Beschluss im Abgeordnetenhaus - Berlin bekommt eines der liberalsten Versammlungsgesetze bundesweit

Etwa 5.000 Demonstrationen finden durchschnittlich pro Jahr in Berlin statt. Bisher galt dafür das Versammlungsrecht des Bundes aus den 1970er Jahren. Nun hat das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün eine eigene Regelung beschlossen.
In Berlin gilt künftig eines der liberalsten Versammlungsgesetze bundesweit. Es wurde am Donnerstag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von SPD, Linken und Grünen vom Abgeordnetenhaus verabschiedet.
Nach dem neuen Gesetz gilt der Schutz des Versammlungsgrundrechtes künftig bereits bei Versammlungen von zwei Personen. Ausdrücklich im Gesetz geregelt wird das Recht auf ungehinderten Zugang zu Versammlungen, auf freie Berichterstattung durch die Medien sowie auf Gegendemonstrationen. Gegenproteste dürfen in Hör- und Sichtweite stattfinden.
Verdeckte Aufnahmen durch Zivilbeamte nicht mehr möglich
Die Pflicht, eine Versammlungsleitung zu bestimmen, entfällt künftig, so dass auch neue Versammlungsformen wie etwa Flashmobs erleichtert werden. Zudem wird durch das Gesetz die Bannmeile für das Berliner Parlament erheblich reduziert. Künftig kann auch gegenüber des Abgeordnetenhauses demonstriert werden. Für den Bundestag gelten dagegen nach wie vor andere gesetzliche Regelungen.
Bundesweit einmalig wird zudem ein Deeskalationsgebot für die Polizei gesetzlich festgelegt. In der Praxis existiert dieses Gebot bereits seit mehreren Jahren, wurde nun aber gesetzlich verankert. Zudem müssen sich Polizeikräfte, die auf Versammlungen anwesend sind, zu erkennen geben. Polizisten dürfen Teilnehmer von Demonstrationen nur noch offen filmen und auch nur "zur Gefahrenabwehr". Verdeckte Aufnahmen von Zivilbeamten sind damit nicht mehr zulässig - an dieser Neuregelung hatte es nicht nur aus der Opposition, sondern auch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Kritik gegeben.
Vermummungsverbot wird gelockert
Zudem wird das sogenannte Vermummungsverbot gelockert. Es soll künftig nur noch möglich sein, Vermummungen zu untersagen, wenn es eine entsprechende Anordnung der zuständigen Behörde gegeben hat.
Künftig soll es außerdem leichter möglich sein, sogenannte Hassdemonstrationen zu verbieten. Das gilt etwa im Fall von volksverhetzenden Versammlungen, wenn es dort zu Aufstachelung zu Hass oder Gewalttaten kommt. Das Gleiche gilt für Demonstrationen, die die NS-Gewaltherrschaft verherrlichen.
Bisher galt in Berlin das Versammlungsgesetz des Bundes. Die Bundesländer haben seit der Föderalismusreform 2006 die Kompetenz zur Gesetzgebung für das Versammlungsrecht, Berlin hatte davon aber bisher nicht Gebrauch gemacht. Die Berliner Koalitionspartner hatten 2016 eine eigene Gesetzgebung dazu verabredet. Die jetzige Regelung hatte sich auch an die liberale Regelung in Schleswig-Holstein angelehnt.
Opposition stimmt gegen das Gesetz
In der Debatte lobten Redner der Regierungsfraktionen das neue Gesetz. Der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg betonte, auch in Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck gerate, sage die rot-rot-grüne Regierungskoalition: "Lasst uns mehr Versammlungsfreiheit wagen!" Der Grünen-Parlamentarier Benedikt Lux sagte, vom Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz könnten auch die anderen Bundesländer lernen. Es nehme vor allem die jährlich über 5.000 friedlichen Demonstrationen in der Stadt in den Blick. Die wenigen unfriedlichen Demonstranten würden hingegen nicht zum Maßstab der Gesetzgebung gemacht.
CDU-Fraktionschef Burkard Dregger hingegen sprach von einem unnötigen Gesetz. Auch die bisherigen gesetzlichen Regelungen und die Rechtsprechung garantierten die Versammlungsfreiheit. Der AfD-Abgeordnete Marc Vallendar kritisierte, das Gesetz sei weder handwerklich gut gemacht, noch diene es einer Stärkung der Versammlungsfreiheit. Es sei vielmehr "ein reines Ideologieprojekt". Vom FDP-Abgeordneten Paul Fresdorf wurde moniert, das Gesetz sei entbehrlich und erschwere die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten in der Stadt. CDU, AfD und FDP stimmten gegen das Gesetz.
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Sendung: Inforadio, 11.02.2021, 18:40 Uhr