Premierenkritik | Dominique Horwitz im Schlosspark-Theater - Bewundernswerte Leidensfähigkeit

Mi 19.10.22 | 09:08 Uhr | Von Hans Ackermann
Dominique Horwitz als Serge Gainsbourg.(Quelle:Philip Kern)
Bild: Philip Kern

Unter der Überschrift "Je t’aime - das spektakuläre Leben des Serge Gainsbourg" erzählt der Schauspieler Dominique Horwitz im Berliner Schlosspark-Theater die Lebensgeschichte des 1991 gestorbenen Chansonniers. Von Hans Ackermann

Mit Liedern und Texten lässt Dominique Horwitz im Berliner Schlosspark-Theater in "Je t’aime - das spektakuläre Leben des Serge Gainsbourg" eine der zentralen Figuren der französischen Popkultur der Nachkriegsjahre authentisch wiederauferstehen. Das Stück von Berthold Warnecke und Dominique Horwitz ist eine musikalische Gainsbourg-Biografie, die vom 1991 gestorbenen Sänger und Komponisten handelt, der im Grunde mit einem einzigen Song weltberühmt geworden ist: "Je t’aime…moi non plus".

Betrunken auf der Bühne

Wie ein Leitmotiv taucht das Lied in verschiedenen Varianten an diesem Abend immer wieder auf, gleich zu Beginn in einer Jazzrock-Ouvertüre ohne Gesang. Mit Whiskyglas und brennender Zigarette in der Hand torkelt Dominique Horwitz dazu auf die Bühne - ganz so, wie es bei den Konzerten von Serge Gainsbourg in seinen letzten Jahren gewesen sein soll. Hier im Theater ist im Glas sicher nur Wasser oder Apfelsaft, die Trunkenheit wird - wie alles andere auch - von Horwitz nur meisterhaft gespielt. Die Zigarette in der Hand aber ist echt. Und wenn so ein Glimmstängel abgebrannt ist, muss sich der bedauernswerte Schauspieler sofort den nächsten anstecken. Am Ende wird die blaue Schachtel leer sein, die Stimme des Sängers dadurch rauchig und rauh.

Pornografisch in die Hitlisten

"Je t’aime…moi non plus" - das berühmte Lied, das Horwitz in der zweiten Hälfte dann nur mit Gitarrenbegleitung in einer anrührenden Version singt, stand im Herbst 1969 in den meisten europäischen Hitlisten auf Platz 1. Der Song landete damals bei manchen Radiostationen aber auch auf dem Index - weil dort unmißverständlich lustvoll gestöhnt wurde. Ein musikalischer Softporno, den Gainsbourg mit seiner Partnerin Jane Birkin aufgenommen hatte. Einer der vielen Skandalen, die einer der kreativsten, aber - das lehrt der Abend - im Innersten auch unglücklichsten französischen Künstler der Nachkriegszeit ausgelöst hat.

Der hässliche Wurm

"Gainsbourg, der häßliche Wurm, den die Mutter abtreiben wollte", stellt Gainsbourgs Alter Ego "Gainsbarre" dazu in einem der ebenso poetisch wie packend formulierten Zwischentexte fest. "Eine Missgeburt, aus der überraschenderweise ein Schmetterling wurde. Ein Maler, Musiker, Enfant terrible, zartbitterer Poet, Ästhet und Pornograf - Dr. Jekyll und Mr. Hyde". Natürlich singt Horwitz im Anschluss den dazugehörigen Song, mit dem Gainsbourg nicht nur die beiden Figuren aus dem berühmten Horrorfilm meinte, sondern seine gespaltene, zwischen Selbstüberschätzung und Selbstverachtung pendelnde Persönlichkeit beschrieben hat.

Reggae-Marseillaise

Mit von ganz unterschiedlichen Stilen beeinflussten Chansons - von denen der Abend eine abwechslungsreiche Auswahl bietet - hat Serge Gainsbourg die französische Popkultur buchstäblich "gerockt", aber auch in der politischen Landschaft für Diskussionen gesorgt: "Nicht Bob Marley brachte den Reggae nach Frankreich, sondern ich", erzählt Gainsbourg/Horwitz dem Publikum. Gemeint ist seine Reggae-Version der Marseillaise, der französischen Nationalhymne, die nationalistische Kreise 1979 so nicht hören wollten. "Dafür gab es Bombendrohungen durch Fallschirmjäger und Rechtsradikale", erzählt der Sänger, bevor er mit Genuss das berühmte Lied in der fröhlich-karibischen Fassung vorträgt.

Exzellente Band

Bei dieser beschwingten Musik kann man wieder die vorzügliche Band um den Keyboarder Kai Weiner erleben, mit Peter Engelhardt an der Gitarre, dem Schlagzeuger Volker Reichling und Johannes Huth am Bass. Alle vier zeigen auch beim Reggae ihre verblüffende Stilsicherheit, fröhlich tuckert dann die Hammondorgel - die man auch beim Original von "Je t’aime… moi non plus" zusammen mit Gesang und lustvollem Stöhnen aus den 1970er Jahren in Erinnerung haben kann. Dominique Horwitz, 1957 in Paris geboren, wird den Song sicher auch schon als Jugendlicher gekannt haben und kommt damit jetzt als "Gainsbourg" auf die Bühne - wo er mit grandiosem Spiel, authentischem Gesang und einer bewundernswerten Leidensfähigkeit seinen Landsmann für zwei abwechslungsreiche Stunden wiederauferstehen lässt.

Mit "Je t’aime - das spektakuläre Leben des Serge Gainsbourg" ist Dominique Horwitz mit seiner Band noch bis zum 23. Oktober 2022 zu Gast im Schlosspark-Theater.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.10.2022, 7:00 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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