Pflege und Betreuung im Kiez - Aus Gemeindeschwester wird Community Health Nurse

Do 28.09.23 | 06:49 Uhr | Von Sylvia Tiegs
  48
Maria Di Geraci-Dreier (r.), Fachkraft aus Rheinland-Pfalz im Modellprojekt Gemeindeschwester plus , betreut die 92-jaehrige Seniorin Ruthild M. (l.) in ihrer Wohnung in Woerrstadt (Bild: imago images/epd)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.09.2023 | Sylvia Tiegs | Bild: imago images/epd

Auf dem Land und am Stadtrand fehlen vielerorts Ärzte und Pflegekräfte. Die Bundesregierung möchte deshalb das bekannte Berufsbild der einstigen Gemeindeschwester neu beleben. Erste Ansätze gibt es schon. Von Sylvia Tiegs

Besteck klappert: Es ist Mittagstisch in der "MoRo Seniorenwohnanlage" in Berlin-Neukölln. Ein Dutzend Rentner lässt sich panierte Schnitzel schmecken, zubereitet vom Küchenteam des MoRo-Vereins.

Das Essensangebot ist nur ein Baustein der Hilfe, die der Verein rund 1.000 Senioren im Rollberg-Viertel anbietet. Die 30 Mitarbeiter:innen unterstützen auch in gesundheitlichen Belangen. Anwohnern wie Gaby Böldt hilft das sehr: "Während ich Corona hatte, hat MoRo dafür gesorgt, dass der Arzt zu mir kam. Und ich habe Grauer-Star-Operationen; eine hinter mir, eine vor mir. Da läuft jemand von MoRo mit mir hoch zur Hermannstraße zum Augenarzt."

Andere Senioren berichten ähnliches. Ohne Begleitung schafften es viele nicht mehr zu ihren Ärzten; zu unsicher seien sie auf den Beinen. "Ohne die Unterstützung von MoRo müssten meine Frau und ich ins Pflegeheim", sagt der Mittachtziger Erwin Schller.

MoRo hat Finanzprobleme

Doch der MoRo-Verein steckt immer wieder in finanziellen Schwierigkeiten, auch derzeit. Die Helfer werden vom Jobcenter und dem Land Berlin bezahlt, die Gelder sind knapp und zeitlich begrenzt.

Wie wäre es, wenn es hier eine Art staatliche Krankenschwester oder einen Gemeinschaftspfleger gäbe? Jemanden, der einen Blick auf die gesundheitlichen Sorgen und Bedarfe dieser 1.000 Senioren hat, Arztbesuche koordiniert, vielleicht auch die Angehörigen berät und unterstützt?

Tatsächlich arbeiten Hausärzte, Pflegeverbände und Kommunen wieder auf Varianten dieses Berufsbildes hin. Die Modellversuche dazu heißen "Agnes2“ in Brandenburg, oder bundesweit "VERAH".

In der Branche geläufig ist inzwischen vor allem der Name "Community Health Nurse". Dieser englische Zungenbrecher beschreibt eine Tätigkeit, die es international bereits gibt: in Kanada, Finnland, Slowenien oder Großbritannien. Im Kern meint Community Health Nursing: gesundheitliche Basisversorgung in einer Gemeinde oder Gemeinschaft.

Vor allem viele Ostdeutsche kennen das noch: die Gemeindeschwester. Nicht nur seit Mitte der 1970er die legendäre Fernsehfigur "Schwester Agnes" mit ihrer Schwalbe durch fiktive Dörfer der Oberlausitz knatterte. Bis zu 7.000 reale Gemeindeschwestern sorgten sich einst um die Gesundheit der DDR-Bürger; sie impften, wechselten Verbände und maßen Blutdruck. Doch die künftigen Community Health Nurses sollen mehr sein als nur mobile Krankenschwestern.

Mehr Kompetenzen

"Das Berufsbild knüpft ein bisschen an die alte kirchliche Gemeindeschwester an, aber mit mehr Handlungsspielraum", sagt Andrea Asch, Vorständin bei der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Asch muss ein wenig schmunzeln und sich - wie sie selbst sagt - konzentrieren, um den englischen Titel fehlerfrei über die Lippen zu bekommen. Doch was die Diakonie sich darunter vorstellt, kann sie genau sagen: "Community Health Nurses arbeiten im Quartier, im Kiez. Sie haben einen Überblick über die Menschen, die pflegebedürftig sind und über die Leistungen, die am Wohnort angeboten werden."

So ähnlich definiert es auch der Deutsche Berufsverband der Pflegeberufe: Community Health Nurses – kurz CHN – sollen selbständig agieren, ein Stück weit unabhängig von ärztlichen Anweisungen. Und das nicht in der Fläche von Stadt und Land, sondern auch in Gesundheitszentren oder im öffentlichen Gesundheitsdienst.

Erste Studiengänge dafür gibt es bereits - Community Health Nurse soll ein akademischer Beruf sein. Dafür infrage kommt nur, wer schon eine Krankenpflege- oder ähnliche Ausbildung hinter sich hat.

Altes Rollenbild, neu gedacht

Jens Stüwe erfüllt diese Kriterien. Der gebürtige Mecklenburger arbeitet als Intensiv- und Anästhesiepfleger in Berlin und studiert Community Health Nursing an der Evangelischen Hochschule Dresden.

Stüwe arbeitet gern im Krankenhaus, sagt er. Aber ihn reize die Idee, sein Berufs- und Tätigkeitsfeld in der Pflege zu erweitern. Schon jetzt arbeitet der Anfang 40jährige ehrenamtlich im GeKo, einem Stadtteil-Gesundheitszentrum in Berlin-Neukölln, zwischen dem Viertel des früheren Flughafen Tempelhof und dem Rollberg-Kiez.

Jens Stüwe (Bild: Sylvia Tiegs/rbb)Jens Stüwe

Für einen modernen Gemeindepfleger, eine Community Health Nurse, gäbe es hier laut Jens Stüwe viel zu tun. Hier leben Langzeitarbeitslose genauso wie Migranten, Familien wie alleinstehende Senioren. Verschiedenste Gruppen, mit unterschiedlichsten Bedarfen. Jens Stüwe fragt sich: Bekommen die Menschen hier die Gesundheitsangebote, die sie wirklich brauchen? Nutzen sie Vorsorgemöglichkeiten, haben sie Beratungsbedarf? Dem würde er später vielleicht gerne nachgehen, nach seinem Masterabschluss.

Für die Diakonie gehören moderne Gemeindeschwestern zur künftigen Pflegestrategie, sagt Vorständin Andrea Asch. Sie könnten dazu beitragen, dass Menschen länger zu Hause wohnen bleiben könnten. Was bitter nötig wäre, so Asch, angesichts des "dramatischen Bettenabbaus" in den Pflegeheimen.

Sendung: Inforadio, 28.09.2023, 07:30 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

48 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 48.

    Ich habe über dieses Projekt einen Bericht im TV gesehen und frage mich ernsthaft:

    Warum werden SOLCHE PROJEKTE finanziell nicht viel mehr unterstützt und in ALLEN BEZIRKEN eröffnet??

    Damit SENIOREN nicht in ein Heim müssen sondern in ihren Wohnungen und dem Umfeld bleiben können und wenn nötig Hilfe in allen Lebenslagen erhalten !!

  2. 47.

    Guten Abend Frau Wadehn,
    Sie sprechen wichtige Aspekte an. Ich wünsche Ihnen jeden Erfolg bei Ihrer sehr wichtigen Arbeit.
    Viele Grüße

  3. 46.

    Guten Abend MoRo Seniorenwohnanlagen,
    ich wünsche Ihnen allen Erfolg bei Ihrer großartigen Arbeit. Sie sind mir dabei ein Vorbild.
    Viele Grüße

  4. 45.

    Guten Abend Welcome!,
    es ist ein in den meisten Ländern etabliertes Berufsbild mit diesem Namen. In der konkreten Arbeit wird in der Hinsicht natürlich kommunikativ auf das Gegenüber eingegangen. Das wird eigentlich in den meisten Ländern von den Pflegenden so praktiziert.

  5. 44.

    Guten Abend Seeteufel,
    wo Sie recht haben, haben Sie recht. Die Bezeichnung gibt es im englischsprachigen Raum seit etwa 100 Jahren und Vorschläge für angemessene, konkrete, deutsche Bezeichnungen willkommen.
    Viele Grüße

  6. 43.

    Guten Abend Hm,
    die Bezeichnung wird im direkten Kontakt in der Tat wohl kaum eine Rolle spielen, da die ausübende Person dies sicher zu gestalten weiß. Die direkte Versorgung wird in der Tat durch den Pflegedienst geleistet. Die CHN verknüpft dabei perspektisch eher Dienste, die oft leider getrennt voneinander erfolgen oder erkennt z.B. Gruppen, die oft kaum oder nur schlecht erreicht werden.

  7. 42.

    Im konkreten, direkten Kontakt mit Personen würde eine CHN wohl immer eine Bezeichung wählen, die der Situation angemessen und für das Gegenüber verständlich ist. Diese Diskussion erscheint mir daher etwas fiktiv. Dasselbe wie sie empfinde ich bei unterschiedlichsten Berufsbezeichnungen aber auch manchmal. Viele Grüße

  8. 41.

    Guten Abend boomer,
    in der Tat geht es da weniger um die konkrete Betreuung. Neben der Organisation und Planung ist eine CHN jedoch in den meisten Fällen auch praktisch und ganz konkret bei den Menschen oder auch nur einzelne Gruppen z.B. in der Gemeinde unterwegs und tätig. Die Verhältnisse die sie jeweils vorfindet sind so unterschiedlich. Daran richtet sie sich aus und hat die angemessenen Methoden dafür gelernt.

  9. 40.

    Guten Abend Saskia, Sie sprechen sehr viele wichtige Aspekte an. Für mehr Klarheit sollte hier künftig mit konkreten Beispielen gesorgt werden. Viele Grüße J

  10. 39.

    Guten Abend Michaela, die Bezeichnung populationsbezogene pflegerische Rolle ist für die meisten Menschen wohl etwas technisch und umständlich, daß sich entschieden wurde mit seit etwa 100 Jahre alten, englischsprachigen Begriff, dafür aber an ganz konkreten, drängenden Problemen in der Versorgung zu arbeiten. Im konkreten, direkten Kontakt mit Personen würde eine CHN wohl eine Bezeichung wählen, die der Situation angemessen und für das Gegenüber verständlich ist. Viele Grüße

  11. 38.

    Lieber Torsten, daß ist ein wichtiger Punkt. Leider gibt es aktuell keine konkretere Bezeichnung im Deutschen und es wird von engagierten im Land der Dichter und Denker daran gearbeitet. Sie sind herzlich eingeladen ein paar Vorschläge für die bisherige, etwas umständliche Bezeichnung populationsbezogene pflegerische Rolle beizusteuern. Viele Grüße

  12. 37.

    Die CDU/SPD/GRÜNE aus Neukölln haben heute eine gemeinsame Presserklärung rausgebracht über den mühsamen Kompromiss im Haushalt. Kein Wort über Senioren Haushalt, über 750 Neuköllner Senioren deren die Betreuung wegbricht, denn wo keiner ist, muss man auch nichts sagen. Auch nicht über neue hoffnungsvollen Stellen einer Community Health Nurse (ist die/der/das Nurse eigentlich gegendert ?) Wo sollen diese eigentlich herkommen aus dem Pflegebereich? Naja da herrscht ja Überbeschäftigung. Klar ist ca 90 neue Pflegeheim Patienten wo ja gerade ein Heim in Brandenburg schließt und nicht wegen Geld sondern wegen Personalmangel. Wir arbeiten im niederschwelligen Bereich mit Langzeitarbeitslosen (13,34 die Stunde) haben zehn Stellen frei aber der gutausgerüstete Bürgergeld Empfänger vom Ingenieur bis Neubürger muss ja nichts tun er ist sanktionsfrei. Wen wundert es das aus Wut AfD gewählt wird. Mich nicht mehr

  13. 36.

    Klarstellen!!! Eine Gemeindeschwester im Kiez ich lach mich scheckig ! Morgens kommt die in den Dienst telefoniert und nimmt Aufträge an!! Nachmittags dokumentiert Sie! Außer Dienstag da macht sie Angehörigen Berstung bis Mittag danach dokumentiert sie!! Freitag macht sie Abrechnung bis 14:00 danach wohlverdientes WE ! Wann kauft sie ein, spritzt, kocht, füttert, wäscht den Alten und die Wäsche und mehr!! Wer kann das studieren woher kommen die zukünftige Schwester
    Im Rollberg sind 125 Mieter wir arbeiten mit Langzeitarbeitslosen für den sog niederschwelligen Bereich (einkaufen, Rezepte holen, Unterhaltung. Mit den um alles Kümmerkäfer arbeiten wir eng zusammen da kann die Schwester B. auch mal spritzen, Pflaster kleben ihre Mitarbeiter waschen stellen, geben Medikamente und mehr, wir kochen auf Wunsch, verteilen Essen, unsere Chefin hat das alles im Blick die Übersicht, mit dem Hausarzt der um die Ecke ist. Es gibt es schon günstiger nur es muss der Wille da sein von der Politik

  14. 35.

    Der beste Beweis, dass es politischer Wille ist, dass sich Ostdeutsche wie Flüchtlinge im eigenen Land fühlen. Keiner von denen da „Oben“ hat den Geist, eine ostdeutsche Errungenschaft als ostdeutsche Errungenschaft in eine westliche Kultur einzupflegen und Gut zu heißen. Stattdessen bekommt sie einen amerikanisierten Zungenbrechnamen aber bloß nix aus der DDR kultivieren.
    33Jahre u. bayerische Politiker sprechen noch heute von den „5neuen Ländern im ZDF und beschäftigen „Ostbeauftragte“. Lol^^

  15. 34.

    Community Health Nurse – welcome to America!
    Was soll das?!?

  16. 33.

    Offenbar nicht nur ein neuer verwirrender Name, sondern auch ein neues verwirrendes Berufsbild. Die Gemeindeschwester hatte vor allem medizinische Befugnisse und „Agnes“ kümmerte sich auch noch um das Soziale. Die Community Health Nurse kümmert sich offenbar hauptsächlich um das Soziale und hat nebenbei auch noch medizinische Kenntnisse. Aber welche Befugnisse? Und soll sie mit, neben oder gegen die Pflegedienste arbeiten? Oder werden die dann abgeschafft, weil alles zusammen keiner bezahlen kann? Ich hoffe ja sehr, dass man sich über die Gestaltung und Befugnisse dieser Tätigkeit etwas mehr Gedanken macht als über deren Berufsbezeichnung.

  17. 32.

    Früher hatte jede Kirchengemeinde im Westen eine Gemeindeschwester, die sich um die entsprechenden Aufgaben kümmerten. Leider wurden diese Dienste, die z.B. von Diakonissen ausgeführt wurden immer weiter reduziert!

  18. 31.

    Komisch, dass so manches aus der DDR verdrängt werden musste, und dann wird das Rad wieder neu erfunden. Welcher Fachmann dafür wieder tolles Geld erhalten hat???
    Dann noch diese Bezeichnung. Geht auch noch was auf deutsch?

  19. 30.

    Es gibt doch den allgemein verständlichen Begriff " Tante Emma Laden" .Warum nicht "Schwester Agnes " als allgemeine Bezeichnung? Kennt fast jeder und alle wissen, was gemeint ist.

  20. 29.

    Hauptsache, tolle englische Bezeichnung. Gemeindeschwester geht ja gar nicht!

Nächster Artikel