbaus" und Kleidungsstücken könne die KI die Kunden unterscheiden. Die Waren können sofort in eingepackt werden, bezahlt wird beim Rausgehen automatisch, der Bon kommt digital.

Seit November 2022 testet "Rewe" dieses System im Prenzlauer Berg. Das Unternehmen teilt auf Anfrage mit, die Technologie bewähre sich in der Praxis. Die Rückmeldungen der Kunden seien anhaltend positiv. Auch "Rewe" selbst zieht ein positives Zwischenfazit, da die Fehlerquoten "auf konstant niedrigem Niveau" und die Reklamationen "im marktüblichen Rahmen" seien. Ob der kassenlose Supermarkt beliebter ist als ein herkömmlicher, lässt sich nicht sagen: Im Test-Markt gibt es vorerst auch klassische Kassen und zumindest der subjektive, optische Eindruck an einem Zufallstag ist: die werden (noch) bevorzugt genutzt.

Innovation trifft auf Deutschen Wunsch nach Datenschutz

Auch zu den Kosten der technologischen Umrüstung nennt "Rewe" keine konkreten Zahlen. Für den kassenlosen Markt braucht es nämlich Sensorböden in den Regalen, unzählige Kameras und die zugehörigen Computer und Server, die die Daten verarbeiten und zwischenspeichern (laut Datenschutzhinweisen bis zu 10 Tagen, allerdings verpixelt).

Revolutionäre Innovationen des Alltäglichen haben es in Deutschland traditionell schwer. Besonders beim Bezahlen hat die Deutsche Kundschaft den Ruf, skeptisch zu sein, vor allem mit Blick auf den Datenschutz. Viele Unternehmer seien deshalb unsicher bei derartigen Innovationen, sagt Marilyn Repp. Und sie fügt hinzu: "Das ist aber das, was wir nicht wollen, wir wollen, dass die Unternehmen nach vorne gehen, dass sie Prozesse anstoßen." Repp ist neben ihrer Tätigkeit in der "retail garage" auch stellvertretende Geschäftsführerin des Mittelstand-Digital Zentrums Handel. Digitalisierung ist ihr also schon von berufswegen wichtig.

Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz sieht den Kassenlosen Supermarkt eher skeptisch. Er findet: Selbst ohne Gesichtserkennung gibt der Kunde hier persönliche Daten ab: "Die Physiognomie eines Menschen ist einzigartig und damit auch als Identifikator nutzbar." Nicht nur ein Fingerabdruck oder ein Fingerscan seien hochsensible biometrische Daten, "sondern auch solche, etwas ungewöhnlich klingenden, Daten". Potenziell ließen sich aus dem Bewegungsablauf und dem Körperbau viele Dinge ableiten. Allerdings könne er nur warnen. Mit Einwilligung der Kunden seien solche Systeme möglich, so Weichert.

Alarm, da fehlt etwas! Im Supermarkt können Kamerasysteme helfen, um schnell leere Regale direkt zu erkennen. | Quelle: rbb/Wenzel

Roboter machen jetzt Inventur

Auch der Experte für moderne Bezahlsystemen des Handelsverbands Deutschland, Ulrich Binnebößel, kennt solche Bedenken. Er beschreibt den deutschen Konsumenten als "konservativ", das sei allerdings "nicht negativ gemeint". Die Deutschen würden besonders beim Bezahlen das Gewohnte nicht gerne aufgeben. Wenn, dann nur für einen erkennbaren Zusatznutzen. Deshalb stünde auch das Bargeld hier höher im Kurs als etwa in Skandinavien. Zur Frage nach dem Durchbruch des kassenlosen Supermarkts sagt er: "Wage ich noch nicht einzuschätzen." Auch andere Innovationen, wie die derzeitigen "self checkout"-Kassen, hätten hierzulande schließlich Jahre oder sogar Jahrzehnte gebraucht.

Ein wenig spiegelt sich diese Innovationsskepsis der Deutschen auch in der "retail garage" wieder. Denn die meisten Innovationen hier kommen eher hinter den Kulissen zum Einsatz. Ein Roboter zum Beispiel, der wie ein kleiner Funkturm über die Ladenfläche fährt. Er erledigt eine wirklich lästige Arbeit: Inventur. Rumlaufen und Waren zählen, manchmal stundenlang - was bisher Mitarbeiter machen mussten, können jetzt Roboter erledigen. Nachts, wenn Kunden und Mitarbeiter schlafen, fährt das kleine Türmchen durch die Gänge und liest spezielle elektronische Etiketten an der Kleidung aus. Beim Sportartikel-Discounter "Decathlon" ist dieser beispielsweise schon im Einsatz.

Spart Arbeitszeit: Dieser elektronische Helfer fährt Nachts durch den Laden und scannt anhand der elektronischen Etiketten den Bestand. | Quelle: rbb/Simon Wenzel

"Junge Menschen sagen: Wieso könnt ihr das nicht digital machen?"

Auch Marilyn Repp denkt, dass die Roboter und Kamerasysteme in Deutschland zunächst vermehrt im Hintergrund zum Einsatz kommen, um die Arbeit des Ladenpersonals effektiver zu gestalten. Die Unternehmen hätten häufig Personalmangel, auch auf der Verkaufsfläche. "Sie wollen schauen, wie können wir das Personal entlasten und unterstützen, indem man ihm lästige Arbeit abnimmt", sagt Repp.

Für Supermärkte lohnt sich der kleine Funkturm allerdings nicht, die elektronischen Labels kosten mehrere Cent pro Stück. Bei geringen Warenwerten stünden Kosten und Nutzen also in keinem Verhältnis. Hier können - stattdessen - Kameras helfen. Diese überwachen im laufenden Betrieb die Regal-Positionen. Ist ein Teil des Regalbretts leer, schlägt das System Alarm. Das Auffüllen müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst erledigen. Die Systeme könnten also ein "win-win"-Modell zu sein, denn auf Inventur und Kontrollgänge haben viele Mitarbeiter sowieso keine Lust mehr. "Gerade jüngere Menschen sagen mittlerweile: Wieso könnt ihr das nicht digital machen, wieso muss ich jetzt hier die Regale ablaufen und das händisch abzählen?", erzählt Repp.

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In den USA zahlt man mit der Handfläche

Der Blick in die Zukunft des Deutschen Handels ähnelt eher einer Fachmesse. Ein Blick durch das digitale Fernglas Internet, auf andere Kontinente - vor allem Asien und Nordamerika - verrät aber: Es gibt sie noch, die verrückten Zukunftsvisionen. Ein Beispiel ist das "Palm Payment", das der US-Konzern "Amazon" seit Jahren in einigen seiner Stores und bei der Supermarktkette "Whole Foods" einsetzt.

Dabei zahlen die Menschen mit ihrer Handfläche, die flach in die Luft, über ein Gerät gehalten wird: Tatsächlich werden hier Venen-Strukturen von einer Kamera erfasst und so unverwechselbar mit einem Kundenkonto verknüpft.

Bezahlen per Fingerabdruck ist schon vor über zehn Jahren gescheitert

In Deutschland dürften es solche Innovationen schwerer als in anderen Ländern haben. Das glaubt zumindest Ulrich Binnebößel vom Handelsverband. "Nach den Erfahrungen der Vergangenheit würde ich sagen, das ist ein Thema, bei dem die Deutschen Verbraucher lieber ein zusätzliches Gerät - wie ein Smartphone - nutzen, welches man sperren kann", sagt er. Und das obwohl Datenschützer Weichert das Bezahlen per Handfläche weniger kritisch sieht, als beispielsweise die Kameras in der "Rewe"-Filiale, eine tatsächliche Gesichtserkennung oder einen Fingerabdruck.

Apropos: Der Fingerabdruck wurde vor über zehn Jahren in Deutschland auch schon mal als große Innovation getestet. Unter anderem "Rewe" war damals mit dabei. Das System scheiterte krachend in Deutschland. Ein gutes Beispiel dafür, dass letztlich nicht nur die Händler bestimmen, wie die Zukunft des Einkaufens aussieht, sondern auch die Kunden.

 

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