Premiere am Berliner Ensemble - Lost in der Ehe-Hölle

So 26.02.23 | 12:16 Uhr
"Totentanz" von August Strindberg, Regie: Kay Voges (Quelle: JR Berliner Ensemble)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.02.2023 | Barabara Behrendt | Bild: JR Berliner Ensemble

Der Intendant des Wiener Volkstheaters Kay Voges inszeniert Strindbergs "Totentanz" gekoppelt mit der Mystery-Serie "Lost". Eine arg gekünstelte Kopfgeburt - findet Barbara Behrendt, die sich das Stück angeschaut hat.

August Strindbergs "Totentanz" ist die Mutter aller Ehehölle-Geschichten. Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" oder Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" wären ohne Strindberg kaum denkbar. Sie alle variieren dasselbe Thema: ein Ehepaar, das sich abgeschieden vom Rest der Welt zerfleischt und in Hassliebe miteinander verbunden ist.

Am Berliner Ensemble hat der Regisseur Kay Voges das Stück jetzt mit der Mystery-Fernsehserie "Lost" gekoppelt. Und wer jemals eine Folge gesehen hat, erkennt sofort, wo wir uns befinden: auf der unterirdischen Forschungsstation, die die abgestürzten Flugpassagiere auf der einsamen Insel irgendwann ausfindig machen. Ein Betonbunker mit Überwachungskameras, uralten Computern und der wichtigen Zeitanzeige: 108 Minuten, jede Sekunde eine Sekunde weniger. Bei Null muss ein Geheimcode eingegeben werden, der den Weltuntergang verhindert. Angeblich. Und so schrillt auch auf der Bühne irgendwann der Alarm für die Geheimcode-Eingabe.

"Totentanz" von August Strindberg, Regie: Kay Voges (Quelle: JR Berliner Ensemble)

Der Genuss am Leid des Gegenübers

Die Verbindung zwischen Serie und Strindberg ist so offensichtlich wie oberflächlich. Auch im "Totentanz" leben zwei Menschen abgeschieden vom Rest der Welt, eingebunkert in einem Turm auf einer Quarantäne-Insel, und gehen ihren seltsamen Ritualen nach, die da lauten: den anderen so fies wie möglich bekämpfen und beleidigen, ohne ihn jedoch zu verlassen oder zu töten. Denn dann hätte das Spiel ja ein Ende. Und so macht sich das Paar Edgar und Alice das Leben zur Hölle – und genießt dabei das Leid des jeweils anderen.

Bis der Cousin Kurt als neue Spielfigur ins Feld geführt wird und sich von Alice gegen den mittlerweile kranken oder krank spielenden Edgar vereinnahmen lässt. Zuletzt wird Kurt zum Opfer des Paares, das auf der Bühne auch willens ist über Leichen zu gehen.

Mit psychologischem Realismus hat dieses Höllenspiel nichts gemein. Der Regisseur und außerdem Intendant des Wiener Volkstheaters Kay Voges legt den Abend als Groteske an, als schrilles, absurdes Lebensspiel mit Thriller-Elementen. Mit knallorangefarbener Pagen-Perücke und Negligé sitzt Alice, bei Claude De Demo eine grell überzeichnete Figur, im uralten Bürosessel und rasiert sich die Beine. Bis Edgar, bei Marc Oliver Schulze ein ergrauter Mann in langen Unterhosen, ihr die Klinge aus der Hand nimmt und sie zwischen Alices Beine führt.

Von Strindberg zu Beckett zu Lost

Schon auf der Webseite des Theaters und noch ausführlicher im Programmheft erläutert Kay Voges die Verbindung zwischen Strindberg und der Fernsehserie, aber auch

zwischen Strindberg und dem absurden Theater Samuel Becketts. Und das muss er auch – von selbst erklärt sich auf der Bühne nämlich reichlich wenig. Voges liebt Verschränkungen zwischen Theater, Pop- und Netz-Kultur, Philosophie und Wissenschaft. In einer früheren Inszenierung am BE hatte er die Ensembles in Dortmund und Berlin live per Video verschaltet und sie Quantenphysik-Ideen austesten lassen. Doch auch das war eher an der Bildoberfläche interessant als inhaltlich getragen.

"Totentanz" von August Strindberg, Regie: Kay Voges (Quelle: JR Berliner Ensemble)

Man bleibt außen vor

Obwohl bei Strindberg hier und da existenzielle Sätze wie diese fallen: „Wir wissen, nur der Tod kann uns scheiden, deshalb sehnen wir ihn herbei“ – so bleibt der Dreisatz von Strindberg und Beckett zu Lost doch eine reichlich aufgesetzte Kopfgeburt. Auf der Bühne entsteht aus den drei Denkansätzen nicht mehr, sondern weniger Substanz. Strindberg wird auf einzelne Motive und Kernfiguren reduziert, die vielschichtige Serie ebenfalls, und Beckett findet man nur, wenn man weiß, dass man nach ihm suchen soll. Eine auf allen Ebenen gekünstelte und dadurch auch zähe Inszenierung, die das Publikum, trotz der grotesken Komik, gänzlich außen vor lässt. Welche Kämpfe dieses Schreckenspaar miteinander ausficht, interessiert einen herzlich wenig.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.02.2023, 8:55 Uhr

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