Märchenhafte Begegnung - Autorin Tsitsi Dangarembga eröffnet LIT:potsdam

Mo 27.06.22 | 08:36 Uhr | Von Von Corinne Orlowski
Die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Tsitsi Dangarembga, simbabwische Autorin und Filmemacherin, kommt am 26.06.2022 beim 10. Literaturfestival LIT:potsdam zu einer Lesung. (Quelle: dpa/Jens Kalaene)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.06.2022 | Corinne Orlowski | Bild: dpa/Jens Kalaene

Die Autorin, Filmemacherin und Aktivistin Tsitsi Dangarembga erhielt im vergangenen Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Doch in ihrem Heimatland Simbabwe steht sie derzeit vor Gericht. Am Sonntag eröffnete sie das Literaturfestival LIT:potsdam. Von Corinne Orlowski

Die Autorin, Filmemacherin und Aktivistin Tsitsi Dangarembga ist wegen ihres sozialkritischen Werkes eine der wichtigsten Stimmen Afrikas. Im vergangenen Jahr erhielt sie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Doch in ihrem Heimatland Simbabwe steht sie derzeit vor Gericht. Angeklagt wegen angeblicher Aufwiegelung zur Gewalt. Am Montag, den 27. Juni, wird ein Urteil in Harare erwartet. Ein Tag zuvor war sie noch in Potsdam und eröffnete das Literaturfestival LIT:potsdam.

Bücher, die die Welt verändert haben

"Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb". So lautet der erste, zugegeben brutale Satz ihrer Romantrilogie. Sein Tod ist aber die einzige Chance für das Mädchen, den erträumten Schulplatz zu bekommen. Tsitsi Dangarembga hat mit "Aufbrechen" Afrikas ersten Frauenroman geschrieben, 1988. Er wurde von der BBC in die Liste der 100 Bücher aufgenommen, die die Welt verändert haben. Darin geht es um Tambudzai Sigauke, die sich in einem simbabwischen Dorf gegen soziale Zwänge und Diskriminierung auflehnt. Erst 30 Jahre später, 2018, führt sie die Geschichte um Tambu im letzten Teil "Überleben" zu Ende. Die Trilogie erscheint gerade auf Deutsch im Orlanda Verlag. Im Gespräch mit Thomas Böhm hat Dangarembga von ihrer Schreibmotivation erzählt.

"It was important for me to speak to young women and say, no matter what they are telling you, you do have feelings, you do have desires, they are legitimate and you can use them to motivate your life."

"Es war wichtig für mich, zu jungen Frauen zu sprechen und ihnen zu sagen, egal was sie dir erzählen, du hast Gefühle und Wünsche und die hast du zurecht."

Dangarembgas Werke erzählen von weiblicher Selbstbestimmung. In Potsdam unterstreicht sie zudem die besondere Kolonialgeschichte ihres Heimatlandes und erklärt mit Film- und Textausschnitten, warum ihre Geschichten oft so märchenhaft daherkommen. Ein Weg mittels Distanz und Magie, die Traumatisierungen der Menschen verständlich zu machen.
Für ihren Stil wurde sie bei der Verleihung des PEN Pinter Preises 2021 als "Stimme der Hoffnung, die wir alle hören müssen" und als eine der radikalsten Stimmen Afrikas gefeiert.

Eine der radikalsten Stimmen Afrikas

"The way I experienced life in Zimbabwe is radical. The things that I see effects me radically and that is what I trying to bring across in my writing. One of the things that affects me profoundly is that Zimbabweans love to say we are peaceful people. And I think to myself, how can a country, that was formed by 500 men coming up with weapons to basically take over, how can you be peaceful? This is not possible. We are not as peaceful as we say we are."

"Das Leben in Simbabwe ist radikal“, übersetzt Thomas Böhm. "Wie könnte es auch anders sein, wenn ein Land von 500 Männern mit Waffen besetzt wird?"

In diesem Jahr war Dangarembga in der internationalen Jury der Berlinale. Doch dass die 63-Jährige gerade in Deutschland sein kann, gleicht einem kleinen Wunder. Seit zwei Jahren läuft in ihrem Heimatland Simbabwe ein Prozess. Sie hatte auf einer Demonstration mit einem Schild Reformen und die Freilassung von Journalisten gefordert. Zwischenzeitlich wurden sie zwar auf Bewährung freigelassen, aber auch 26-mal vorgeladen. Das Leitungsduo der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, sehen das bevorstehende Gerichtsverfahren besorgt entgegen und fordern wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels oder der PEN Berlin ihren Freispruch. Es ist ein Prozess, über den sie nicht sprechen darf. Deswegen fiel wohl auch nicht ein Wort zu ihrer aktuellen Situation. Eher war der Abend eine Einführung in ihr umfangreiches Schaffen.

Eigentliche Inspiratorin für das diesjährige Festival-Motto

Thomas Böhm wollte Dangarembga unbedingt für seine erste Ausgabe als künstlerischer Leiter von LIT:Potsdam gewinnen. Denn sie ist die eigentliche Inspiratorin für das diesjährige Festival-Motto: "Was uns verbindet". Und was uns mit ihr verbindet, wurde eigentlich erst im Gespräch richtig deutlich. Simbabwe sei wie Deutschland ein Land mit Gewalterfahrung. Dangarembga berichtete, wie sie mit 11 Jahren zum ersten Mal auf das Buch von Anne Frank gestoßen ist. Ein Jahr darauf auf ein Buch mit dem man Deutsch lernt. "Then, by accident – I don’t even know how that book got into our house, because no one talk about it – I came across a book on 'How to learn German', so I started learning when I was 12, because I had nothing else to do. I think that nations, that actually have to deal with their own recuperation post violence, have something very special to offer the world. If you did a survey about these women that I am talking about, you would find that many of them probably would be married to German people."

"Ein Gedanke", so übersetzt Thomas Böhm, "den sie geäußert hat ist, dass Nationen, die extreme Gewalterfahrung gemacht haben, und da müssen wir uns auch dazu rechnen, dass Angehörige dieser Nationen auch eine Art Verständnis füreinander entwickeln können."

Kampf gegen Korruption und für die Wahrung der Menschenrechte

Auch Tsitsi Dangarembga hat einen deutschen Ehemann. Deutschland ist so etwas wie ihre zweite Heimat. Vermutlich kann sie deswegen den weißen Europäern und Deutschen auf so unnachahmliche wie kluge Weise vor Augen führen, woher die dysfunktionalen gesellschaftlichen Strukturen in ihrer Heimat kommen. Ihr Kampf gegen Korruption, für die Wahrung der Menschenrechte und für eine Kultur des Respekts geht weiter. Wie im Märchen hoffentlich mit positivem Ausgang.

"Wir haben uns sehr geehrt gefühlt", schließt Thomas Böhm den Eröffnungsabend der LIT:potsdam, "Sie zur Eröffnung des Festivals begrüßen zu dürfen, in einer Stadt zu deren Stolz es gehört, große Aufklärer begrüßt zu haben und heute Abend wurde diese Reihe würdig fortgesetzt – mit Tsitsi Dangarembga."

Sendung: rbb24 Inforadio | 27.06.2022 | 6:55 Uhr

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