Konzertkritik | Simply Red in Berlin - Hymnen für alle von 25 bis 75
Simply Red gehören zu den wenigen Bands, die sowohl in den 80ern, 90ern und auch in den Nullerjahren überaus erfolgreich waren. Beim Citadel Music Festival zeigten sie, warum sie mehrere Generationen glücklich machen können. Von Lennart Garbes
Es ist voll im Inneren der Zitadelle Spandau. Schon gleich nach dem Reinkommen durch das alte Torhaus steht man in der Menge, wobei sich Teile davon als ewig lange Barschlangen herausstellen. Die Stimmung ist trotzdem sommerlich entspannt vor diesem Simply Red Konzert, wie auf einem völlig überdimensionierten Grill-Abend. Überall sieht man kurze Hosen, Leinenstoff und Blumenmuster. Bier und Bratwurst gibt es auch und es wird getratscht und gelacht.
Allzu viel aufgeregte Spannung kommt deswegen erstmal nicht auf, auch nicht, als zunächst die sechs aktuellen Bandmitglieder und kurz danach auch Simply-Red-Sänger Mick Hucknall mit seinen unverwechselbaren roten Locken, Jeans-Schlaghose und verspiegelter Sonnenbrille die Bühne betreten.
Der erste Song an der Schnulz-Grenze, aber dann...
Der erste Song "Better With You", eine an der Schnulz-Grenze wandelnde Liebeserklärung an Hucknalls Frau Gabriella vom aktuellen Album "Time", wird dementsprechend noch etwas verhalten vom Publikum beklatscht, das keineswegs nur aus Menschen besteht, die auch schon in den 80ern auf Konzerte gehen durften.
Man muss es wohl als Beleg für Simply Reds zeitlos ansprechenden Soul-Pop verbuchen, dass hier Ü-50-Freundesgruppen neben ergrauten Ehepaaren, Mittzwanziger-Pärchen und ganzen Familien stehen, bei denen die inzwischen erwachsen gewordenen Kinder wahrscheinlich auch schon vor 20 Jahren zusammen mit ihren Eltern im Auto Simply Red gehört haben. So richtig laut wird es aber trotzdem erst, als Sänger Hucknall ankündigt, dass es jetzt zurück zu den Anfängen der Band geht.
Hüftschwung trotz oder wegen der Smartphone-Attacken des Publikums
Bei "Holding Back The Years" filmen gefühlte 95 Prozent des Publikums mit dem Smartphone. Vielleicht trägt auch das dazu bei, dass der Funke in der ersten Hälfte des Konzerts nicht so richtig überspringen will. Auch wenn die sechs technisch perfekten Musiker wie eine gut geölte Maschine jeden Song durchspielen und Mick Hucknalls sanfte, kristallklare Stimme einen nur so umschmeichelt, wirkt das alles ein bisschen wie hochwertige Hintergrundmusik. Bis auf einmal der Wind in Spandau auffrischt.
Während die deutlich angegrauten, roten Locken des Simply-Red-Sängers im Wind wehen, wird es sowohl auf der Bühne als auch im Publikum stürmischer. Die Hits reihen sich dichter aneinander und es fühlt sich fast so an, also ob das Publikum in der ersten Hälfte des Konzerts bewusst eingelullt werden sollte, damit Songs wie "Something Got Me Started" oder "Fairground", bei dem sich Hucknall sogar zum lasziven Hüftschwung hinreißen lässt, jetzt noch mehr Wirkung entfalten können.
Mick Hucknall mit Handy-Antwort
Ob mit Vorsatz oder nicht - am Ende sind eigentlich alle Tophits aus 38 Jahren Simply Red abgehakt. Während der Zugabe kommt noch eine Hommage an die vor kurzem verstorbene Tina Turner dazu. Danach holt auch Mick Hucknall sein Handy heraus für eine Panorama-Aufnahme des glücklichen Publikums in der Zitadelle. Bevor sich dann alle, egal ob alt oder jung, Liebespaar oder beste Freunde, noch einmal in den Armen liegen und gemeinsam mitsingen und schunkeln für "If You Don’t Know Me By Now", den letzten Song dieses am Ende doch noch richtig guten Konzertabends.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.7.2023, 8:00 Uhr