Kritik | Kabarettistischer Jahresrückblick - Was für ein Jahr!
Dieses Jahr neigt sich dem Ende zu und traditionell blickt das Berliner Mehringhof-Theater kabarettistisch darauf zurück. Die Frage, die sich dabei stellt: Was gab es denn bitteschön zu lachen in diesem Jahr? Von Magdalena Bienert
Dieses Jahr begann schon im Februar mit schrecklichen Nachrichten. Kann ein Jahresrückblick dennoch lustig werden? Ja – aber nicht sofort. Durch das Auftaktlied von Liedermacher Manfred Maurenbrecher über den Ukraine-Krieg müssen wir erstmal durch.
Direkt ein Downer, gute Laune macht das natürlich nicht, aber es ist völlig ok. Der rosafarbene Elefant im Raum muss direkt benannt werden, denn der Krieg ist nun mal das alles beherrschende Thema dieses Jahres. So wie auch die Geschehnisse im Iran zwischendrin nach ernsten Tönen verlangen, ganz ohne Klamauk. Maurenbrecher findet am Klavier (übrigens auch Premiere für den nagelneuen Flügel auf der Bühne) wortwörtlich den richtigen Ton.
Das Jahresrückblicks-Quintett läuft sich schnell warm
Doch schnell kommt der Jahresrückblick im Kreuzberger Hinterhof auf Betriebstemperatur. Bov Bjerg rechnet mit den "Intellektuellen" ab, die sich in offenen Briefen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hatten. "Wo bitte ist Richard David Precht im ersten offenen Brief?"
Zur Höchstform läuft auch Hannes Heesch auf, der Gerhard Schröder, Robert Habeck und auch Christian Lindner gekonnt parodiert. Schröders Putin-Freundschaft oder Lindners Hochzeit auf Sylt, Heesch bringt das Publikum gekonnt zum Lachen.
Im Jahresrückblicks-Quintett darf auch Christoph Jungmann nicht fehlen, der sonst als Angela Merkel durch den Abend geführt hat. Da Merkel nun im Ruhestand ist, darf quasi Franziska Giffey die erste Hälfte des Abends moderieren. Dann muss sie leider "weiter zur Weihnachtsfeier der SPD Rudow". Jungmann aka Berlins Regierende Bürgermeisterin im blauen Kostüm und mit perfekter blonder Giffeyscher Hochsteckfrisur gerät direkt mit Horst Evers in einen Schlagabtausch. Horst Evers in seiner ihm ganz eigenen und urkomischen Art, erzählt Alltagsgeschichten, die er ins Absurde treibt.
Endlich mal was zu Lachen in 2022
Nach der Pause darf ein völlig übermotovierter Robert Habeck den 2. Teil des Jahresrückblicks moderieren und bringt als erste Innovation eine Stehlampe mit: "für mehr Behaglichkeit", auch wenn die natürlich negativ für die Ökobilanz des Theaters sei. Daher gibt es erstmal keinen Strom für die Lampe. Frühestens 2026.
Der königliche "Haushalts-Auflöser" kommt auch noch vorbei und überreicht dem Mehringhof-Theater etwas aus dem Nachlass der Queen – eine echte Rarität: eine alte Löschdecke. Auch der Gastauftritt von Angela Merkel, die am Ende noch aus ihren Memoiren lesen darf, versetzt das rappelvolle Theater in gute Laune.
2,5 Stunden für 365 Tage
Es herrscht eine familiäre Stimmung, die erste Reihe hat die Füße auf der Bühne abgelegt, um auf das an Ereignissen nicht arme Jahr zurückzulachen. Als da wären: die politische Auferstehung des Friedrich Merz, die Winnetou-Debatte, der Tod der Queen und der von Christian Ströbele, das Neun-Euro-Ticket, der Fachkräftemangel und natürlich die Wiederholung der Berlin-Wahl.
Auch ein herrlich unsinniger Zoom-Call zwischen Giffey und Elon Musk, der am Ende das Berliner Stadtschloss kaufen möchte, um dort seine Tesla- Zentrale einzurichten, zeigt, mit was für Persönlichkeiten wir es in diesem Jahr zu tun hatten.
Die fünf auf der Bühne machen das in ihrer Unperfektheit sehr charmant und höchst unterhaltsam. Nach zweieinhalb Stunden freut man sich, an diesem Abend weder die "Tagessschau" noch Fußball geguckt zu haben, sondern gemeinsam über die Irrungen und Wirrungen von 2022 nachgedacht, wenn nicht sogar öfter herzhaft gelacht zu haben.
Sendung: Inforadio, 15.12.2022, 07:50 Uhr