Show-Kritik | Désirèe Nick im Tipi am Kanzleramt - Obszön! Na, und ob dit schön is!
Die Entertainerin Désirée Nick ist seit 40 Jahren im Showgeschäft und nimmt kein Blatt vor den Mund. Für ihren Humor wurde sie schon des Öfteren verklagt. Daraus hat die Berlinerin jetzt ein Showprogramm gemacht. Von Corinne Orlowski
Von so viel Glitzer auf der Bühne wird man regelrecht geblendet. Kneift man die Augen zusammen, sieht man einen pinken Thron und einen schwarzen Flügel. Es huscht ein Mann in Plateau-High-Heels durchs Publikum. Der Pianist Jack Woodhead ist zu spät. Klar, dass Désirée Nick erstmal das tut, was sie am besten kann: beleidigen.
Und dann der Auftritt - umwerfend: knielanges Glitzerkleid mit hohem Schlitz, darunter Glitzerbody mit Glitzer-High-Heels und Glitzer im platinblonden Haar. In den Händen zwei melonengroße Diskokugeln, die … glitzern. Spot an, giftgrüne Federboa geschnappt, Champagnerflasche geöffnet und weiter geht es lasziv-tänzelnd mit den Beleidigungen.
"Deutschlands spitzeste Zunge" wurde früher gerne mal verklagt. Zum Beispiel von Anouschka Renzi. "Darüber darf ich nicht sprechen!", feixt Nick. "Wenn ich das alles sage, komme ich in den Knast. Aber du darfst es sagen." Sie zeigt auf ihren Pianisten Woodhead. "Und sag es auf Englisch, damit die ganze Welt davon erfährt." Das tut er dann auch. Quietsch!
Das It-Girl der Geriatrie
Désirée Nick nimmt sich mit "The Forbidden Material" selbst auf die Schippe und packt aus. Laut, vulgär und obszön. Die queere Community liebt sie. Dabei macht sie Witze über Ehekrisen heterosexueller Frauen und ihrer Problemzonen.
Könnte man fast schon feministisch nennen, wie schamlos sie über Schamhaare spricht. Diese Frau vereint die Widersprüche wie kaum eine Zweite. Das selbsternannte "It-Girl der Geriatrie" ist gelernte Religionslehrerin und Reality-Star, Bestsellerautorin und Trash-Ikone, klassisch ausgebildete Ballerina und RTL-Dschungelkönigin.
Zu jung für Bingo, zu alt für Ecstasy
Diesen Spagat macht ihr wohl keiner nach. Auch mit Mitte 60. Ein schwieriges Alter, sagt sie. Man ist zu jung für Bingo und zu alt für Ecstasy. Also erfindet sich Désirée Nick wieder mal neu und singt.
Auch als Diseuse gelingt ihr der Spagat, zwischen Berliner Schnauze und quietschend schrillem Vibrato. Am besten in der Rolle von Marlene Dietrich. Dafür wechselt sie in ein zartrosa Kleid, samt Schwanenmantel. Die Diva steht ihr irre gut. Äußerlich wie gesanglich.
Davon hätte man gerne noch mehr gehört. Aber was daran ist jetzt forbidden? Da will jemand in die weite Welt hinaus. Mit ihrem britischen Bühnenpartner, dem exzentrischen Woodhead, könnte das sogar gelingen. Nick rast jedenfalls im Affenzahn an der deutschen Humorpolizei vorbei, rekelt sich auf dem Klavier, spricht Englisch und verteilt Handküsse. Dafür gibts Standing Ovations.
Sendung: rbb24 Inforadio, 1.2.2023, 7 Uhr