Theaterkritik | Uraufführung am DT - Vom Abstürzen und Aufstehen

Sa 25.03.23 | 09:22 Uhr | Von Barbara Behrendt
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Szene aus "Dirk und ich" mit Marcel Kohler (Bild: Arno Declair)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.03.2023 | Barbara Behrendt | Bild: Arno Declair

Als Marcel Kohler 2018 psychisch angeschlagen war, hat ihn Dirk Nowitzki inspiriert. Am Deutschen Theater hat Kohler nun sein eigenes Stück über die Lebenskrise inszeniert: "Dirk und ich" – eine schmerzhaft ehrliche Selbstbefragung. Von Barbara Behrendt

"Und jetzt Ladies und Gentlemen: Marcel Kohler!"Ein heiterer Beginn. Marcel Kohler wird aus den Lautsprechern angekündigt wie der amerikanische Comedian, der er, wie wir erfahren, immer sein wollte, und erzählt im Rampenlicht Anekdoten. Wie er im Supermarkt viele schöne Dinge in seinen Einkaufswagen lädt – bis ihn die fiese schwäbische Stimme in seinem Kopf zurechtweist ("Brauchsch du des alles? Isch fei e bissle teuer, oder? Marcel, du hasch doch gar koi Saftpresse..."), bis er alles fein säuberlich zurück in die Regale räumt.

Wenig später erfahren wir allerdings, dass das gar nicht so lustig ist. Denn Kohler, der hier augenscheinlich seine eigene Geschichte erzählt, konnte vor ein paar Jahren ganze Stunden im Supermarkt zubringen, unfähig, etwas zu kaufen. Konnte die Wohnung nicht verlassen, ohne zwanghaft die Herdplatten zu kontrollieren und ihre Schalter abzufotografieren. Auch das erzählt der Schauspieler, Autor und gleichzeitig Regisseur des Abends noch mit Selbstironie und lässt Hunderte Fotos, die damals von seinem Herd entstanden sind, an die Wand werfen.

Ohnmachtsanfall auf der großen Bühne

Bis sich der Ton ändert und der große Marcel, am Boden sitzend, von seinem Ohnmachtsanfall spricht, 2018, bei einer Vorstellung von Gorkis "Sommergästen": "Ich wurde dann da versorgt, auf der Bühne, vor allen Leuten. Und dann haben wir die Vorstellung abgebrochen, weil ich ins Krankenhaus gekommen bin. Ich hab das dann total ignoriert, ich hab einfach weitergemacht. Aber irgendwann geriet ich so richtig in eine Krise. Mit mir, mit den Leuten um mich herum, mit der Welt, mit dem Theater. In der Zeit hab ich auch nicht viel geschlafen, weil ich dachte: Wenn ich einschlafe, dann würde ich nicht mehr aufwachen."

In seiner depressiven Phase, seiner Lebenskrise, seiner Schlaflosigkeit, schaut sich Marcel nachts Sportübertragungen aus den USA an und wird ein Fan von Dirk Nowitzki: "Ich möchte euch heute von meiner großen Liebe erzählen. Meine große Liebe ist nicht nur im übertragenen Sinne groß, sie ist wirklich groß." 2 Meter 13 um genau zu sein –zehn Zentimeter größer als Kohler.

Der Schauspieler liegt mit Laptop auf der Bühnen-Matratze und wirft Videos an die Wand. Wie Nowitzki sein Team in Dallas zum Sieg führt. Wie er in den letzten 24 Sekunden die entscheidenden Punkte holt, unsterblich wird. 24 Sekunden – in etwa die Zeit, die Kohler ohne Bewusstsein auf seinem eigenen Spielfeld, der Bühne, lag.

Schmerzhaft ehrlich

Es gibt weitere Gemeinsamkeiten: Beide müssen innerhalb von rund anderthalb Stunden Höchstleistungen erbringen, beide spielen vor Publikum, beide haben Leistungsdruck. Die philosophischen Zuspitzungen von Zeit, Erfolg, Misserfolg, Leben und Sterben, realer und gefühlter Relevanz und die Engführungen zwischen Marcel und Dirk sind allerdings rar. Oft kreist der Text allein um Kohler Krise – schmerzhaft ehrlich bis zur Selbstentblößung: "Ich bin erst 30 und ich kann schon nicht mehr. Und ich will auch nicht mehr. Warum bin ich Schauspieler geworden?"

Es ist weit weniger ein Abend über Dirk Nowitzki als über Marcel Kohler, der sich den Basketballspieler als Projektionsfläche seiner eigenen Wünsche ins Zimmer träumt. Das ist durchaus kein Mangel. Mitunter wird es dann aber doch arg sentimental, etwa, wenn die Stehlampe, die sich für Marcel nachts zu Dirk verwandelt, ein grünes Licht der Hoffnung für ihn aussendet.

Kohler ist ein hervorragender Schauspieler und ein kreativer Regisseur, der immer wieder schöne Bilder für seine Seelenzustände entwirft. Einmal ist sein rasender Kopf zum gigantischen Basketball aufgebläht. Ein Regie-Blick von Außen hätte den einen oder anderen Seelenstriptease-Moment aber womöglich noch justieren können. Trotzdem ein mutiger Abend, der in den besten Minuten unser aller Gefühl der Unzulänglichkeit, der Verzweiflung und Einsamkeit einfängt.

Sendung: rbbKultur, 24.03.2023, 16:30 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

1 Kommentar

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  1. 1.

    Das Stück passt in unsere tolle neue Zeit, wo Insta, Twitter, tiktok, facebook und co. als Schaufenster dienen, in das man sich selbst stellt.
    Selbstdarstellung.
    Nicht auszudenken, wenn Künstler wie Novalis, die Günderrode oder de la Motte Fouqué sowas schon gehabt hätten.
    Oder Kafka.
    Die Darstellung der Welt war gestern. Heute wird das Ich medienwirksam in die weite Welt hinausgeschickt.
    Ich bin zu alt, um da mitzumachen.
    Ich werde mir das Stück nicht ansehen.

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