Konzertkritik | Algiers im Lido - Ein Abend in Flammen

Do 19.05.22 | 10:39 Uhr | Von Jakob Bauer
Algiers-Sänger Franklin James Fisher im Januar 2022 in Kopenhagen (Quelle: Gonzales Photo/Malthe Ivarsson)
Audio: rbb24 Inforadio | 19.05.2022 | Jakob Bauer | Bild: Gonzales Photo/Malthe Ivarsson

Apokalyptische Klangteppiche, klagender Soul und komplexe poitische Themen: Die Band Algiers hat am Mittwochabend im Berliner Lido gespielt. Jakob Bauer ist gnadenlos begeistert.

Als die Band Algiers im Jahr 2020 den Song "Can The Sub Bass Speak" veröffentlichte, war das genauso kunstvolle Komposition wie persönliches Statement. Ein Free-Jazz-Saxofon, das nur seinen eigenen Regeln folgt, ein umherrasendes Schlagzeug, elektronische Einsprengsel und darüber die Stimme des afroamerikanischen Sängers der Band, Franklin James Fisher, der sich immer weiter in einen Text steigert. In Zeilen, die er im Laufe seiner Karriere immer und immer wieder hat hören müssen.

Zeilen wie: "Das ist kein Hip Hop. Das ist kein Punkrock, was macht ihr da eigentlich? Das hat zwar Soul, aber warum müsst ihr es so hässlich machen? Du siehst aus als wären deine Vorfahren aus Afrika. Wusstest du eigentlich, dass Bob Dylan den Rap erfunden hat?" und so weiter und so fort.

Es sind Rassismuserfahrungen, im Musikgeschäft genauso wie im Alltag, und dieser Song steht damit exemplarisch für die starke Haltung, die die Band Algiers schon immer prägt. Rassismus ist als Thema allerdings nur ein Teil des politischen Kaleidoskops, das die Band ausmacht.

So auch am Mittwochabend im Lido, der gnadenlos beeindruckt, reinzieht, nicht mehr loslässt.

Gospel, Metal, Soul und Noise

"Verlasse dein Amerika, während es in Flammen steht", heißt es im Song "Disposession", zu Deutsch: Enteignung. Fassungslosigkeit und Wut über die schlimmsten Auswüchse einer kapitalistischen Gesellschaft, die am Rande des Kollapses steht. Aber auch ein Willen zu Veränderung prägen dieses Konzert inhaltlich wie musikalisch. Denn obwohl man von den Texten kaum etwas versteht, sagt die Musik alles.

Da sind alle Emotionen drin. Über apokalyptische Klangteppiche legt sich klagender Soul, überschlägt sich, geht in Geschrei über, ein Gospel-Song wird von Metal-Gitarren zerschreddert und ein paar zarte Klavierakkorde werden mit dem Loopgerät nach und nach zu einer Wall of Sound aufgetürmt. Die Band bezieht sich durchaus auf musikalische Traditionen, aber sie denkt sie weiter, macht sie gegenwärtig. Packt den Schmerz der aktuellen Welt auf den Schmerz der Vergangenheit.

Discofox im Noise-Gewitter

Wie die fünf Männer auf der Bühne dabei zucken und schwitzen, an ihren Instrumenten Schwerstarbeit verrichten, das ist wohl so etwas wie die Quintessenz des Live-Erlebnisses. Vor allem der Bassist nimmt mit seiner Ausstrahlung, mit seinen betörenden Bewegungen und der frustrierten Ausgelassenheit den ganzen Saal ein. Während der Gitarrist mit einem Geigenbogen bedrohliche Klänge beschwört und Frontmann Fisher alles in Grund und Boden singt.

Einmal stehen alle fünf vorne im Kreis, schauen sich an, Klatschen den Rhythmus, der sich wie ein Feuer im Saal verbreitet. Trotz oder gerade wegen ihres Furors schaffen die Algiers ein beeindruckendes Gemeinschaftserlebnis, alle sind hier gleichermaßen angefasst. Dem wild gemischten Publikum geht das hier genauso ins Knochenmark wie in’s Herz. Sogar der Lichtmischer ist dauernd am Ausrasten und ein Paar um die 60 tanzt Discofox zu einer besonders noisigen Nummer.

In einem Interview haben die Algiers gesagt: "Die politische Situation ist komplex, also muss auch die Musik komplex sein, sonst ist sie anachronistisch." Und die Rechnung geht auf, denn komplex sind auch die Adjektive, die man mit sich nach Hause nimmt: War das destruktiv! War das konstruktiv! Sind die groß!

Sendung: rbb/24 Inforadio, 19.05.2022, 7.55 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

Nächster Artikel