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Quelle: dpa/Christian Ender

Kommentar | Freispruch im "Neukölln-Komplex"

Aus Mangel an Beweisen

Im Prozess gegen zwei Neonazis um die rechtsextreme Anschlagsserie in Berlin-Neukölln ist einer der beiden Angeklagten freigesprochen worden. Frühe Fehler der Ermittler trugen entscheidend dazu bei, kommentiert Torsten Mandalka.

Nun ist im ersten Schritt also passiert, was viele – vor allem die Betroffenen – befürchtet haben, befürchten mussten. Tilo P., der Freigesprochene, soll es selbst gesagt haben: Alle wissen, wer die Brände gelegt hat, wer die Hintermänner des Neuköllner Kiez-Terrors sind, aber man kann es ihnen eben nicht nachweisen. Ein Versagen des Rechtsstaats? Nun ja: Der Rechtsstaat ist ein komplexes Gebilde.

Da ist die Polizei, die jahrelang geschludert hat in dieser Affäre. So sehr geschludert, dass sogar der Verdacht aufkam, es gebe polizeiinterne Kollaborateure – Beamte, die die Täter warnten vor Durchsuchungen, Abhörmaßnahmen, Observationen. Der Verdacht ist nicht belegt, aber dass er sich so lange und hartnäckig hält, ist schlimm genug für die Vorstellung von einem funktionierenden Rechtsstaat.

Neuköllner Anschlagsserie

Angeklagter vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen

Einer der Hauptangeklagten im Zusammenhang mit der Anschlagsserie in Neukölln ist freigesprochen worden. Dabei ging es um den Vorwurf der Brandstiftung. Der Rechtsextremist wurde lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt.

Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft

Da ist die Staatsanwaltschaft, die sich lange einem ähnlichen Vorwurf ausgesetzt sah, wie die Polizei: dass sie nämlich auf dem rechten Auge blind sei. Als die Generalstaatsanwaltschaft übernahm, wurde es besser. Sie trug in akribischer Arbeit Indizien zusammen, um schließlich doch noch eine Anklage zu zimmern. Doch die frühen Fehler in der Ermittlungsarbeit konnte sie nicht mehr korrigieren. Hier hat der Rechtsstaat funktioniert, aber zu spät.

Die Verteidigung hingegen hat alle Mittel genutzt, die ihr zur Verfügung standen und war erfolgreich: in dubio pro reo eben. Und dann ist da noch das Gericht: Das kann nur beurteilen, was ihm vorgelegt wird, nach strengen gesetzlichen Kriterien. Wenn die Beweise nicht ausreichen, muss es freisprechen – das ist das Wesen des Rechtsstaats.

Anhörung im Untersuchungsausschuss

Sachverständige zu Neuköllner Anschlägen wirft Ermittlern Versäumnisse vor

Der Untersuchungsausschuss zu der rechten Anschlagserie in Neukölln hat am Freitag eine erste Sachverständige angehört. Bianca Klose von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" warf den Ermittlern vor, über Jahre wichtige Aspekte ignoriert zu haben. Von Jo Goll

Anschläge nicht ernst genommen und verharmlost

Jenseits all dessen gibt es aber noch die politisch-gesellschaftliche Seite. Eine Stadtregierung, die das Neuköllner Unwesen lange nicht ernst genommen hat, eine Neuköllner Nachbarschaft, die dazu neigte, das Treiben der Neonazis zu verharmlosen, die Opfer, die den Schaden hatten: verbrannte Autos, Schäden an ihren Häusern und an ihrer Gesundheit, das Leben in Angst vor dem nächsten Attentat.

Wäre die Empörung von Anfang an so groß gewesen wie jetzt bei den Klima-Aktivisten, die Maßnahmen genauso rigide – wer weiß: Vielleicht wäre die Geschichte anders ausgegangen. Manchmal ist das eben so eine Sache mit dem Rechtsstaat.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.12.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Torsten Mandalka

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