Datenrecherche | Arztpraxen in Berlin - Kassenpatienten warten bis zu drei Mal so lang auf Termine wie Privatpatienten

Mi 12.10.22 | 17:08 Uhr | Von Haluka Maier-Borst
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Symbolbild: Viele Patienten sitzen in einem Wartezimmer einer Arztpraxis in Briesen (Brandenburg), aufgenommen am 05.05.2010. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Video: rbb24 Abendschau | 12.10.2022 | Studiogespräch T. Moormann (Verbraucherzentrale) | Bild: dpa/Patrick Pleul

Privatpatienten auf der Überholspur: Eine rbb|24-Datenrecherche zeigt, dass gesetzlich Versicherte in Berlin oftmals länger auf Arzttermine warten müssen als privat Versicherte. Und zwar deutlich länger. Von Haluka Maier-Borst

Eigentlich sollte es den Unterschied, um den es hier geht, gar nicht mehr geben. Schon 2019 legte das Terminservice- und Versorgungsgesetz fest: Gesetzlich Versicherte "sollen genau so schnell einen Arzttermin bekommen wie Privatversicherte" [bmg.de]. Doch die Realität ist nach wie vor eine andere.

Bis zu drei Mal länger müssen Kassenpatienten in Berlin warten im Vergleich zu Privatpatienten. Das ist das Ergebnis einer Stichproben-Recherche des rbb|24-Datenteam basierend auf Terminangeboten der Plattform "Doctolib".

Für die Recherche hat rbb|24 sich vier Fachbereiche angeschaut, wann die frühstmöglichen Termine jeweils für privat Versicherte und für gesetzlich Versicherte online zur Verfügung standen. Konkret ging es dabei um Dermatologie, Gynäkologie, Orthopädie und Neurologie.

Besonders groß waren die Unterschiede dabei für die Dermatologie, also bei Hautärztinnen und -ärzten. Mussten Privatversicherte 22 Tage im Mittel warten, so waren es 76 Tage bei Versichten von gesetzlichen Krankenkassen.

Dabei ist zu beachten: Diese Zahlen beziehen sich auf den Median und nicht auf den Durchschnitt. Sprich: Die Hälfte aller Terminangebote für Privatversicherte waren früher als die 22 Tage und die andere Hälfte später. Gleiches, nur eben mit 76 Tagen, gilt für die gesetzlich Versicherten. Mit dieser Einteilung wird ausgeschlossen, dass Ausreißer bei der Wartezeit (besonders lang oder besonders kurz) die Werte "ausbrechen" lassen.

Nicht in Ordnung – aber auch nicht verwunderlich

Dass es eine derartige Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Versorgung gibt, wird vielfach moniert. Ein Kritiker ist Thomas Moormann, Leiter des Bereichs "Gesundheit und Pflege" im Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). "Es ist überhaupt nicht in Ordnung - aber es ist auch nicht verwunderlich", sagt er.

Einer der Hauptgründe für die großen Differenzen bei den Wartezeiten ist laut Moormann, dass für dieselbe Leistung bei Privatpatienten deutlich mehr abgerechnet werden könne als bei Kassenpatienten. Entsprechend sei es "lukrativ" für Praxen, möglichst viele privat Versicherte zu haben.

Doch nicht nur die Kassenpatientinnen und -patienten leiden unter diesem deutlichen Preisgefälle - sondern wohl auch die Privatpatient:innen. Denn so zeigte bereits eine 2017 von der Bertelsmannstiftung [bertelsmann-stiftung.de] durchgeführte Analyse, dass Privatversicherte zwar häufig objektiv und subjektiv gesünder waren, zugleich aber länger und teurer behandelt wurden. Für Experten wie Moorman legt das nahe, dass teils vorschnell unnötige Behandlungen bei Privatpatienten durchgeführt werden - einfach weil sie sich leicht abrechnen lassen.

Damit deuten die Zahlen zu den Wartenzeiten nicht nur darauf hin, dass sich gesetzlich Versicherte deutlich länger gedulden müssen, sondern auch, dass sowohl gesetzlich wie privat Versicherte nicht rein nach Krankheitsbild behandelt werden: sondern auch nach dem, was das Portmonee oder die jeweilige Versicherung hergibt.

Die Methodik hinter der Recherche

  • Welche Daten wurden genommen?

  • Wieso heißt es Stichproben-Recherche?

  • Welche anderen Einschränkungen gibt es?

Mit diesem Thema hat sich auch das Team des rbb24-Youtube-Kanals "Jetzt mal konkret" ausführlich beschäftigt. Das Video kann hier angeschaut werden:

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.10.2022, 19:30 Uhr

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Beitrag von Haluka Maier-Borst

97 Kommentare

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  1. 97.

    Ich habe auch ne Praxis. Kein Kassenarzt ist verpflichtet einen Schmerz- oder Akutpatienten zu behandeln. Solche Regelung gibt's im Medizinrecht nicht

    Auch bei mir muss ein Schmerz-oder Akutpatienten einen Termin vereinbaren. Ist er schon Patient bei mir, bekommt er oft in der gleichen Woche noch einen. Neue Patienten nehme ich seit 3 Jahren nicht mehr auf.

  2. 96.

    In Deutschland legt jeder Arzt einen hippokratischen Eid ab.

    Auch wenn es vielen Kassenpatienten nicht passt: eine Pflicht zur Behandlung eines Patienten gibt's nur bei nachgewiesener lebensbedrohlichen Erkrankung.

    Eine Behandlung ist ein zivilrechtlicher Vertrag, der durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommt.

    Wir Kassenärzte sind keine Angestellten der Patienten

  3. 95.

    Falsch. Es gibt keine Pflicht zur Behandlung von Schmerz- oder Akutpatienten. Nur bei lebensbedrohenlichen Erkrankungen muss behandelt werden.

    Auch Schmerz- oder Akutpatienten müssen sich einen Termin holen.

  4. 94.

    " weil man in Deutschland keinen Eid ablegen muss "

    den legen aber unsere Politiker ab und handeln oft dem Eid entgegen , also so ein Eid scheint schon lange nur noch Folklore zu sein .
    Der Eid des Hippokrates wurde durch das Genfer Ärztegelöbnis abgelöst und wird in seiner klassischen Form heute nicht mehr von Ärzten geleistet und hat somit keine Rechtswirkung.

  5. 93.
    Antwort auf [SL] vom 12.10.2022 um 18:23

    Das sieht kein GKV Patient. Es wird gefordert ohne Ende.

    Letztlich bekommt jeder nur die ärztliche Versorgung, die er zu zahlen bereit ist.

  6. 92.

    An den Wochenenden gibt's den Hausbesuchsdienst der KV und auch die Notfallpraxen der KV - also muss auch am Wochenende niemand wegen nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen die Notaufnahme missbrauchen

  7. 91.
    Antwort auf [Marion] vom 12.10.2022 um 17:09

    Falsch. Dann müssen Sie entweder auch privat zahlen oder sie werden vor die Tür gesetzt

  8. 90.
    Antwort auf [SL] vom 12.10.2022 um 18:23

    Ich kann ihre Einstellung verstehen, auch wenn diese nicht in Ordnung ist. In Deutschland haben die Ärzte aber nur Glück, weil man in Deutschland keinen Eid ablegen muss. Ansonsten würden viele (auch sie) anders denken, und nicht mehr so leichtfertig handeln und arbeiten. Weil man dann schneller mit Folgen rechnen müsste.

    Ich weiß auch das man sich nicht zerreißen kann, aber ...

  9. 89.
    Antwort auf [SL] vom 12.10.2022 um 18:23

    Es scheint mit Ihrer Zeit nicht so knapp zu sein, wenn Sie hier noch kommentieren können.
    Meines Wissens sind die meistens Kommentatoren hier Rentner oder Arbeitslose und tun nur sehr schlau!

  10. 88.

    Mein Hausarzt ist auch Mensch. Er nimmt sich oftmals viel zu viel Zeit für seine Patienten, die er garnicht bezahlt bekommt, deshalb gibt es oft lange Wartezeiten und er praktiziert länger als die Sprechstunde eigentlich ist. Die Schwestern gehen sehr diskret vor bei Privatpatienten, manchmal merkt man es als Kassenpatient garnicht, dass da einer dazwischen geschoben wurde.
    Und, lieber Bernd, es gibt eine Pflicht zur Behandlung von Akut- bzw. Schmerzpatienten.

  11. 86.

    " Apparatemedizin überdurchschnittlich honoriert."

    die Geräte sind aber sehr teuer, Röntgen, MRT , CT, Laser etc. Wer will darauf verzichten ?

  12. 85.

    Zahnarzt, als Neukunde und trotz Termin und Beschwerden nicht behandelt worden, obwohl man schon auf den stuhl gessesn hat, weil man sich keine Prophylaxe aufquatschen lassen wollte.

    Chirurgie, trotz sichtbaren angeknacksten Zeh (steht nach oben), nichts gemacht, aber Einlegesohlen verschrieben bekommen. Haben wohl einen vetrag mit denen.

    Und das waren jetzt nur zwei harmlose Beispiele. Habe auch schon mal blutender Wunde in einer Praxis gestanden und wurde nicht rangenommenn, da Neukunde.

    Und dann kommen noch die Sachen, wo die Ärzte einen mehr zum “Krüppel“ machen, und man damit auch noch leben muss.

  13. 84.

    Natürlich Sie haben vollkommen Recht....habe ich etwas weiter unten in Kommentaren auch schon geschrieben.:-)
    Aber am Wochenende wird es schwierig. Und manchmal hilft nur die Notaufnahme.

  14. 83.
    Antwort auf [Marion] vom 12.10.2022 um 17:09

    Das wird so garantiert nicht funktionieren, da sie einen Privattermin gebucht haben. Und somit zahlen sie dann auch als Privatpatient für diesen Termin. Woher sie dann die Erstattung bekommen, ist dem Arzt relativ egal. Wer privat bestellt muss auch privat bezahlen. Oder glauben Sie wirklich, dass diese Idee nicht schon tausende Andere vor Ihnen hatten.
    Clever zu sein ist etwas anderes, als Bauernschläue.... ;-)

  15. 82.
    Antwort auf [Marion] vom 12.10.2022 um 17:09

    Na dann viel Spaß bei der persönlichen Anmeldung in der Arztpraxis. Die resolute Sprechstundenhilfe wird demjenigen schon zurechtweisen. Wenn ich so an die vier Engel in der Praxis von meinem Hausarzt denke.

  16. 81.

    Die unrühmliche Rolle der KV ist in der Tat deshalb ein Problem, weil die kein Wettbewerb kennt, aber hier eine neue „Baustelle“. Vermutlich sind die Beitragsgelder nicht nur (!) ein Verteilungsproblem, aber durchaus kritisch zu betrachten. Da ist so mancher richtig satt...

  17. 80.

    Für alle Neider auf die PKV-Versicherten:
    "Guten Tag sagen": 10,72€, ein Rezept ausstellen: 3,15€, ein kurzes Gespräch: 20,11€, Die Ausstellung einer AU-Bescheinigung ist nicht erstattungsfähig, wird aber in Rechnung gestellt (3,50€), eine verstopfte Nase mit Befund beim HNO: 75,-€ (einmalige Behandlung) oder eine Ultraschalluntersuchung jenseits von 150,-€! von MRT und CT schreibe ich erst garnicht. Mit solchen Zahlen / Rechnungen muss sich der geneigte Kassenpatient nicht beschäftigen, der läßt die Chipkarte durchziehen und fertig. Oft genug suchen die PKV nach Schlupflöchern oder erfinden windige Gründe um sich von der Erstattung zu drücken. Fazit: so toll isses nu nicht wirklich, privat versichert zu sein und stets in Vorkasse zu gehen.

  18. 79.

    Ich war 30 Jahre selbstständig in eigener Praxis als praktischer Arzt. Dem Geschriebenen von Ihnen kann ich mich nur anschließen. 2x Kontakt bekommt man bezahlt bei chronisch Kranken pro Quartal. Wie oft kamen Patienten wg. Nichtigkeiten 10-12x/Quartal.Manche dachten, ich bekomme Geld für Ausstellung des Krankenscheins. Kollegen, erinnert ihr euch an die 10 Euro Praxisgebühr? Und bei einem Hausbesuch extra nochmal 10 Euro. Die Anzahl der zu fahrenden Hausbesuche hatte damals deutlich abgenommen

  19. 78.

    Heike, wer so es sonst entscheiden?

    Solche Entscheidungen kann nur der Arzt treffen.

    Mit etwas Flexibilität findet man auch zeitnah einen Facharzt. Zur Not in einem anderen Bezirk oder zu einer anderen Tageszeit.

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