Ausstellung in Liebermann-Villa - Wie ein Liebermann-Bild zu NS-Raubkunst wurde

Sa 01.10.22 | 07:47 Uhr | Von Sigrid Hoff
Das Gemälde des Impressionisten Max Liebermann "Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals" (Quelle: Oliver Ziebe/Liebermann-Villa am Wannsee)
Audio: rbb24 Inforadio | 01.10.22 | Sigrid Hoff | Bild: Oliver Ziebe/Liebermann-Villa am Wannsee

Seit den 1990er Jahren trägt die Liebermann-Gesellschaft Werke des Malers zusammen. Welchen Weg die Bilder nach seinem Tod nahmen, ist oft unklar. Dass es zumindest einen Fall von NS-Raubkunst gibt, zeigt nun eine Ausstellung. Von Sigrid Hoff

Die Liebermann-Villa am Berliner Wannsee ist ein Publikumsmagnet: Seit 2006 lockt das idyllisch gelegene Kunstmuseum im einstigen Sommerhaus des Berliner Impressionisten Max Liebermann (1847-1935) viele Besucher an.

In den Ausstellungen spielt auch das Thema der NS-Verfolgung des jüdischen Künstlers und seiner Familie immer wieder eine Rolle. Dass sich in der Sammlung des Museums selbst NS-Raubkunst befinden könnte, schien undenkbar. Die Provenienzforschung, also die Erforschung der Herkunftsgeschichte der Kunstwerke aus der eigenen Sammlung, steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung unter dem Titel "Wenn Bilder sprechen".

Nach wie vor viele Fragen

150 Bilder, die der Max-Liebermann-Gesellschaft, dem Träger des Museums, gehören, hat die Provenienzforscherin Alice Calozza in zwei Jahren akribisch untersucht. 22 Beispiele und die verschlungenen Wege in die Sammlung werden jetzt in der Ausstellung gezeigt.

Bei einigen sind die Stationen ihrer unterschiedlichen Besitzer gut belegt, etwa bei dem großen Gemälde "Großmutter mit Enkelin", das nachweislich immer im Besitz der Verlegerfamilie Ullstein war, bis es ein Nachkomme im Jahr 2008 veräußerte und es in die Liebermann-Villa am Wannsee kam.

Bei vielen Bildern stellen sich jedoch nach wie vor viele Fragen, insbesondere was ihr Schicksal in der NS-Zeit betrifft, ob sie vormaligen jüdischen Eigentümern abgepresst oder geraubt wurden. Nur bei einem Gemälde konnte jetzt eindeutig nachgewiesen werden, dass es sich um einen Fall von NS-Raubkunst handelt. Es ist nicht sofort als ein typischer Liebermann zu erkennen: Das Ölbild zeigt einen bärtigen Mann im Seitenprofil mit Rüschenkragen, der Bildtitel lautet: "Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals".

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Jahrzehntelang verschollen

Die Geschichte dieses Bildes, das 2003 von der Liebermann-Gesellschaft erworben wurde, konnte die Forscherin zum Sprechen bringen: "Wir können anhand dieses Werkes die Familiengeschichte Max Liebermanns, das Schicksal seiner Sammlung, die Verfolgungsgeschichte seiner Ehefrau Martha und auch die Geschichte der Gesellschaft selbst, die 2003 das Werk angekauft hat, nachverfolgen", sagt die Provenienzforscherin und Kuratorin der Ausstellung.

Jahrzehntelang galt das Werk als verschollen, erst 2002 war es in einer Auktion der Villa Grisebach in Berlin aufgetaucht, wo es die Liebermann-Gesellschaft erwarb, obwohl Details über den Vorbesitzer im Dunkeln blieben. Fünf Stationen gleich zum Auftakt der Ausstellung befassen sich nun damit.

Gemälde zurückerstattet

1896 hatte Max Liebermann diese Kopie gemalt und konnte sich zeitlebens nicht davon trennen, wie ein Foto des Künstlers in seinem Atelier am Pariser Platz von 1921 beweist. Der Nachlassstempel auf der Rückseite zeigt, dass es nach dem Tod des Künstlers 1935 an seine Witwe Martha Liebermann überging. Belegt ist auch, dass sie es nachträglich mit einer Signatur versehen ließ. Doch dann verliert sich die Spur.

Als Martha Liebermann 1943 die Deportation droht, nimmt sie sich das Leben. "Wir wissen, dass sie aufgrund der Verfolgungen während der NS-Zeit gezwungen war, um selbst zu überleben, Werke zu veräußern", sagte Alice Cazzola. "Es kann sein, dass sie dieses Werk verkaufte oder weitergab oder dass es entwendet wurde nach ihrem Tod."

Damit ist die Rechtslage des "verfolgungsbedingten Entzugs" klar. Erst jetzt, mithilfe von Fördermitteln, konnte die Geschichte geklärt werden. Das Werk wurde der Familie, den USA lebenden Urenkelinnen von Max und Martha Liebermann, zurückerstattet. Johannes Nathan, Vorsitzender der Liebermann-Gesellschaft und selbst im Kunsthandel tätig, setzte sich für eine gütliche Einigung ein. Er ist dankbar über das Ergebnis: "Die Urenkelinnen von Max Liebermann haben überaus großzügig entschieden, dass die Max-Liebermann-Gesellschaft keine Entschädigung mehr zu zahlen habe und das Werk behalten dürfe." Seine Provenienzgeschichte allerdings, so die Erbinnen, sollte immer deutlich gemacht und die Spenderinnen genannt werden.

Einiges bleibt rätselhaft

Das Gemälde offenbart die Komplexität von Provenienzgeschichte, die sich auch in anderen Bildern in der Ausstellung spiegeln. Die Schau ist thematisch gegliedert, sie zeigt private Familienporträts, Arbeiten befreundeter Künstler, die den Maler ehren, und erzählt von Kunsthändlern, mit denen Max Liebermann in Verbindung stand. Im letzten Raum unter dem Titel "Provenienzlücken" sind Ansichten von Liebermanns Lieblingsmotiv der letzten Lebensjahre zu sehen: seine Villa am Wannsee und der Garten.

Ein Pastell mit Segelbooten auf dem Wasser gehört zu den Bildern, die nach wie vor Rätsel aufgeben: "Auf der Rückseite ist das Bild stumm, wir wissen nichts, es erzählt uns gar nichts", bedauert Provenienzforscherin Alice Cazzola. Es tauchte erst 1990 im Kunsthandel auf, Erwähnungen in Auktionslisten oder Ausstellungskatalogen fehlen, auch in der Literatur zu Max Liebermanns Werken findet sich kein Hinweis auf mögliche Vorbesitzer in der NS-Zeit.

Nach zwei Jahren Arbeit resümiert die Ausstellung einen Zwischenstand. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass vielleicht durch die Offenlegung der Fragen Menschen darauf aufmerksam, die neue Teile zu dem großen Puzzle der Provenienzforschung hinzufügen können. Es ist der Krimi hinter den Bildern, der hier erzählt wird.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.09.2022, 16:55 Uhr

Beitrag von Sigrid Hoff

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