Konzertkritik | Der heiligen Jungfrau Maria - Starke Frauen

Fr 30.06.23 | 09:02 Uhr
RIAS Kammerchor Berlin. (Quelle: Fabian Schellhorn)
Fabian Schellhorn
Audio: rbb24 Inforadio | 30.06.2023 | H. Ackermann | Bild: Fabian Schellhorn Download (mp3, 4 MB)

Im Kammermusiksaal der Philharmonie war am Donnerstag der RIAS Kammerchor zu Gast. Im Mittelpunkt des Programms: die Heilige Jungfrau Maria, "Stella Maris - der Meeresstern", wie sie in vielen religiösen Texten genannt wird. Von Hans Ackermann

Unter der Überschrift "Stella Maris" hat sich der RIAS Kammerchor für sein Konzert am Donnerstagabend im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie zwei ganz unterschiedliche Messen ausgesucht. Die erste stammt aus der Renaissance, komponiert vom spanischen Komponisten Tomás Luis de Victoria. Beim anderen Werk handelt es sich um die "Messe-G-Dur", die der Franzose Francis Poulenc 1937 uraufgeführt hat. Als Besonderheit dieses Abends werden die Sätze der Messen mit Motetten aus der jeweils anderen Epoche gemischt.

RIAS Kammerchor Berlin. (Quelle: Fabian Schellhorn)
Bild: Fabian Schellhorn

Heilige Jungfrau Maria im Mittelpunkt

So unterschiedlich die geistliche Musik an diesem Abend deshalb auch klingt, im Mittelpunkt steht immer ein und dieselbe Frau: die Heilige Jungfrau Maria. Als "Meerestern" wird sie im "Canticum Mariae Virginis" des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara angerufen: "Ave Maris Stella - gegrüßt seist du, Meeresstern" heißt in diesem Hymnus aus dem 8. Jahrhundert, den der 2016 gestorbene zeitgenössische Komponist zehnstimmig variiert - und mit seiner Musik auch beweist, wie lebendig der mehr als 1000 Jahre alte Marienkult nach wie vor ist.

Gut 400 Jahre vor dem finnischen Avantgardisten hat Tomás Luis de Victoria mit seiner "Missa Ave Maris Stella" die Verehrung für die Heilige Jungfrau in der Polyphonie der Renaissance zum Ausdruck gebracht. Nach "Kyrie" und "Gloria" läßt Chefdirigent Justin Doyle den RIAS Kammerchor dann eine zeitgenössische Marien-Komposition von Rory Wainwright Johnston singen. Der junge britische Komponist, geboren 1993, kommt anschließend auf die Bühne, erst danach folgen "Sanctus" und "Benedictus".

Freude und Zuversicht

Nun folgt das einzige Chorlied an diesem Abend, das nicht in lateinischer Sprache gesungen wird: "A Childs Prayer", ein Kinder-Gebet, das der zeitgenössische schottische Komponist James MacMillan den 16 Erstklässlern gewidmet hat, die 1996 bei einem Amoklauf im schottischen Dunblane getötet wurden. Die Musik trauert, versucht aber mit "Joy and Love" im Text auch Freude, Liebe und Trost zu spenden.

Mit dem "Agnus Dei" aus der Renaissance-Messe endet der erste Teil des Abends. Der 1975 in Lancaster geborene Dirigent Justin Doyle hat diese Musik bereits im Alter von acht Jahren selbst gesungen, als Knabe im Chor von Westminster Cathedral, später hat er die Chorschule des renommierten King’s College in Cambridge besucht.

Der vorzügliche britischen Chorleiter, seit 2017 Chefdirigent des RIAS Kammerchor geht nach der Pause nun den genau umgekehrten Weg, sein Chor singt eine Renaissance-Motette zur Eröffnung, gefolgt dann von der "Messe G-Dur" von Francis Poulenc, ein Komponist der Moderne.

Hier werden zwischen "Gloria" und "Sanctus", zwischen "Benedictus" und "Agnus Dei" nun Motetten aus der Alten Musik gesungen - was genauso gut funktioniert, wie im ersten Teil, aber erneut das einzige Problem dieses durchdachten Abends auftreten lässt: wo und wann soll und darf bei dieser Abfolge eigentlich applaudiert werden? Üblicherweise würde man die fünf Teile einer Messe nicht durch Applaus unterbrechen, was an diesem Abend an manchen Stellen zu einer allerdings erträglichen Verwirrung führt.

In größter Höhe

In jedem Fall an der richtigen Stelle und höchst verdient bekommt die Sopranistin Viktoria Wilson nach dem abschließenden "Agnus Dei" aus Poulencs G-Dur-Messe enthusiastischen Beifall - nachdem sie die ersten Takte des Satzes ganz allein und in schwindelerregender Höhe mit größter stimmlicher Souveränität gemeistert hatte.

Am Ende wird dann auch noch eine zweite Frau mit stehenden Ovationen gefeiert: die Altistin Waltraud Heinrich, die nach 35 Jahren beim RIAS Kammerchor in den Ruhestand geht.

Kein Zufall, dass die Frauenstimmen diesen Marien-Abend insgesamt ein wenig dominieren - angesichts der dritten starken Frau, um die es hier vor allem geht: Maria, die man religiös als hellen Meeresstern ("Stella Maris"), strahlende Himmelskönigin ("Regina caeli") und allerheiligste Jungfrau ("Virgo sanctissima") verehren kann - aber auch ganz weltlich als liebende Mutter und fürsorgliche Wohltäterin.

Zum Auftakt seiner 75. Jubiläumssaison singt der RIAS Kammerchor am 20. Oktober wieder im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. "Klangwelten der Moderne" ist dieser Abend dann überschrieben, auf dem Programm dieses exzellenten Rundfunkchores dann unter anderem Musik von Hans-Werner Henze.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2023, 8.00 Uhr

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