Champions League - Fußball ist der Inhalt, Real Madrid die Form

Di 19.09.23 | 06:45 Uhr | Von Shea Westhoff
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Mannschaft von Real Madrid am 15.04.2023:H.R.v.l.: Torwart Bodo Illgner, Clarence Seedorf, Fernando Redondo, Christian Panucci, Kapitän Fernando Hierro, Fernando Sanz; v.R.v.l.: Roberto Carlos, Christian Karembeu, Jose Emilio Amavisca, Raul Gonzalez und Fernando Morientes.(Quelle:imago images/Team2)
Bild: imago images/Team2

Union Berlin, das ist Understatement und Bescheidenheit. Ausgerechnet zum Debüt in der Königsklasse tritt der Verein bei Real Madrid an, wo es um Inszenierung und Übersteigerung geht. Warum das weiße Ballett der größte Klub der Welt ist. Von Shea Westhoff

Ganz unsortiert, das sind die ältesten Erinnerungen, die ich, Autor des Textes, von diesem irgendwie entrückten Verein Real Madrid habe: ölige, zurückgegelte Haare, melancholische Blicke, schöne Namen, ein aus den Fernsehlautsprechern dröhnendes Pfeifkonzert der Real-Fans bei gegnerischem Ballbesitz, lange wachbleiben dürfen, Herzklopfen. Und das Wissen, dass es gegen diese Mannschaft in Weiß eigentlich nichts zu holen geben kann.

Festgesetzt haben sich diese Eindrücke aus den TV-Übertragungen zum Ende der 1990er Jahre. Aber ebenso gut könnten diese Eindrücke von einer Kindheit in den 1970ern stammen oder auch, sagen wir, dem Jahr 2023, wenn nämlich Union Berlin in seiner Champions-League-Premiere auf Real Madrid trifft. Die Aura des Klubs ist unveränderlich. Deswegen vermittelt er seit Generationen ein ähnliches Gefühl.

Es gibt Spitzenklubs, und es gibt Real Madrid

Geht es gegen Real Madrid, ist der Spieltermin Fixpunkt des gegnerischen Saisonkalenders. Weil Real Madrid das Nonplusultra des Fußballsports ist. Es gibt Spitzenklubs, und es gibt Real Madrid. Ein Mythos in Weiß.

Eine Mannschaft, die immer gewinnen will und gewinnen muss. Klingt ein wenig nach Bayern München. Nun ja. Wenn man in München unzufrieden ist mit der abgelaufenen Saison, dann kauft man Harry Kane. Wenn sie aber in Madrid hadern, wie 2009 nach einer Vizemeisterschaft, dann holen sie Cristiano Ronaldo und Karim Benzema. Und Kakà. Und Xabi Alonso. Innerhalb weniger Wochen. Und dann wird gefälligst gezaubert.

Dass Real Madrid zum Großteil aus Show besteht, liegt auch am Naturell des Fan-Anhangs. Für den ist das Beste nicht einmal gerade gut genug, sondern das Beste soll bitte auch schön sein.

Wenn Fußball der Inhalt ist, so ist Real Madrid seine Form. Nirgends kann die Schönheit dieses Sports so umfänglich ausgelotet werden wie bei den Königlichen. Deswegen strebten die größten Genies des Fußballs immer schon zu Real.

Um es deutlich zu sagen: Einen formvollendeten Rotwein bekommst du eben nicht, wenn du ihn im Planschbecken reifen lässt, sondern in Fässern lagerst. Inhalt und Form. Das wussten auch die Sommeliers Puskas und di Stefano und Netzer und Zidane und Figo und Ronaldo und manche Virtuosen mehr. Real Madrid war ihre Bestimmung.

Viele kamen zum Durchbruch gegen Real

Und das ist ja das Schönste: Weil der gesamte Klub so theatralisch und prätentiös auftritt, macht er auch seine Gegner größer. Weil da plötzlich eine Bühne ist. Eine Begegnung mit den Königlichen bedeutete für so manch späteren Weltstar einen Vorgeschmack des späteren Ruhms. Für Bastian Schweinsteiger, der 2003 als Einwechselspieler des FC Bayern plötzlich auf Zinedine Zidane angesetzt wurde und mit seinem unbeschwerten Auftritt die Fußballwelt entzückte. Für Robert Lewandowski, dessen vier Tore gegen die Disco-Rausschmeißer Pepe und Sergio Ramos dem endgültigen Durchbruch als weltweit begehrter Angreifer gleichkamen. Für den damals 19 Jahre alten Leroy Sané, der Real Madrid in einem Achtelfinal-Rückspiel mit Schalke 04 mit unwiderstehlichen Dribblings fast das sicher geglaubte Weiterkommen verhagelte.

Real lässt andere leuchten

Nicht nur Fußballer lässt Real Madrid leuchten. Nachdem 1998 im Halbfinale der Champions League ein Tor im Bernabeu-Stadion plötzlich umgefallen war, bewältigten Günther Jauch und Marcel Reif die unvorhergesehene Situation im Vorfeld der Begegnung mit Borussia Dortmund durch eine schmissige, spontane Moderation, für die sie sogar mit einem TV-Preis ausgezeichnet wurden. Die TV-Einlage ist längst Legende. Die Frage ist, ob sie auch Legendenstatus erreicht hätte, wenn der BVB gegen, sagen wir, Deportivo La Coruna gespielt hätte.

Eine Partie gegen Real Madrid schreibt die unwahrscheinlichsten Geschichten, ist Schauspiel, Drama. Obwohl es ja eigentlich ohnehin nichts zu holen gibt gegen diesen Klub. Und genau darauf kann sich Union Berlin am meisten freuen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.09.2023, 08:15 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

8 Kommentare

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  1. 8.

    Der Artikel vermittelt Vorfreude. Da sei es verziehen, dass Wesentliches fehlt: Die Finanzierung des Ganzen.

  2. 7.

    Wem nützt ein Debakel ?
    Was soll das immer ?
    Das hin und her mit dem Spielort fand ich auch merkwürdig.
    Aber die haben eben eine eigene Denkweise.
    Deshalb kann man ihnen trotzdem die Daumen drücken, dass es möglichst weit geht in diesem Wettbewerb.
    Ein Nils und ein BCC777 sollten doch ausreichen.
    Hahohe und viel Spaß und Erfolg

  3. 5.

    Was soll den Köpenickern schon passieren, sie sind von Glück gesegnet, denn so wie jeder Moslem zumindest ein mal im Leben in Mekka ankommen will, ist es der Wunsch eines jeden Fussballspielers zumindest einmal im Leben in Bernabeu auflaufen zu dürfen und dieses Glück widerfährt den Eisernen just in ihrem allerersten CL-Spiel ihrer allerersten CL-Saison.

    Die Eisernen brauchen also keine Angst zu haben, denn als Außerseiter können sie unbeeindruckt aufspielen, die Atmosphäre aufsaugen und in ihrer jungen internationalen Karriere über Fairplay Sympathien gewinnen.

    Falls sie jedoch auf dem "heiligen" Rasen der Madrider Monomentalarena im passenden Moment die Gunst der Stunde nutzen können, werden sie neben der Erinnerung auch die Punkte mit in die Heimat nehmen und damit nicht mehr allzu traurig werden können, wenn es dann im "Rückspiel" im Olympiastadion eine ordentliche Abreibung hagelt.

  4. 4.

    Wirklich schöner Text, aber Union im Jahre 2023 noch "Understatement und Bescheidenheit" beizulegen? Ich weiß ja nicht :D

  5. 3.

    Ein Championsleague-Start für die Geschichtsbücher, Union startet nicht gegen irgendwen, sondern gleich mal gegen den größten Fußballclub der Welt, mehr wow geht gar nicht! Und auch für Real wird es eine schöne Erfahrung werden, denn es rollt eine der feierträchtigsten Fußball-Partygesellschaften Deutschlands auf Spaniens Hauptstadt zu, ein spektakuläres Fußballfest steht ins Haus. Meine spanischen Kumpels (bis auf zwei Ausnahmen allesamt Madridtista) fiebern seit Wochen auf den morgigen Tag hin und freuen sich auf diese positiv verrückten Berliner, von denen sie schon viel gehört haben. Nie war das sportliche Ergebnis so nebensächlich wie morgen im zwar noch nicht ganz fertigen, aber dennoch schon im neuen Glanz erstrahlenden altehrwürdigen Estadio Santiago Bernabéu. Genießt es liebe Unioner, genießt es und habt unendlich viel Spaß in Spaniens stolzer Hauptstadt. Real Madrid Club de Fútbol vs. 1. FC Union Berlin e.V., das ist einfach nur wow!

  6. 2.

    Ich hoffe, dass es kein Debakel gibt.

  7. 1.

    Was für ein schöner Artikel. Eine Liebeserklärung an Real und den Fußball. Ein Club aus Köpenick der vieles richtig macht, zu Gast bei Real. Eigentlich unfassbar

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