Konzertkritik | Matthias Pintscher und das Boulanger Trio - "Hören Sie einfach sich selbst zu, wenn Sie meine Musik hören"

Di 20.12.22 | 10:56 Uhr | Von Hans Ackermann
Matthias Pintscher und das Boulanger Trio waren zu Gast in der Villa Elisabeth (Quelle: rbb/Hans Ackermann)
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Audio: Inforadio | 20.12.2022 | Hans Ackermann | Bild: rbb/Hans Ackermann Download (mp3, 4 MB)

Ein moderner Romantiker war Montagabend zu Gast in der Berliner Villa Elisabeth: der Komponist Matthias Pintscher. Eingeladen zu einem Gesprächskonzert haben ihn die virtuosen Musikerinnen des Boulanger Trios. Hans Ackermann war dabei.

Mit dem Werk "La linea evocativa" für Solovioline beginnt das Gesprächskonzert in der Berliner Villa Elisabeth am Montagabend. Die vorzügliche Geigerin des Boulanger Trios, Birgit Erz, erreicht mit ihrem Instrument nach gut fünfzehn Minuten allerhöchste Lagen. Im äußersten Pianissimo verklingen die letzten Töne des 2020 komponierten Stückes von Matthias Pintscher - hoch oben in den Wolken.

Im anschließenden Publikumsgespräch sitzt der Komponist im Halbkreis mit den drei Musikerinnen: neben der Geigerin die Pianistin Karla Haltenwanger und die Cellistin Ilona Kindt, die sich 2006 zum Boulanger Trio zusammengetan haben. Pintscher erzählt den Musikerinnen und dem Publikum, wie der Titel seines "La linea evocativa" gemeint ist: "Einfach den Buntstift aufsetzen und ihn über die große Leinwand ziehen - um auf diese Weise zu singen, zu sprechen, zu atmen, zu zeichnen, zu musizieren".

Professor an der New Yorker Juilliard School

"La linea evocativa", sagt Matthias Pintscher, sei ein "Covid-Stück": komponiert in eineinhalb Tagen, mitten im Lockdown 2020, mit dem Blick des Komponisten aus dem Fenster seiner New Yorker Wohnung auf ein überfülltes Lazarettschiff im Hafen.

Stundenlang könnte man dem Professor für Komposition an der Münchner Musikhochschule und an der New Yorker Juilliard School zuhören, möchte noch mehr wissen über den international anerkannten Dirigenten und erfolgreichen Musikdirektor, der 1971 im westfälischen Marl geboren wurde, nun überwiegend in New York lebt. Tatsächlich dauert das Publikumsgespräch aber nur 15 durch und durch spannende Minuten.

Pintscher, ein moderner Romantiker

Dem Gespräch vorangestellt hatte das Boulanger Trio neben dem Solostück für Violine von Matthias Pintscher noch Musik von Robert Schumann. Dessen Klaviertrio Nr. 1 in d-Moll op. 63 hatte sich Matthias Pintscher für diesen Abend vom Ensemble gewünscht. Denn mit Musik zum Publikum sprechen - im wortwörtlichen Sinn - dieses zentrale Anliegen von Robert Schumann verfolgt auch Matthias Pintscher in seinen sprechenden, oft auch malerischen Werken.

Was da genau erzählt oder gemalt wird, dazu möchte der sympathisch-eloquente Komponist dem Publikum und auch den Musikerinnen allerdings keine Interpretationen vorschreiben - ganz im Gegenteil, wie er den Zuhörerinnen und Zuhörern im Saal der Villa Elisabeth erzählt. Wenn er gefragt werde: "Worauf sollen wir denn achten, wenn wir Ihr Stück hören?", antwortet er: "Auf gar nichts! Sie achten auf sich selber, Sie hören einfach sich selbst zu, wenn Sie Musik hören."

Buchstäblich leichtfüßige Musik

Aktives Zuhören fordert Pintscher: eine Haltung, die man am Ende des Abends, beim Hören seines noch einmal exzellent gespielten Trios "Svelto - für Violine, Violoncello und Klavier" von 2006 mit Erfolg ausprobieren kann. Buchstäblich leichtfüßige Musik, mit der Matthias Pintscher die großen Romantiker Felix Mendelssohn und Robert Schumann avantgardistisch anverwandelt.

Mit Matthias Pintscher als Gast hat das Boulanger Trio das zehnte Jubiläum seiner Reihe von Gesprächskonzerten gefeiert, die als Hommage an die französische Komponistin Nadia Boulanger (1887-1979) und deren legendären Pariser Salon im Jahr 2012 begonnen hat.

Eine neue Ausgabe des modernen Salons gibt es am 9. Februar: ein Gesprächskonzert in der Berliner Villa Elisabeth mit dem zeitgenössischen österreichischen Komponisten Thomas Larcher.

Sendung: rbb Kultur, 20.12.2022, 09:45 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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