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Video: rbb|24 | 02.11.2023 | Janek Kronsteiner und Camilo Toledo | Quelle: dpa/Hannes P. Albert

Día de los Muertos in Berlin

"Wir können das Leben nicht ohne den Tod zelebrieren"

In Mexiko gilt: Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot. Um das zu verhindern, werden die Toten am Día de los Muertos gebührend gefeiert. In Berlin gewinnt das Totenfest immer mehr an Bedeutung - im kleinen Kreis oder auf rauschenden Partys. Von Jenny Barke und Camilo Toledo

Der Tod auf dem Holzmarkt am Berliner Spreeufer ist nicht zu übersehen. Er hängt in Form von Skeletten vom Himmel, zeigt seine spöttische Fratze auf Hüten und Kleidung, behält als angeleuchteter Totenschädel das Leben im Visier. Wobei man wohl gendern muss: Der mexikanische Tod ist eine Frau. La Santa Muerte, die Todesheilige, ist die Schutzheilige der Verstorbenen und hat in Mexiko Kultstatus.

Ihr zu Ehren haben sich viele Gäste beim Totenfest auf dem Holzmarkt wie sie geschminkt: Durch das bunt beleuchtete Halbdunkel der Novembernacht tanzen weiße Gesichter mit schwarz umrandeten Augen und bis über die Ohren gezeichneten Gebissen. Carla trägt zusätzlich noch einen traditionellen Blumenschmuck im Haar, glitzernde Pailletten verzieren ihre Stirn. "Wir Mexikaner feiern den Tod in dieser Form, weil es sehr wichtig ist, glücklich zu sein. Wir glauben, dass wir unsere Verwandten wiedersehen", so die Ingenieurin, die seit einem Jahr in Berlin lebt.

Carla | Quelle: rbb

Symbiose aus indigenem Totenkult und katholischem Allerheiligen

Der Día de los Muertos ist eine seit Jahrhunderten in Mexiko gefeierte Tradition. Sie geht zurück auf den prähispanischen Glauben der Azteken und anderer indigener Völker. "Wir hatten unsere Gottheiten, man dachte, dass das Leben nur ein kleiner Teil eines unendlichen Zyklus ist", erklärt Gabriela Gómez Navarrete, die das Totenfest auf dem Holzmarkt organisiert hat. "Dann kamen die Spanier und haben den Katholizismus nach Mexiko gebracht." Die indigene Todesfeier und der christliche Glaubenstag Allerheiligen bildeten daraufhin eine Symbiose. Seitdem wird der Día de los Muertos rund um den 1. November gefeiert.

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Doch Allerheiligen und das mexikanische Totenfest könnten unterschiedlicher nicht sein: Während in Deutschland am 1. November Menschen in stiller Trauer ein rotes Grablicht auf dem Friedhof anzünden - und in manchen Bundesländern an diesem Feiertag gar Tanzverbot gilt, sind die Feierlichkeiten in Mexiko Tage des ausgelassenen Ausnahmezustands. "Als Kind war es mein Lieblingstag. Ich liebte die Farben, die Kerzen, das Licht, das Feiern, das Zusammensein. Das war immer was Fröhliches", so Gómez Navarrete. Die Mexikanerin lebt seit neun Jahren in Berlin und organisiert seit dem Feiern zum Día de los Muertos in der Hauptstadt.

Gabriela Gómez Navarrete | Quelle: rbb

Einen Tag in Berlin nach Mexiko reisen

Denn längst hat das mexikanische Totenfest auch über die Landesgrenzen hinaus an Beliebtheit gewonnen. In Abgrenzung zum US-amerikanischen Halloween wird es in ganz Lateinamerika gefeiert. Seit 2008 steht es auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. In Berlin finden jedes Jahr mehr Veranstaltungen rund um den Día de los Muertos statt, neben Holzmarkt unter anderen in einer ganzen Festwoche im Humboldtforum [humboldtforum.org]. Als Gabriela Gómez Navarette vor neun Jahren ihre erste Feier gemeinsam mit einer Freundin initiierte, war sie noch kleiner und unbekannter. Jedes Jahr würde das Interesse wachsen, sagt sie. Seit vergangenem Jahr können sie die Gäste auf dem Holzmarkt empfangen.

"Ich glaube, es ist wichtig, von anderen Kulturen zu lernen. Das vermeidet Rassismus, wenn wir den Austausch haben mit anderen Menschen aus unterschiedlichen Leben." An diesem Novemberabend kommen nicht nur Mexikaner, auch viele Deutsche und internationale Gäste sind vor Ort. Einer von ihnen ist der iranische Performance-Künstler Dharama: "Ich war noch nie in Mexiko und hier habe ich die Chance dazu." Dharama habe nun selbst große Lust, nach Mexiko zu reisen, weil er sich vorstellen könne, wie schön die Kultur ist. Ihm zeige das Fest: "Wir können nicht leben ohne den Tod zu zelebrieren."

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Tacos, Tamales, Tequila

Dharama ist einer von vielen Künstlerinnen und Künstlern, die den Tod auf dem Holzmarkt zum Leben erwecken. Tänzer mit Lederschurz und imposanten Federkopfschmuck führen indigene Tänze zu Trommelklängen auf, eine Musikerin singt zu Electro-Beats mit psychodelischen Farbspielen im Hintergrund. An Marktständen gibt es traditionell mexikanische Küche: gefüllte Maistortillas, also Tacos mit Zwiebel, Koriander und Tomate und Tamales, in Pflanzenblätter eingewickelter und gedämpfter Maisteig sowie Tequila und Mezcal.

Auch den Mexikaner Arturo Anaya haben die Traditionen und das Essen gelockt. "Zuhause ist das eher ein Familienfest. Da ich in Berlin keine Familie habe, treffe ich mich lieber mit Freunden und wir kommen an Orte wie hier auf den Holzmarkt, wir essen, tanzen ein bisschen", sagt der 30-jährige Informatiker, der seit zwei Jahren in Berlin lebt. Doch ein zentraler Aspekt des Totenfests fehlt Arturo in Berlin: "Hier baue ich keinen Altar auf. Obwohl meine Mutter mir gezeigt hat, wie man ihn aufbaut. Auf ihrem Altar in Mexiko stehen Bilder von meinem Vater und meinen Großeltern."

Arturo | Quelle: rbb

Altar mit Opfergaben für die mitfeiernden Toten

Der Altar ist wohl das wichtigste Element des Día de los Muertos. Auch wenn Arturo ihn nicht zu Hause aufgebaut hat, kann er seinen verstorbenen Liebsten auf der Feier an einem öffentlichen Altar gedenken. Die Veranstalter rund um Gabriela Gómez haben dafür einen "Mega-Schrein" auf fünf Ebenen gebaut. Darauf sind liebevoll die "Ofrendas" angeordnet, Opfergaben für die Verstorbenen. Wie hierzulande Weihnachtsbäume in der Adventszeit werden in Mexiko überall Altare am Día de los Muertos aufgestellt - ob auf Friedhöfen, an Straßenecken, im Metro-Schacht, in Schulen, öffentlichen Institutionen und natürlich zu Hause.

Nicole | Quelle: rbb

Nicole Montes hat sich für das stillere Gedenken entschieden und ihren Altar in ihrer WG im Wedding aufgebaut. Auf der untersten Ebene ihres Altars befindet sich Salz und Wasser, beides symbolisiert die Reinheit. "Wenn die Verstorbenen zu Besuch kommen, waschen sie sich die Hände, trocknen sich ab, hier ist noch ein Spiegel."

Auf der zweiten Ebene ihres Altars stehen dann die Dinge, die ihren Verstorbenen gefallen haben, zeigt die 30-jährige Psychologin, die seit vier Jahren in Berlin lebt. "Hier habe ich zum Beispiel drei kleine Gläser mit Tequila oder Fotos von Orten, die sie mochten." Auf der obersten dritten Ebene sind die Fotos der Verstorbenen. "Hier sind meine beiden Großeltern, meine Urgroßmutter und mein Onkel."

Etwa 3.000 Mexikanerinnen und Mexikaner in Berlin

Anders als Arturo, Gabriela und Carla feiert sie das Totenfest lieber im privaten, gemütlichen Rahmen, mit Freunden und Menschen, die ihre Familie kennen. "Es gibt sicher tolle Events, aber das ist für mich nicht so wichtig." Nicole möchte lieber am Altar mit Freunden ein festliches Abendessen veranstalten.

In Berlin leben etwa 3.000 gemeldete Mexikanerinnen und Mexikaner und eines ist ihnen allen gemein, egal ob sie turbulent, bunt und laut feiern oder besinnlich im kleinen Kreis: Sie möchten diese Zeit in Gemeinschaft verbringen. "Der Tod bedeutet nicht immer traurig sein, der Tod bedeutet auch eine Zeit, um zusammen zu sein und zu lernen und das kommt von Herzen, einfach so", so Gabriela Gómez. Und Nicole mit ihrem privaten Altar ergänzt: "So eine positive Beziehung zum Tod zu haben, ist etwas ganz Besonderes, das man gerne teilt." Das sei ganz besonders notwendig an einem Ort wie Deutschland, wo die Beziehung zum Tod viel dunkler und schwerer sei.

Sendung: rbb|24, 02.11.2023

Beitrag von Jenny Barke und Camilo Toledo

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