Show-Kritik | The Tiger Lillies in Berlin - Böse Clowns mit dem Herzen am rechten Fleck
Die Londoner Band The Tiger Lillies präsentiert ihre neue Show "The Last Days of Mankind" im Berliner Tipi am Kanzleramt. Sie basiert auf einer Antikriegssatire von Karl Krauss. Eine schaurig-schräge Deutschland-Premiere. Von Corinne Orlowski
Boah, sehen die gruselig aus: die Gesichter weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet, der Mund überzeichnet. Und können die böse gucken, wenn sie ihre Augenbrauen hochziehen! Aber was für ein engelsgleicher Falsettgesang - diese Stimme verfolgt einen bis in die Träume. Was für ein Erlebnis!
Und was ist mit den Instrumenten passiert? Der Kontrabass, die Ukulele haben keinen Klangkörper, nur Saiten. Durch das Schlagzeug kann man durchschauen, so klein sind die Becken. Dazu ein Mini-Akkordeon, Klavier, Maultrommel und Singende Säge – so schräg wie die aussehen, machen sie auch Musik.
Keine Show, eher ein Konzert
Die Tiger Lillies rund um Frontmann Martyn Jacques besingen in Berliner Tipi am Kanzleramt die dunklen Seiten des Lebens. Das ist eine Mischung aus Klaus Nomi, Brechtscher "Dreigroschenoper" und Balkan-Musik. Seit 34 Jahren steht das Londoner Trio auf der Bühne und hat eine eingefleischte Fangemeinde, ist preisgekrönt, sogar mit einem Grammy.
Aber das Tipi kriegen sie zur Premiere ihres neuen Programms nicht voll. "The Last Days of Mankind" basiert auf dem Klassiker "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Krauss. Eine epische Antikriegssatire aus dem Ersten Weltkrieg, in dem Krauss wörtlich aus Dokumenten, Gesprächen oder Zeitungsartikeln zitiert, um die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges zu zeigen.
Die Aufführung des Stücks dauert eigentlich 24 Stunden. Aus den 220 lose zusammenhängenden Szenen haben die Tiger Lillies 22 Songs gemacht. Nur leider wirken die performt an diesem Abend etwas zu zusammenhangslos. Es gibt keine zündende inszenatorische Idee. Der Abend ist keine Show, eher ein Konzert. Aber das hat es in sich.
Traurige Clowns
Den satirischen Charakter der Tragödie führen die Tiger Lillies weiter. Auf den grell-sarkastischen Text legen sie melancholische Melodien oder ganz anders: auf das Sterben fröhliche Töne. Mit dieser Ambivalenz führen sie die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen.
Die Schauerromantiker schreiben, dass die in ihrem Werk behandelten Themen angesichts des Krieges gegen die Ukraine aktueller denn je sind. "Wir haben viel Zeit in der Ukraine verbracht und sind sehr bestürzt über das, was dort passiert", sagt Jacques in einem Presse-Statement.
Aber an diesem Abend kein Wort ins Publikum. Sie spielen ihr Programm ein wenig runter – nach 40 Minuten schon die erste Pause. Und am Ende sehen die drei fantastischen Musiker gar nicht mehr so böse aus, eher wie traurige Clowns. Zum Glück hauen die drei Zugaben dann noch alle von ihren Stühlen.
The Tiger Lillies sind noch bis Samstag, den 21. Januar, im Tipi am Kanzleramt zu erleben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.01.2023, 07:55