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Audio: rbb24 Infordadio | 15.04.2024 | Michael Müller | Quelle: rbb

Pflegeheim-Leiter zur Corona-Aufarbeitung

"Es hat uns niemand gefragt, wie es uns ergangen ist"

Politiker und Wissenschaftler diskutieren gerade, ob und wie die Corona-Pandemie aufgearbeitet werden sollte. Welche Maßnahmen waren richtig, welche falsch? Fragt dazu bitte auch die Praktiker, fordert der Berliner Pflegeheim-Leiter Matthias Küßner.

rbb|24: Herr Küßner, was waren die größten Haken für Sie in der Pandemie?

Matthias Küßner: Am Anfang wusste jeder alles und jeder wusste es vor allen Dingen besser. Niemand hat gefragt, wie die Situation bei uns wirklich ist. Was passiert mit den Mitarbeitern und den Bewohnern? Wie reagieren Angehörige?

Zur Person

Dann kam eine Zeit, in der uns die Bundeswehr wirklich unterstützt hat. Bis irgendwann jemand gesagt hat, das ist uns zu teuer. Also mussten wir alles selbst machen, zum Beispiel die täglichen Corona-Tests. Die HNO-Ärztin aus der Bölschestraße hat uns Gott sei Dank gezeigt, wie das geht.

Der Informationsfluss hat mich am meisten irritiert. Die Anpassung der Pläne, was erlaubt oder nicht möglich war, kam prinzipiell Freitagabend zwischen 20 und 21 Uhr, gültig "ab sofort". Ich weiß nicht, ob der Senat dachte, dass ich dann wieder hierherfahre und in der Nacht alles umsetze. Wenn wir gerade bei Lockerungen - auf die alle gewartet haben - die Infos am Donnerstagabend bekommen hätten, hätten wir das wenigstens fürs Wochenende noch umsetzen können.

Es hat uns auch bis zum letzten Tag niemand gefragt, wie es uns wirklich geht. Wie wir mit der Pandemie umgehen, auch mit der Aggressivität von Angehörigen. Wir haben sehr viel Frustrationen gehabt. Hier ist nie jemand gewesen, der gesagt hätte: lasst uns mal zusammensetzen und evaluieren.

Die Aufarbeitung ist ja nun in aller Munde. Ist denn jetzt schon mal jemand zu Ihnen gekommen?

Nein, weder zu mir, noch zu Kollegen. Das ist mir nicht bekannt. Auch nicht schriftlich. Man könnte ja einfach Formulare schicken und auswerten. Es ist wirklich niemand gekommen, auch nicht vom Gesundheitsamt. Gar nichts. Null.

Wie sind Sie denn mit dem Pflegeheim durch die Pandemie durchgekommen?

Im Prinzip sind wir von Anfang an gut durchgekommen. Ich war gerade im Urlaub in Asien gewesen, als die Pandemie losging. Im Flugzeug von Hongkong mussten wir alle die Maske aufsetzen. Da wusste ich schon so ein bisschen, was auf uns zukommt.

Wir waren dann relativ schnell mit dem Testen und den Impfungen dabei. Die ersten Corona-Fälle hatten wir erst spät, als die Maßnahmen gelockert wurden. Wir haben Gott sei dank weder bei Mitarbeitern noch bei Bewohnern einen Toten zu beklagen.

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Würden Sie im Nachhinein alles wieder so machen?

Ich würde es auf jeden Fall wieder so machen.

Es sind in der Pandemie viele Menschen allein gestorben, weil sie nicht besucht werden durften. Wie war das bei Ihnen?

Wir haben das so entschieden: wir haben die Angehörigen getestet, und dann durften sie beim Sterbensprozess dabei sein. Ich weiß: Regelverstoß. Aber das habe ich gerne auf meine Kappe genommen. Sterben ist ein Moment, da muss die Familie, müssen Freunde einfach da sein. Und das hat auch gut funktioniert.

Was hat den Bewohnern und Bewohnerinnen im Heim in dieser Zeit am meisten gefehlt?

Der Kontakt miteinander. Im großen Wohnzimmer, beim Essen, und bei den gemeinsamen Veranstaltungen. Das hat gefehlt. Auch den Mitarbeitern. Dieser Smalltalk, was hast du gestern Abend gemacht? Das war komplett weg. Das hat die Stimmung bei allen gedrückt.

Seniorenresidenz ProCurand in Berlin-Friedrichshagen (Bild: rbb) | Quelle: dpa

Haben sich jetzt alle wieder umgewöhnt?

Ja, aber das hat lange gedauert. Wir müssen jetzt wieder aktiv auf die Leute zugehen und sie zu Veranstaltungen holen. Der Rhythmus war weg. Und für Bewohner, die in der Corona-Zeit hier aufgenommen wurden, war das sowieso alles neu. Und selbst Angehörige mussten sich wieder daran gewöhnen, dass sie wieder kommen durften.

Was halten Sie nun von einer Aufarbeitung der Pandemie?

Experten, Professoren, Ethiker wollen aufarbeiten. Aber wo sind die Leute aus der Praxis? Ich sage: Geht mal ins Heim, geht mal in die Krankenhäuser und fragt die Betroffenen. Wie ist es gewesen für die Bewohner, die Angehörigen und die Mitarbeiter? Was hätten Sie nötig gehabt? Das sollte man alles mal auflisten, um daraus einen Plan zu entwickeln.

Das Interview führten Christina Rubarth und Sylvia Tiegs

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.04.2024, 19:30 Uhr

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