Interview | Berliner Fotograf Florian Hetz - "Männerkörper werden oft als ästhetisch minderwertig angesehen"

So 03.07.22 | 15:56 Uhr
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Bilder des Fotografen Florian Hetz (Quelle: ©Florian Hetz)
Bild: ©Florian Hetz

Schultern, Münder, viel Haut - der Berliner Künstler Florian Hetz seziert in seinen Fotos den männlichen Körper. Noch immer sei maskuline Sexualität in der Welt der Fotografie unterrepräsentiert, sagt er im Interview. Und dass er das ändern will.

Wie zwei Hügel ragen beide Schulterblätter nach oben. In der Mitte zieht sich die Wirbelsäule über den Rücken und ähnelt dabei einem reißenden Fluss. Die restlichen Körperteile sind auf dem Foto nicht zu sehen – weder Kopf, noch Arme oder Hände. Dieses Heranzoomen an den menschlichen Körper ist das Markenzeichen des Künstlers Florian Hetz.

So auch bei der Fotoserie “Haut”, die der Berliner Fotograf erst kürzlich in Melbourne im Rahmen der Biennale im öffentlichen Raum ausgestellt hat.

Florian Hetz (Quelle: Florian Hetz)
Selbstbild: Fotograf Florian Hetz | Bild: Florian Hetz

Mit seiner Kamera nimmt er das größte Organ des Menschen unter die Lupe, um zu zeigen, dass die gängigen Farbkategorien schwarz, braun und weiß, nicht ausreichen, um die Haut zu beschreiben.

Dieses Sezieren des menschlichen Körpers kommt gut an. Auf Instagram folgen Hetz fast 100.000 Menschen. Dabei war die professionelle Fotografie nicht sein Plan A. Nach Jahren der Überbelastung als Produktionsleiter beim Theater und später beim Fernsehen zwang ihn sein Körper allerdings dazu, sich neu zu orientieren. Seit 2000 lebt Hetz in Berlin.

rbb|24: Herr Hetz, in einem Interview haben Sie mal gesagt, Sie seien ein Workaholic gewesen, bevor Sie mit der Fotografie angefangen haben.

Florian Hetz: Ich habe immer gerne und viel gearbeitet; für mich war eine Sieben-Tage-Woche ganz normal. Ich habe nie gelernt, runterzufahren und mich in einer permanenten Stresssituation befunden.

Dann sind Sie an einer Enzephalitis erkrankt.

Vor der Enzephalitis war ich an Gürtelrose erkrankt – ein eindeutiges Indiz dafür, dass mein Immunsystem bereits geschwächt gewesen war. Doch anstatt auf die Bremse zu treten, habe ich beim Arbeiten noch mehr Gas gegeben. Auf den Stress hat mein Körper schließlich mit der Gehirnentzündung reagiert. Nach meinem Aufenthalt im Krankenhaus habe ich mich dazu entschieden, meinen Job aufzugeben. Ich habe danach lediglich am Wochenende in der Gastro gearbeitet. Auch wenn der Effekt der Enzephalitis dramatisch war, bin ich ihr dankbar. Ich habe gelernt, Prioritäten zu setzen und mich auf die Dinge zu konzentrieren, die mir wichtig sind. Viele lernen das beiläufig; ich musste im Krankenhaus landen.

Fotos von männlichen Körpern (Quelle: Florian Hetz)
| Bild: Florian Hetz

Sie haben nicht nur gelernt, Prioritäten zu setzen, sondern wegen der Erkrankung auch zur Fotografie gefunden. Wie kam es dazu?

Die Enzephalitis hat vor allem mein Kurzzeitgedächtnis, aber auch mein Langzeitgedächtnis angegriffen. Als Erinnerungsstütze habe ich angefangen, meinen Alltag zu dokumentieren; ich habe in jeder Lebenslage Fotos gemacht. Ein Foto eines sehr intimen Moments von meinem damaligen Lover und mir habe ich auf der Website Tumblr hochgeladen. Das Bild ist in sehr kurzer Zeit viral gegangen. Als das gleiche mit einem zweiten und dritten Foto passiert ist, war mir klar, dass meine ästhetische Vision was mit den Betrachtern macht. Daraufhin habe ich mir eine bessere Kamera und ein kleines LED-Licht besorgt und nach Menschen gesucht, mit denen ich die Bilderwelten kreieren konnte, die ich in meinem Kopf trage.

Fotos von männlichen Körpern (Quelle: Florian Hetz)
| Bild: Florian Hetz

Heute machen Sie vor allem Fotos von männlich präsentierenden Personen und gehen dabei mit der Kamera oft ganz nah ran. Was hat es mit diesen Close-Ups auf sich?

Als queere und schwule Kinder dürfen wir unsere Begehren nicht ausleben, wir dürfen nie hinschauen. Unsere Sehnsüchte werden von der Gesellschaft nicht so geduldet wie bei unseren heterosexuellen Freunden. Heute bin ich aber erwachsen und kann mit der Kamera ganz genau hinschauen.

Bei Ihren Fotos fangen Sie sehr intime und auch sexuelle Momente ein. Wie finden Sie Menschen, mit denen sich diese kreieren lassen?

Ich arbeite nur mit Leuten zusammen, die mich kontaktieren und Teil meiner Arbeit sein wollen. Bevor ich diese Menschen fotografiere, möchte ich Zeit mit ihnen verbringen – manchmal nur eine Stunde, manchmal einen ganzen Tag. So kann ich eine entspannte Atmosphäre schaffen. Allerdings gibt es immer wieder Leute, die glauben, dass das Shooting in einem Sexdate endet. Wenn sie sich frei vor der Kamera fühlen, können sie machen, was sie wollen. Ich bin aber nicht dazu da, eine helfende Hand zu geben. Umgekehrt müssen sich nicht alle nackt machen. Ich bin auch zufrieden mit einem Arm, einer Schulter oder einem Ellenbogen.

Fotos von männlichen Körpern (Quelle: Florian Hetz)
| Bild: Florian Hetz

Also arbeiten Sie auch mit Amateuren?

80 Prozent der Menschen, die ich fotografiere, sind keine Models. Das sind Menschen, die Lust haben, sich mal anders oder eben durch mich zu sehen. Denn wie wir uns selbst sehen unterscheidet sich oft von dem, wie andere uns sehen. Nach den Shootings sagen mir viele, wie toll es ist, Dinge an sich zu entdecken, die sie spannend finden oder zuvor noch nie wahrgenommen habe.

Wie kommt es, dass Sie fast ausschließlich männlich präsentierende Personen ablichten?

Lange Zeit war der Grund, warum ich hauptsächlich männlich präsentierende Personen fotografiert habe, dass cis* Frauen von Künstlern über die Jahrhunderte als Modell oder Objekt benutzt wurden und ich dem nichts mehr hinzufügen wollte. Der Mann als Modell hingegen wird bis heute als zweitrangig betrachtet. Männerkörper werden oft noch als ästhetisch minderwertig angesehen. Das habe ich nie akzeptiert.

Fotos von männlichen Körpern (Quelle: Florian Hetz)
| Bild: Florian Hetz

Ist ihre Arbeit also politisch?

Meine Arbeit ist nicht so politisch wie Kriegsfotografie, aber politischer als Modefotografie. Durch Social Media habe ich die Möglichkeit, meine Fotos in der Welt zu verbreiten. Ich kriege oft Nachrichten von Menschen aus Ländern, in denen es nicht möglich ist, maskuline Sexualität zu zeigen. Mir schreiben beispielsweise Menschen aus Pakistan, dass es ihnen Hoffnung gibt, zu sehen, dass es woanders möglich ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

*cis: cis (cisgeschlechtlich) bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht übereinstimmt.

Mit Florian Hetz sprach Christopher Ferner für rbb|24.

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7 Kommentare

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  1. 7.

    Also meiner Meinung nach sind Männerkörper vieles, ästhetisch sind sie jedoch nicht. Auch die Bilder im Beitrag ändern daran nichts.

  2. 5.

    Ich verstehe den ganzen Beitrag nicht - sorry !

  3. 4.

    Also mit verlaub, ästhetische Männerkörper, sind viel seltener als weibliche, zumindest in jungen Alter. zugegeben mit zunehmenen Alter verliert sich bei den Frauen der Vorsprung.

  4. 3.

    Hm… also ich sehe vermehrt und fast gleichberechtigt auch erotisch zurecht gemachte Männertypen auf Werbeplakaten und auch in elektronischen Medien. Von feminin bis finnischer Holzfäller… alles dabei. Sicher… nur nicht gnaz nackt so in der Werbung. Aber gestählter freier Oberkörper schon. So selten sind Männer eigentlich auch nicht mehr in der Fotografie.

  5. 2.

    Minderwertig?

    Wer behauptet sowas?

    Und warum?

  6. 1.

    Ein feines Projekt. Mich stört schon lange die zu große Bilderflut von weiblichen Körpern.
    Ob queer oder nicht Hetero spielt bei der Ästhetischen Betrachtung keine Rolle für mich.
    Selbst war ich mit meinen ü60 neulich aus diesem Grund bei einem Bekannten Schweizer Künstler Aktmodell. Bin gespannt auf die Ausstellung "Blatt vor dem Mund". Übrigens waren auch Frauen dabei.

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