"Otl Aicher. Olympia 72" im Bröhan-Museum - Ein Dackel zeigt Haltung

Fr 26.08.22 | 15:24 Uhr | Von Corinne Orlowski
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Otl Aicher, Richtlinien und Normen für die visuelle Gestaltung, Olympia-Waldi, Entwurf Otl Aicher, Elena Wischermann, Abteilung XI der XX. Olympiade München 1972 © Florian Aicher, Rotis / HfG-Archiv, Museum Ulm
Audio: rbb24 Inforadio | 25.08.2022 | Corinne Orlowski | Bild: © Florian Aicher, Rotis / HfG-Archiv, Museum Ulm

Vor 50 Jahren wurden die Olympischen Spiele in München eröffnet. Was heiter begann, endete mit einer Katastrophe. Aber mit ihrem Erscheinungsbild setzten die Spiele neue Maßstäbe. Verantwortlich dafür war der Gestalter Otl Aicher. Von Corinne Orlowski

Wer kennt sie nicht, die dynamischen Strichmännchen mit eigenartigen Eisstielbeinen und kreisrunden Köpfen? Sie sind nur ein Beispiel für die ikonische Gestaltung von Otl Aicher. Extra für die Olympischen Spiele 1972 entworfen, wurden beispielsweise seine Piktogramme wegweisend – und sie sind es bis heute. Im Bröhan-Museum ist nun ein breites Spektrum seines "Olympia72"-Designs zu sehen. Aber warum eigentlich in Berlin und nicht in München? "Ohne Berlin 1936 hätte es Olympia 1972 in München so nicht gegeben", sagt Kurator Tobias Hoffmann. "Deswegen macht's Sinn, das eben auch in Berlin zu machen". Und er hatte das Glück, einen begeisterten Sammler von Olympia ’72 in Berlin kennenzulernen. So mussten alle Exponate nur von Schöneberg nach Charlottenburg transportiert werden.

Otl Aicher, Elena Winschermann, Stofftier Olympia-Waldi, Olympische Spiele München, 1972 (Quelle: © Florian Aicher, Rotis / HfG-Archiv, Museum Ulm)
Stofftier Olympia-Waldi, Olympische Spiele München, 1972 | Bild: © Florian Aicher, Rotis / HfG-Archiv, Museum Ulm

Bunt, heiter, demokratisch

Zu sehen sind Plakate und Programmhefte, Souvenirs, sogar zwei originale Hostessen-Dirndl, Zigarettenboxen, Bierkrüge – alles sollte sich einem modernen, farbenfrohen Stil unterordnen. Ein komplettes Erscheinungsbild, das gab es zuvor nicht bei Olympischen Spielen. Aicher, der einstige Widerstandskämpfer und Schwager der Geschwister Scholl, hatte einen Plan: Deutschland sollte sich als moderne Demokratie präsentieren. Mit Worten könne man kein Vertrauen gewinnen, fand er, sondern mit Zeichen, die jeder versteht. Aicher wollte einen Beitrag leisten, dass so etwas wie der Nationalsozialismus nicht wieder passiert, unterstreicht Tobias Hoffmann. "Das hat den Aicher auch gereizt, die Olympischen Spiele so zu machen, wie er sie gemacht hat, nämlich wirklich als Gegenstück zu Olympia '36."

Otl Aicher, Plakat „Turnen“ Olympische Spiele München, 1972, Bröhan-Museum, Berlin © Florian Aicher, Rotis / HfG-Archiv, Museum Ulm
| Bild: © Florian Aicher, Rotis / HfG-Archiv, Museum Ulm

Schwarz-Rot-Gold war verboten

Aus gutem Grund verzichtet Aicher auf die Farbkombination Schwarz-Rot-Gold oder Rot-Weiß-Schwarz, die Farben der Hakenkreuzfahne. "Gestaltung ist Haltung" war sein Credo. Also wählt er ein helles, aber sattes Blau als Grundfarbe, für ihn die Friedensfarbe schlechthin. Zudem sollte es ein Leitsystem geben, das jeder versteht. Aicher versucht, für jede Sportart ein Zeichen zu finden, sogar für das Zeichen der Telefonzelle, für den Notausgang, die Toiletten. Insgesamt entwirft er 700 Piktogramme. Sie folgen einem ausgeklügelten System: dem Verwandtschaftsprinzip. Sie basieren auf einem klar definierten Gestaltungsraster und Reduktion. Dadurch könne der Betrachter ohne Umwege die Information erfassen. Und es ist das erste Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele, dass es ein Maskottchen gibt: Waldi, ein bunter Dackel. Kein Tier, das traditionell Macht und Stärke repräsentiert, aber schon ein stolzer Wadlbeißer.

Ausstellung

Heitere Spiele wurden zu tragischen Spielen

Die Heiterkeit fand ein jähes Ende nach dem Attentat auf die israelische Delegation. "Es gehörte zu Aichers Konzept, dass auch die Polizisten freundlich gekleidet waren“, berichtet Tobias Hoffmann. Deswegen sei aber auch das Sicherheitskonzept relativ lax gewesen. "Das ermöglichte letztendlich, dass die palästinensischen Terroristen dann ihren Anschlag begannen. Aber es zeigt natürlich auch diese Umbruchsituation der jungen Bundesrepublik bis zu diesem Zeitpunkt."

Die heiteren Spiele wurden zu tragischen Spielen und zum Politikum. Fest steht: Otl Aicher prägte mit seiner kulturübergreifenden Bildsprache das kollektive Gedächtnis einer Nation. Das zeigt die Ausstellung in vielen Details eindrücklich und informativ, vor allem aber wie Kunst, Sport und Grafikdesign erstmals miteinander kommerziell verschmolzen.

Otl Aicher prägte übrigens nicht nur das optische Erscheinungsbild der Olympischen Spiele, er entwarf auch die visuelle Identität vom ZDF, der Sparkasse oder der Lufthansa. Ja, dank ihm findet wohl auch heute noch jeder den Weg: ob zum Restaurant, Gebetsraum oder Sexshop, zum Fahrstuhl, Gepäckband oder Notaufnahme.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.08.2022, 15:55 Uhr

Beitrag von Corinne Orlowski

1 Kommentar

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  1. 1.

    Dieses eine "deswegen" stört mich, denn es klingt fast so als würde man dem Designer eine Mitverantwortung für den Anschlag zuschieben.

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