Absturz der Interflug vor 50 Jahren - "Mayday! Kurs 90 Grad, unmöglich Höhe zu halten."

Sa 13.08.22 | 11:59 Uhr | Von Benjamin Denes und Andreas Spaeth
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Eine Gruppe von Stewardessen und Piloten nimmt am 21. August auf dem Waldfriedhof Wildau-Hoherlehme vor den Särgen der Opfer Abschied.(dpa/C.Hoffmann)
Audio: Antenne Brandenburg | 13.08.2022 | Jürgen Hänig | Bild: dpa/C.Hoffmann

Der Absturz einer Interflug-Maschine bei Königs Wusterhausen am 14. August 1972 ist bis heute das schwerste Flugzeugunglück auf deutschem Boden. 156 Menschen starben. Grund war ein Konstruktionsfehler, doch die DDR-Führung schwieg. Von Benjamin Denes und Andreas Spaeth

Wenn Wolfgang Krüger heute am Rande von Königs Wusterhausen von der Kirchsteig-Siedlung in den Fasanenweg abbiegt, muss er heftig schlucken, derart drastische Erinnerungen werden sofort bei ihm wach. Der heute 83-Jährige, war vor 50 Jahren Tischler und im Nachbarort Senzig bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv.

Am späten Nachmittag des 14. August 1972 wurde er mit seinen Kameraden zu einem Großeinsatz gerufen. Ein Flugzeug des Typs Iljuschin Il-62 der Interflug war vor einer geplanten Notlandung in Schönefeld abgestürzt. Die Flugzeugnase bohrte sich in eine Wiese zwischen Nottekanal und dem Wasserwerk, der Rumpf lag in einem nahen Waldstück.

Den ersten eintreffenden Helfern bot sich ein entsetzliches Bild: In den Baumkronen hingen Leichen, einige waren verkohlt. "Da drüben lag die Spitze der Maschine mit Cockpit und Bordküche", erzählt Krüger, seine Stimme bebt. "Die Küche sollten wir ausräumen. Darin waren noch alle Stewardessen, die sich hier wohl zum Schluss versammelt hatten. Ihre Körper waren intakt."

Wolfgang Krüger, Zeitzeuge des Absturzes der Interflug 1972, am Unglücksort. (Quelle: B.Denes)
Wolfgang Krüger heute an der Unglücksstelle: 1972 war er als Feuerwehrmann vor Ort | Bild: B. Denes

"Das tut mir heute noch weh"

Dann berichtet Wolfgang Krüger, wie sie damals nach dem Einsatz geweint haben. Noch heute kommen ihm die Tränen, wenn er davon erzählt. Die alten Traumata sind unbewältigt, psychologische Hilfe wurde damals nicht angeboten.

Von Beginn an versuchte die DDR-Führung das Thema klein zu halten. Mehrfach gab es lediglich kurze faktische Beschreibungen der Abläufe und des Brandvorgangs in den Staatsmedien. Auf dem Wildauer Friedhof fand eine Gedenkfeier statt. DDR-Ministerpräsident Willi Stoph, heute selbst in der Nähe des erst später errichteten Gedenksteins begraben, hielt eine bewegende Rede, berichteten Zeitzeugen. Viele davon gab es nicht. Denn selbst die Angehörigen der Opfer waren weitgehend ausgeschlossen von der Zeremonie. "Zum Trauerakt waren nur fünf Personen zugelassen, wir durften einen einzigen Kranz nehmen", klagt Christa Mertin, die ihre Eltern auf Flug IF450 verloren hatte. "Das tut mir heute noch weh."

Das Wrack der Interflug-Maschine einen Tag nach dem Absturz am 14.8.72 (Quelle:dpa/adn)
Das Wrack der Interflug-Maschine am 14.08.1972, dem Absturztag | Bild: dpa/adn

Im Heck nahm ein Inferno seinen Lauf

Am 14. August 1972 wollten 148 Urlauber von Schönefeld nach Burgas an die bulgarische Schwarzmeerküste fliegen. Die vierstrahlige Il-62 war mit 168 Sitzen nicht nur das größte Flugzeug der ostdeutschen Flotte. Es konnte auch viel weitere Strecken fliegen als die bisher vorhandenen Maschinen.

Um 16:29 Uhr erteilte der Tower dem erfahrenen Flugkapitän Heinz Pfaff und seiner Besatzung die Startfreigabe. Flug IF450 hob ab. Als man um 16:43 Uhr in 8.900 Metern Höhe an Cottbus vorbeikam, traten erste Probleme mit der Trimmung des Höhenleitwerks auf. Das Flugzeug flog 10 Grad neben dem eigentlich vorgesehenen Kurs. Um 16:44 Uhr wurde daher in Absprache mit der Flugsicherung die Rückkehr nach Berlin-Schönefeld eingeleitet.

Was die Besatzung nicht wissen konnte: Zu dieser Zeit war bereits im Frachtraum im Heck der Maschine ein Feuer ausgebrochen. Dort nahm ein Inferno seinen Lauf, das direkt mit dem Design der Il-62 zusammenhing.

Bergungstrupps an der Absturzstelle der Interflug 1971 (Quelle: dpa/adn)
Bergungstrupps an der Absturzstelle | Bild: dpa/adn

Heiße Luft blies auf einen Kabelbaum, bis er verkohlte

Bei diesem Flugzeugtyp waren alle vier Triebwerke in zwei Paaren nebeneinander hinten am Leitwerk montiert. Um die Kabine zu heizen, wird bei Strahltriebwerken stets Druckluft aus dem Verdichter der Turbinen gezapft. In diesem Fall führte daher die unter Druck stehende Heizluftleitung aus dem Heck in den Passagierbereich.

"Es gab hier Probleme mit den Dichtungen der Leitung, die undicht waren", erklärt Wolfgang Katzer, ein ehemaliger Flugingenieur der Interflug. Daher konnte über längere Zeit wie aus einem Fön extrem heiße Luft ausströmen. 300 Grad heiße Luft blies so lange auf einen benachbart liegenden Kabelbaum, bis dessen nicht brennbare Isolation verkohlte und abplatzte. Dies führte zu Geräteausfällen und Kurzschlüssen schon kurz nach dem Start.

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Die Crew wuchs in aussichtsloser Lage über sich hinaus

Um 16:51 Uhr begann die Besatzung damit, fünf Tonnen Treibstoff abzulassen. Das Flugzeug musste leichter werden für die geplante Notlandung in Schönefeld. Über Zossen wurde die Lage dann schnell aussichtslos: Ein Kurzschluss verursachte einen elektrischen Lichtbogen im Heck. Dieser löste eine Kettenreaktion aus, und die Magnesiumlegierungen der Flugzeugstruktur entzündeten sich bei Temperaturen von bis zu 2000 Grad.

Um 16:59 Uhr meldete das Cockpit verzweifelt: "Mayday! Kurs 90 Grad, unmöglich Höhe zu halten." Wenige Sekunden später, um 17 Uhr, funkte der Kapitän ein letztes Mal. "Wir haben Schwierigkeiten mit der Höhensteuerung, steigen leicht und hatten Brand", waren seine letzten Worte.

Inzwischen war die Struktur entscheidend geschwächt. Sekunden nach dem letzten Funkspruch riss das mächtige Leitwerk über Königs Wusterhausen unweit des Flughafens Schönefeld ab. Selbst in dieser aussichtslosen Lage wuchs die Crew noch über sich hinaus. "Die Piloten im Cockpit waren die Helden, weil sie den drohenden Absturz direkt auf den Bahnhof verhinderten", sagt Heinz-Dieter Kallbach, ein ehemaliger Il-62-Kapitän der Interflug.

Die Trümmerteile schlugen um 17:01 Uhr 400 bis 600 Meter östlich des Stadtrands auf. Alle 156 Insassen waren sofort tot. Bis heute ist der Absturz der Interflug. das schlimmste Flugzeugunglück auf deutschem Boden.

Der Gedenkstein für die Opfer des Flugzeugabsturzes von 1972 auf dem Waldfriedhof.(Quelle:dpa/S.Stache)Gedenkstein für die Opfer des Flugzeugabsturzes auf dem Waldfriedhof Wildau-Hoherlehme

Schweigen über die Konstruktionsfehler der Sowjets

Die akribischen Ermittlungen ergaben, dass Konstruktions- und Wartungsfehler vorlagen – beides ging auf das Konto sowjetischer Ingenieure. Intern benannte die DDR-Führung die Vorgänge und Verantwortlichen überraschend klar. Auf öffentliche Schuldzuweisungen wurde hingegen verzichtet, um das Verhältnis zum großen Bruder Sowjetunion nicht zu belasten. Iljuschin setzte bald konstruktive Veränderungen im Heckbereich der Il-62 bei den Nachfolgemodellen zügig um. Das Politbüro wollte die Sache daher auf sich beruhen lassen.

Das offizielle Schweigen segnete der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker im Dezember 1973 mit der handschriftlichen Bemerkung "einverstanden" persönlich ab.

Für noch lebende Anwohner, Augenzeugen und Angehörige ist die Katastrophe von 1972 dagegen auch nach einem halben Jahrhundert noch sehr präsent.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 14.08.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Benjamin Denes und Andreas Spaeth

12 Kommentare

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  1. 12.

    Wir waren in dieser Zeit in Rumänien in Urlaub und bekamen davon nur sehr wenig mit... Als wir wieder in Schönefeld gelandet waren, war das Vorkommniss noch in den Gesichtern aller dort Beschaeftigen abzulesen..... Zollkontrolle etc Fehlmeldung. Wir wurden einfach durchgewinkt......

  2. 10.

    Die Trauerrede von DDR-Ministerpräsident Willi Stoph auf der zentralen Trauerfeier war vermutlich die einzige Rede in seiner politischen Laufbahn, wo im die Leute wirklich zugehört haben.

  3. 9.

    Neben dem Gerücht, die Maschine sei in ihre eigene Treibstoff-Wolke geflogen und explodiert wurde in der DDR auch erzählt, die Maschine habe auf dem Flugplatz der Sowjetarmee in Sperenberg notlanden wollen, was ihr aber verweigert wurde.

  4. 8.

    Ich muss mal nachfragen, ob Sie gelesen haben, dass eine Betroffene, die ihre Eltern bei dem Unglück verloren hat, sie nicht würdig verabschieden durfte. Und welche Arroganz lässt Sie den Absturz der Germanwings mit dem der IF vergleichen, die nicht nur zeitlich, sondern auch politisch völlig zusammenhanglos sind? Haben Sie überhaupt das Alter, den Absturz der IL62 medial bereits verfolgt zu haben?

  5. 7.

    Da liest man, wer keine Ahnung hat. Schweigen wäre besser für Sie, ob Ihres Unwissens.

  6. 6.

    Die offizielle Leseart in der DDR, die auch noch im 1994 erschienenen Buch "Luftfahrt-Katastrophen" von David Gero zu lesen ist, war Folgende:
    Während des Fluges war im Flugzeug unbemerkt ein Brand ausgebrochen, der zum Absturz geführt hat. Nähere Umstände zum Brand und namentlich die Brandursache seien aber aufgrund der extremen Zerstörung der Maschine nicht ermittelbar gewesen.
    Die Wahrheit über den Absturz kam dann erst 1998 durch eine MDR-Dokumentation an Licht der Öffentlichkeit.

  7. 5.

    Wenn große Industrien betroffen sind, gibt es wenig Unterschiede zwischen Ost und West, gestern und heute. Bei Boeing brauchte es nicht einen, sondern zwei Abstürze, 2018 und 2019, bis die Behörden sich zum Handeln entschließen konnten.

  8. 4.

    Hallo „toberg“,
    vielen Dank für den rechtzeitigen Hinweis. Habe es mir heruntergeladen damit ich mir die Doku heute Abend anschauen kann.
    Ein schönes Wochenende noch
    Mit freundl. Grüßen

  9. 3.

    Ich kann mich noch gut an die TV-Übertragungen erinnern, als ich mit meinen Eltern zu dieser Zeit im Ostseeurlaub war. Ich empfand es schrecklich, das soviele Menschen auf einem Urlaubsflug ihren Tod fanden. Leider hielt sich das Gerücht über die Treibstoffwolke und vermeintliche Landeverbote auf dem Militärflugplatz Cottbus bis zur Wende. Erst in einer Doku konnte der bekannte IF-Pilot Kallbach (DDR-SEG in Stölln gelandet) die Gerüchte auflösen und alles technisch korrekt einordnen. Noch soviele Jahre nach diesem Unglück schaudert es einem. Ich selber konnte erst viel viel später mit einer
    IL 18 in Richtung Burgas aufbrechen. Über 3h knatterte die Turboprop-Maschine ins Land ans Schwarze Meer mit Melone, Pfirsich, Pizza und Schwepps aber auch Kadarka. Lang ist es her, doch unvergessen.

  10. 2.

    Vielleicht hätte man mal korrekt berichten können, das von jeder betroffenen Familie 5 Personen an der Trauerfeier teilnehmen konnten. Bei Staatsbegräbnissen Istrien Richtung immer vorgegeben, da hat man keinen Einfluss auf die Gestaltung. War beim Germanwings Absturz im übrigen auch so.

  11. 1.

    Die Redaktion hätte auch auf diese Doku zu diesem Ereignis in der eigenen Mediathek hinweisen können
    https://www.ardmediathek.de/video/dokumentation-und-reportage/der-todesflug-der-il-62/rbb-fernsehen/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvZG9rdS8yMDIyLTA4LTA5VDIxOjAwOjAwXzUxZTRiOGRlLWRkMGItNGRhZC1iZjVjLWFjODUwNmQyZDkyYi9kZXItdG9kZXNmbHVnLWRlci1pbC02Mg

    Noch 3 Tage in der Mediathek

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