Interview | Juristischer Umgang mit Klimaprotesten - "Das ist keine Sternstunde des Rechtsstaats"

So 25.06.23 | 11:48 Uhr
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Unterstützer der Klimaaktivisten von Letzte Generation demonstrieren in Berlin gegen die Einstufung als kriminelle Vereinigung durch die Behörden. (Quelle: dpa/TNN/Sven Käuler)
Bild: dpa/TNN/Sven Käuler

Beschleunigte Verfahren und verlängerter Unterbindungsgewahrsam: Die Frage, wie mit den Aktivisten der "Letzten Generation" umgegangen werden soll, beschäftigt die deutsche Justiz. Ein Berliner Strafverteidiger sieht die Entwicklung äußerst kritisch.

107 Urteile wurden im Amtsgericht Berlin-Tiergarten inzwischen gegen Klima-Aktivisten gesprochen. Die Urteile erfolgten überwiegend wegen Nötigung von Autofahrern und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, deren Arbeit erschwert worden sein soll, weil sie die festgeklebten Aktivisten vom Straßenbelag lösen mussten.

In den meisten Fällen wurden Geldstrafen verhängt – im April wurde aber auch eine Gefängnisstrafe von vier Monaten ausgesprochen, weil sich eine Klima-Aktivistin in der Gemäldegalerie an den Rahmen eines Cranach-Gemäldes geklebt und in ihrem Prozess angekündigt hatte, weiter an Aktionen teilzunehmen. Eine andere Frau steht am Dienstag wegen der selben Protestaktion vor Gericht.

Bisher gibt es noch keine Entscheidung des übergeordneten Kammergerichts, wie mit den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" strafrechtlich verfahren werden muss.

Die Münchner Generalstaatsanwaltschaft fachte die Debatte um die Klimaproteste im Mai an, indem sie gegen die "Letzte Generation" wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermitteln ließ. Das hatte auch Durchsuchungen in Berlin und Brandenburg zur Folge.

Die Berliner Staatsanwaltschaft als staatliche Anklagebehörde beantragte inzwischen 16 Mal die Durchführung eines "beschleunigten Verfahrens" gegen Mitglieder der Klimaschutzbewegung, 14 davon bezogen sich auf die "Letzte Generation", zwei weitere auf Mitglieder von "Extinction Rebellion". Die Landesregierung unterstützt diesen Kurs.

Stefan Conen, bis 2022 Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V., sieht die Entwicklung kitisch. Ein Interview über den schwierigen Umgang mit den Klimaprotesten.

rbb: Herr Conen, die Berliner Staatsanwaltschaft will bei Klimaaktivisten vermehrt das sogenannte beschleunigte Verfahren anwenden – 16 Anträge wurden bisher gestellt. Auch die Berliner Landesregierung drängt darauf, Verfahren gegen Klimademonstranten zu beschleunigen. Wie beurteilen Sie das?

Stefan Conen: Bei solchen Prozessen müssen zig Begleitumstände geklärt werden. Dafür ist das beschleunigte Strafverfahren eindeutig nicht gemacht. Das Berliner Kammergericht hat am 5. Mai eine Verurteilung aufgehoben, die allein auf dem Geständnis eines Angeklagten beruhte.

Zur Person

Strafverteidiger Stefan Conen (Bild: rbb/Ulf Morling)
rbb/Ulf Morling

Stefan Conen studierte an der FU Berlin und ist seit dem Jahr 2000 als Strafverteidiger tätig.

Der 55-Jährige ist Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins und wird regelmäßig als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages geladen.

Conen ist Lehrbeauftragter der Freien Universität Berlin für Strafprozessrecht. Bis 2022 war er Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V.

Bundeskanzler Scholz (SPD) sagte, die Aktionen der "Letzten Generation" seien "völlig bekloppt". Der CSU- Politiker Dobrindt spricht von einer "Klima-RAF", die verhindert werden müsse. Gibt es aus ihrer Sicht die Tendenz der Politik, im Zusammenhang mit der "Letzten Generation" mit solchen Äußerungen auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen?

Wenn Politiker eine "Klima-RAF" herbeireden, bevor Urteile gesprochen werden und eine höchstrichterliche Klärung da ist, wirkt das wie eine Erwartungshaltung an die Justiz, die natürlich auch Druck ausübt. Aber die Unabhängigkeit der Justiz ist ein Verfassungsgut, und die strafrechtliche Wertung muss deshalb der Justiz überlassen werden.

Wenn ich höre, dass bei der Justizsenatorin noch einmal eigenständig nachgeprüft werden soll, ob die Wertung der Staatsanwaltschaft, dass die "Letzte Generation" wohl nach einem Zwischenstand nicht als kriminelle Vereinigung zu verfolgen sei, Bestand haben kann, ist dies mit Sicherheit keine Sternstunde des Rechtsstaats.

Wie wirken sich aus Sicht eines Strafverteidigers die Meinungsäußerungen von Politiker:innen auf die Justiz aus?

Ich weiß nicht, ob Politiker beabsichtigen, unmittelbar auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen. Was ich aber glaube ist, dass die Politik zunehmend von der Justiz Antworten auf ihre politischen Werturteile erwartet, die diesen entsprechen. Aber es ist nicht die Aufgabe von Strafjustiz, politisch erwartete Antworten auf gesellschaftliche Phänomene zu liefern. Die Aufgabe von Strafjustiz ist es, streng an den Tatbeständen individuelle Schuld festzustellen - oder eben nicht.

Es ist nicht die Aufgabe von Strafjustiz, politisch erwartete Antworten auf gesellschaftliche Phänomene zu liefern.

Stefan Conen

Was bedeutet aus Sicht eines Strafverteidigers das Ermittlungsverfahren wegen einer "Kriminellen Vereinigung" gegen die "Letzte Generation"?

In der Politik wird gerade bei der "Letzten Generation" die "kriminelle Vereinigung" als politisches Werturteil sehr stark in den Raum gestellt und manche Staatsanwaltschaften übernehmen das. Es ist hochumstritten, ob das zutreffend ist oder nicht. Ich finde es besorgniserregend, dass man den Paragraph129 StGB jetzt herausholt, um die "Letzte Generation" fast exemplarisch zu labeln.

Man könnte sich umgekehrt ja auch fragen, warum zum Beispiel im sogenannten "Abgasskandal" meines Wissens nach niemand auf die Idee kam, Manager von Mercedes oder VW als kriminelle Vereinigung zu verdächtigen. Die Tatbestandsmerkmale würden genau auf die Voraussetzungen des Paragraph 129 passen: mehr als zwei Konzernmitarbeiter sollen damals dauerhaft den strafrechtlich relevanten Betrug von Kunden mit den Abschaltvorrichtungen geplant haben. Im Gegensatz zu den Klimaaktivisten aber könnten sie sich dabei noch nicht einmal auf ein verfassungskonformes Fernziel berufen, weil sie die Umwelt durch ihren mutmaßlichen Betrug ja nicht schützen wollten, sondern ihre weitere Schädigung in Kauf genommen hätten.

Darf man beispielsweise als Autofahrer:in nicht die Erwartung an die Strafjustiz haben, dass Klimaaktivist:innen verurteilt werden, wenn man vielleicht stundenlang im Stau stand?

Es liegt meines Erachtens gerade in der Verantwortung von Justizpolitikern, die Erwartung von der Justiz fernzuhalten, dass einzelne Angeklagte stellvertretend für die "Letzte Generation" vor Gericht stehen und dieses gesellschaftliche Phänomen gleich mit abzuurteilen ist.

Die Justiz hat unabhängig über individuelle Schuld im Gerichtsverfahren zu urteilen. Es ist die Aufgabe von Politikern, genau das als DNA unseres Rechtsstaats zu transportieren. Wenn sie aber der Versuchung erliegen und sagen, die Justiz solle sich nicht in den Details verlieren, sondern pauschale Antworten finden, dies sogar möglicherweise in "beschleunigten Verfahren", dann sind wir meines Erachtens auf einer rechtsstaatlich abschüssigen Bahn.

Hat das Ermittlungsverfahren beispielsweise der Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Vorwurfs der "Kriminellen Vereinigung" Ihrer Einschätzung nach auch Auswirkungen auf Unterstützer und Sympathisanten der "Letzten Generation"?

Ich weiß nicht, wie sehr sich diese Leute beeindrucken lassen. Aber in dem Moment, wo die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung verfolgt wird, würde der, der sie unterstützt, vermeintlich billigend in Kauf nehmen, dass er eine kriminelle Vereinigung unterstützt. In dem Moment geht man natürlich ein hohes persönliches Risiko ein. Das betrifft ja vor allem junge Menschen: Wenn ich mich zum Beispiel als Jurastudent, der vielleicht auch einmal in die Justiz will, da engagiere, kann ich mir das kaum noch leisten wegen des persönlichen Risikos.

Eine solche Kriminalisierung ist ein Instrument zur gesellschaftlichen Isolierung einer Gruppe. § 129, die "Bildung krimineller Vereinigung", ist natürlich nicht dafür gemacht, aber wenn es so angewandt wird, ist dies das Ergebnis.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte rbb-Gerichtsreporter Ulf Morling.

100 Kommentare

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  1. 100.

    Die von Ihnen aufgezeigten Unabhängigkeit der Judikative ist an dem Tag verloren gegangen, als damals, Tage vor einer maßgeblichen Entscheidung des BGH, Merkel mit den Obersten Richtern sich gemeinsam zum Essen trafen.

  2. 99.

    Also da muss jemand unbedingt ein Geschichtsseminar besuchen !
    RotGrün HATTE Atomaustieg beschlossen. MERKEL alles zurückgenommen - bis Fokuschima kam. Dann war plötzlich über Nacht alles abzuschalten. Wenn man keine Ahnung hat-einfach mal Klappe halten. Gern geschehen.

  3. 98.

    "Ihre Märchen sind immer so leicht widerlegbar! "

    Komisch und warum widerlegen sie dann nie? Sie gehen nach der immer gleichen Masche vor, zum einen beantworten sie nie meine Fragen oder wie jetzt gehen sie mit keinem Wort auf meinen Kommentar ein.

    Also. Atomkraft ist NICHT klimafreundlich. Widerlegen sie das!

    Wir müssen Kohle verfeuern weil

    1. Altmaier erfolgreich den Ausbau der EE verhindert hat

    2. uns die gleiche Bundesregierung auf Drängen der Industrie von Russland abhängig gemacht hat

    Auch das werden sie nicht wiederlgen können. Aber bitte, nur zu wenn sie sich weiter lächerlich machen wollen.

  4. 97.

    Ihre Märchen sind immer so leicht widerlegbar!
    Erneuerbare Stromgewinnung ist immer noch nicht grundlastfähig, genau deshalb braucht es Atom-, Kohle- und/oder Gasstrom. Der Ausbau der Gasverstromung erfolgte im Übrigen auf Drängen der Grünen, da diese meinten, dass damit weniger CO2 erzeugt wird, als bei Kohleverstromung. Das ist grundsätzlich richtig, hat aber zu weiteren Abhängigkeiten geführt. Der Ausbau der Gasverstromung war elementarer Baustein der Energiewende, die Merkel und die Grünen (seinerzeit noch Trittin unter Rot-Grün) eingeleitet haben. Nur Gas konnte die Grundlast sichern!

  5. 96.

    "Wer andere friedliebende, unschuldige Menschen seiner Freiheit und Mobilität behindert oder gar nötigt gehört, angeklagt, verurteilt und natürlich auch ABGEHÖRT!"

    Auweia! Sie überschätzen die Personalkapazitäten der Polizei. Alle Autofahrer abzuhören halte ich außerdem für übertrieben. ^^

  6. 95.

    wer gegen den Staat ist, ist doch automatisch ein Straftäter, oder?

  7. 94.

    Kramme666 Cottbus Sonntag, 25.06.2023 | 19:04 Uhr
    "Wer andere friedliebende, unschuldige Menschen seiner Freiheit und Mobilität behindert oder gar nötigt gehört, angeklagt, verurteilt und natürlich auch ABGEHÖRT!"

    Und da wollen Sie also nun alle anklagen verurteilen und abhören, die unschuldige Menschen auf der Flucht in ihrer Freiheit und Mobilität behindern?
    Oder schwadronieren Sie nur selektiv, wovon SIE sich behindert und genötigt fühlen?

  8. 93.

    Max - hören Sie endlich auf, alle anderen hier als Rechte zu bezeichnen !

  9. 92.

    Sie schreiben so einen Unsinn, unter der Rot Grünen Regierung Schröder lag der Anteil der EE bis zum Ende der Amtszeit bei ca 10 Prozent. Beim Ende der Merkel Regierung bei ca 42 Prozent. Also hören Sie auf zu behaupten die letzte Regierung hat nichts für den Ausbau der EE getan oder sie verhindert. Außerdem hat die Merkel Regierung den Atomausstieg beschlossen was Rot Grün nicht auf ihrer Agenda hatte . Die Merkel Regierung hat den Ausbau der EE stärker auf den Weg gebracht ,als die Regierung davor sich aber solange diese nicht zu 10Prozent unseren Energiebedarf decken kann weiterhin auf das altbewährte gesetzt.
    Das zerstören oder der Vandalismus gegenüber privaten oder gesellschaftlichen Eigentum ist durch nichts zu rechtfertigen, oder doch nur solange bis es nicht an das ihre geht?

  10. 91.

    Ist die AfD eine kriminelle Vereinigung? Da hab ich was verpasst. Und die sitzen trotzdem in Landtagen und im Bundestag. Ein Skandal! Bitte teilen Sie Ihr Wissen an die zuständigen Stellen weiter. Die haben das nämlich noch nicht bemerkt.

  11. 90.

    @Kramme666.
    Ich finde das Leute, die einen solchen Müll posten, ABGEHÖRT werden!

  12. 89.

    Achso, statt der vermeintlich nach einem politischen Einschlag stattfindenden Berichterstattung (sic!), lieber eine Justiz nach eigenen Vorstellungen? Ja, so ernst meinten Sie das Eine oder das Andere dann doch nicht. Peinlich unfreiwillig ironisch.

    Die fortlaufenden Kriminalisierungen, auch über unrechtsstaatliche Urteile, die entgegen der nötigen Tatbestandsmerkmale oder entlang der blanken Behauptungen von Polizist*innen, wie üblich bei Polizeiwillkür, Schuldsprüche konstruieren, unterstreichen den Abbau von Rechtsstaatlichkeit. Eine unabhängige Justiz zum Einen und darüber hinaus Gewaltenteilung zum Anderen sind Grundpfeiler von Demokratie. Das wird häufig außer Acht gelassen, vor allem, wenn sich Verfassugnsfeind*innen durch den Wahlvorgang legitimiert verstanden wissen wollen - ohen auch nur eine Sekunde demokratisch zu handeln.

  13. 88.

    Danke, dass Sie wieder bestätigt haben, dass Sie gerne mit zweierlei Maß messen. Sie schreiben seit Jahren schon unter wechselnden Namen immer wieder von Haß, wenn Ihren reale Fakten ausgehen.

  14. 87.

    Deshalb haben Ihm auch Menschen zugejubelt, die Westen mit "Hängt die Grünen" trugen und sogar Söder auspfuffen. Höcke und Co repräsentieren ebensowenig die Mitte der der Gesellschaft wie Corina-Schwurbler Aiwanger. Er spricht die gleiche Klientel weit recht der CSU an, deren heutiger Vorsitzender nach eigenen Aussage maßgeblich den Atimausstieg zu verantworten hat und sich dafür 2021 stolz selber auf beide Schultern geklopft hatte.

  15. 86.

    "Wer andere friedliebende, unschuldige Menschen seiner Freiheit und Mobilität behindert oder gar nötigt gehört, angeklagt, verurteilt und natürlich auch ABGEHÖRT!"

    Auweia! Sie überschätzen die Personalkapazitäten der Polizei. Alle Autofahrer abzuhören halte ich außerdem für übertrieben.

  16. 84.

    Ich hoffe, dass der links-servile Trend des RBB durch die neue Intendantin gestoppt wird und man wieder zu einer ausgewogenen Berichterstattung kommt, statt der Gruppierung "Letzten Generaion" die Opferrolle anzurichten.

  17. 83.

    Hat die Polizei eigentlich in den Staus ordentlich kontrolliert, ob bei allen zwangsläufig wartenden Pkw der Motor ordnungsgemäß abgestellt war?

  18. 82.

    Ich hoffe, dass der links-servile Trend des RBB durch die neue Intendantin gestoppt wird und man wieder zu einer ausgewogenen Berichterstattung kommt, statt der Gruppierung "Letzten Generaion" die Opferrolle anzurichten.

  19. 81.

    Ich hoffe, dass der links-servile Trend des RBB durch die neue Intendantin gestoppt wird und man wieder zu einer ausgewogenen Berichterstattung kommt, statt der Gruppierung "Letzten Generaion" die Opferrolle anzurichten.

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