Konzertkritik | Placebo in Berlin - Kühle Show statt großer Emotionen

Fr 07.10.22 | 10:50 Uhr | Von Jakob Bauer
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Frontmann Brian Molko bei einem Konzert.(Quelle:dpa/D.Karmann)
Bild: dpa/D.Karmann

Nach mehrjähriger Studiopause haben Placebo ein neues Album herausgebracht. Am Donnerstagabend stellte die Band es in Berlin vor. Jakob Bauer erlebte eine souveräne Show - jedoch ohne Funkeln.

Also irgendetwas machen Placebo auf jeden Fall ziemlich richtig. Ihr Sound ist eigentlich out, er klingt immer noch wie zur Hochzeit der Band Anfang der 2000er, als Indie-Rock das große Ding war und Placebo sich in die Herzen von Millionen Teenagern und jungen Erwachsenen spielten. Heute klingt Jugendkultur ganz anders, aber trotzdem hat es das aktuelle Album der Band "Never Let Me Go" auf Platz 1 der Charts geschafft. Und die Berliner Mercedes-Benz-Arena, in der die Band an diesem Donnerstagabend spielt, ist proppenvoll.

Nicht euphorisch, eher freundschaftlich

Nostalgie ist sicher ein Grund: Das Publikum in Berlin ist zwischen 30 und 50 Jahre alt, es hat also in Teilen seine Jugend mit Sänger und Gitarrist Brian Molko und seinen traurigen Hymnen verbracht. Und so etwas prägt eben. Dementsprechend ist die Stimmung auch nicht hibbelig-euphorisch, sondern eher freundschaftlich angeregt. Der Applaus ist natürlich trotzdem riesig, als Brian Molko und sein Mitstreiter Stefan Olsdal auf die Bühne kommen.

Mitte der 1990er Jahre hatten sich Placebo in Großbritannien gegründet. In den 2000ern wurde die Band um Sänger Brian Molko zu einem der größten Alternative-Rock-Phänomene ihrer Zeit.
Molko und Olsdal sind die einzigen dauerhaften Mitglieder der Band und bilden das Herz von Placebo. Begleitet werden sie von drei Mitmusikern und einer Musikerin - sechs Leute sind es also insgesamt auf der Bühne, die mit großer Perfektion diesen unnachahmlichen "Placebo"-Sound zimmern.

Der besteht aus viel übereinandergelegten Gitarrenschichten, hochtönig, stark verzerrt und leicht künstlich, dazu immer wieder eingängige Keyboard-Linien, unterlegt mit einem hämmernden 4/4-Beat, alles mit einem mächtigen Druck aus den Boxentürmen geschossen. Darüber legt Brian Molko dann seine unverwechselbare hohe, näselnde Stimme und die melancholischen, tränenvollen Texte. Emotional angefassten Stadionrock mit Kante könnte man das vielleicht nennen.

Die Hymnen zünden nicht

Einer Hymne folgt die andere. Die eine Hälfte besteht aus neuen Songs, die andere aus älteren Hits. Dass Placebo ihr Set hier so durchhämmern, funktioniert am Anfang auch ganz gut: Es gibt kaum Pausen, keine Ansagen, das entwickelt guten Drive und etwas Rauschhaftes. Auf die Dauer allerdings fällt dann doch auf, dass dieser sehr eigene Sound und die Kompositionen der Band über die Jahre keine große Transformation durchgemacht haben.

Und auch live gibt es keine Experimente: Zwar wird für zwei Songs mal ein Flügel aufs Parkett gestellt, am Gesamtklang ändert das aber wenig. Nichts sticht wirklich heraus, worunter der Spannungsbogen des Abends leidet. Das Publikum ist zwar aufmerksam dabei, hier wird mal eine Faust gehoben, da ein bisschen getanzt, aber eine richtige Verbindung zwischen Band und Fans, ein unvergesslicher Live-Moment, lässt sich kaum erfühlen.

Viel Abgeklärtheit, wenig Funkeln

Das liegt auch an der Performance von Placebo: Brian Molko, schmächtig, lange schwarze Haare, geöffnetes Hemd und Röhrenjeans, sucht eher den Kontakt zu seiner Musik als zum Publikum. Stefan Olsdal hingegen trägt Unterhemd und ist auch sonst zuständig für die eher mittel-authentischen Rockerposen.

Alles nicht schlimm und doch ein bisschen schade, denn Placebo haben ihre Verdienste um die Rockmusik und auch immer noch ordentlich Druck auf dem Kessel. Aber das düstere Funkeln der Band und die großen Emotionen, die in der Musik eigentlich angelegt sind, gehen in der Abgeklärtheit dieser Show verloren.

Sendung: Inforadio rbb24, 7.10.2022, 5 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

7 Kommentare

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  1. 7.

    Der Autor geht mit keiner Silbe darauf ein, dass Placebo fast ausschließlich Songs des neuesten Albums spielte. Erst nach ca. 1 Stunde dann Älteres, nämlich "Song to say goodbye". Der Sound war zum Teil gruselig, total überteuert, dazu kein Kontakt zum Publikum. Das schlechteste Konzert, das ich je erlebt habe.

  2. 6.

    Ich hab Placebo schon öfter gesehen. Ich erinnere.mich noch an das Konzert 2006 in Hamburg. Wo ich die Kritik heute wie damals anwenden würde. Keine Interaktion mit dem Publikum, nach knapp über ne Std Durchspielzeit von der Bühne, keine Dynamik...Möglicherweise lag das an der Endstimmung des Trios mit Hewitt, der dann ja auch nach vielen Jahren mit Placebo den Rücktritt angetreten ist. Dann gab's noch Mal richtig Aufschwung mit Drummer Foster...wo man auch gemerkt hat die haben wieder Bock alles zu geben....ja und jetzt ist wieder so ne seltsame Stimmung .....

  3. 5.

    Der Sound liegt schon an den Bands. Ich habe schon einige dort erlebt und der Sound ist von grandios bis geht so.
    Rock/Alternativ Bands können auch in der Arena gut abliefern.

  4. 4.

    Besser hätte man es nicht ausdrücken können, und ja sicherlich falsche location ;)

  5. 3.

    Die Kritik trifft es einfach auf den Punkt!

  6. 2.

    Still very much in love with Brian Molko. <3

  7. 1.

    Liegt wohl eher an dieser Bonzenauto-Arena als an den Musikern, wenn keine Stimmung aufkommt - das ist einfach eine Location für Sportveranstaltungen und nicht für Rockkonzerte. Der Veranstaltungsort war auch der Grund weshalb ich nicht zum Konzert ging. Seltsam, dass der Autor nicht in einem Wort darauf hinweist.

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