Kritik | Katharina Thalbach am Berliner Ensemble - "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" - ein 90 Jahre alter Roman, aber hochaktuell

Sa 07.01.23 | 12:24 Uhr
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Probe: Katharina Thalbach liest Käsebier (Bild: Moritz Haase)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.01.2023 | O. Kranz | Bild: Moritz Haase

Katharina Thalbach hat schon mit acht auf der Bühne des Berliner Ensembles gestanden. In den letzten Jahren war sie in der Komödie am Kurfürstendamm zu Hause. Da passt es doppelt, wenn sie jetzt am BE die Lesung "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" präsentiert. Von Oliver Kranz

Der Abend ist keine simple Wasserglaslesung. Mal sitzt Katharina Thalbach an einem Tisch, mal läuft sie mit dem Textbuch in der Hand zwischen Zeitungsstapeln und altertümlichen Büromöbeln hin und her.

Die Geschichte beginnt 1929 in der Redaktion der Berliner Rundschau. Der Setzer schimpft, weil die Texte, die zum Druck vorbereitet werden, zu lang sind. Katharina Thalbach nölt mit ihrer Reibeisenstimme: "Straßenbahn gegen Lastauto. Wohin damit? Eins so wichtig wie das andere. Neuwahlen können keineswegs wegbleiben, also 30 Zeilen am 'Großfeuer' streichen! Feuilleton zu lang!"

Im hektischen Redaktionsalltag wird aber auch über Liebesaffären gesprochen, über die Regierung gelästert und über den mangelnden Ehrgeiz der jungen Generation geklagt. In einem fast schon atemlosen Tempo tauchen neue Figuren auf, nebenbei wird vom Großstadtleben erzählt. Berlin erscheint als pulsierende Metropole. Liebes- und Geschäftsbeziehungen werden rasend schnell geknüpft und wieder aufgegeben.

Thalbach: "Teilweise habe ich wirklich das Gefühl, sie spricht über heute"

Die Autorin Gabriele Tergit war als Gerichtsreporterin bekannt, bevor sie mit ihrem "Käsebier"-Roman berühmt wurde. Die Titelfigur ist ein Volkssänger, der von der Presse zum Star hochgeschrieben wird. Auf einmal gibt es Käsebier-Schallplatten, Käsebier-Filme und sogar Käsebier-Gummipuppen. Am Kurfürstendamm wird ein Käsebier-Theater gebaut.

"Teilweise habe ich wirklich das Gefühl, sie spricht über heute", berichtet Katharina Thalbach vor der Premiere in einem Interview, "angesichts der Tatsache, dass ich dieses große Loch mitten am Kudamm sehe, wo man schändlicher Weise zwei großartige Theater abgerissen hat" - Katharina Thalbach meint die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm, die einer Shopping Mall weichen mussten, die seit Jahren nicht fertig wird. – "Es geht um kaufen, kaufen, kaufen und ganz am Schluss eventuell um ein kleines Theater."

Weit mehr als eine Lesung

In Gabriele Tergits Roman ist das Käsebier-Theater das Aushängeschild für ein Bauprojekt, bei dem in erster Linie Luxuswohnungen entstehen. Doch dann ändern sich die Zeiten. Große Wohnungen sind nicht mehr angesagt, das Immobilienprojekt scheitert, Käsebiers Karriere löst sich in Luft auf.

Die Lesung präsentiert nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Roman, aber erzählt erstaunlich viele Geschichten. Wir begegnen Journalisten, Künstlern, Bankiers, jungen selbstbewussten Frauen und reichen Witwen – die einen schwimmen immer oben, die anderen werden in die Tiefe gerissen. "Jeder hofft und sucht", sagt Katharina Thalbach, "und jeder packt zu - mit Gier nach Zärtlichkeit, mit Gier nach Geld, mit Gier nach Ruhm. Alle sind ständig unterwegs – eine Krankheit, die wahrscheinlich immer noch herrscht."

Und so erscheint der mehr als 90 Jahre alte Roman hochaktuell. Geschäftsdenken, Gier, Freiheitsdrang, Egoismus – all das wird von Katharina Thalbach ausgemalt – nicht nur sprachlich, sondern auch mimisch und gestisch. Der Abend, den der BE-Intendant Oliver Reese inszeniert hat, ist weit mehr als eine Lesung. Er ist Erzähltheater, eine großartige Show, ein Triumph für Katharina Thalbach und den Roman von Gabriele Tergit, der als Berlin-Buch und Zeitdokument ähnlich spannend ist, wie Kästners "Fabian" oder Döblins "Berlin-Alexanderplatz".

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.01.2023, 8.10 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Leider sind die zwei noch offenen Termine schon ausverkauft. Ich seh und höre Katharina Thalbach immer wieder gern. Gerade heute lief im RBB der Märchenfilm "Das blaue Licht", in dem sie eine zickige Prinzessin spielte. Anfang 20 war sie da und auch damals schon großartig.

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