Kritik | Uraufführung am Deutschen Theater - Schlafende Schwäne und Demokratie

Sa 01.04.23 | 09:59 Uhr | Von Barbara Behrendt
Symbolbild: Deutsches Theater in der Schumannstrasse 13a mit der Wolfgang-Langhoff-Bueste von Manfred Sahlow davor. (Foto: picturealliance/POP-EYE)
Audio: rbb24 Inforadio | 01.04.2023 | Barbara Behrendt | Bild: POP-EYE

Niemand singt so herzerwärmend und selbstironisch über die normalen Menschen wie Funny van Dannen. Tom Kühnel und Jürgen Kuttner inszenieren seine Songs und Texte am Deutschen Theater als menschenfreundliches Musical. Von Barbara Behrendt

"Forever Yin Forever Young" beginnt mit Understatement: Der Eiserne Vorhang ist geschlossen. Rechts drei Musiker, links Bierbänke vor einem Späti. Nur ein Okapiposter erinnert an einen lustigen Song von Funny van Dannen, der an diesem Abend allerdings ungesungen bleibt. Dann: Auftritt Felix Goeser als Normalo, Ober-Schluffi, vermutlich Funnys Alter Ego. Er startet mit einem ruhigen van-Dannen-Klassiker über Menschen, die immer anderes für ihren Misserfolg verantwortlich machen. Zum Beispiel die Schilddrüse. "Ich machte auch kein Abitur. Ich war kein guter Sohn. Jetzt wissen wir alle warum: Schilddrüsenunterfunktion."

Jürgen Kuttner ist mit von der Partie

Auf den Bierbänken versammeln sich Freundinnen und Freunde bei Limo und Bier und spielen sich die Bälle zu, Funny-van-Dannen-Pointen über den fehlenden Sinn des Lebens, über Organspende, Frauen, Männer und die ganze Herzscheiße: "Sie weinte und sie hielt ihn fest und er versuchte sich loszureißen. Und er schrie: Geh weg mit deiner Herzscheiße!"

Jürgen Kuttner spielt den berlinernden Besitzer. Und als man denkt, jetzt weiß man, wie dieses Musical läuft, folgt ein Wundertüten-Überraschungscoup: Der Eiserne Vorhang hebt sich und legt eine weiße Häuserzeile frei, die sich später, wieder ein Oha!-Moment, mit bunten Projektionen zu Friedrichshain in den 1990er Jahren verwandelt: "Kino Intimes" liest man an einem Haus, auf dem Späti prangen Lotto und Bild-Zeitung. Daneben Straßenlaterne und Telefonzelle.

Auf einem Balkon lassen Jürgen Kuttner und Tom Kühnel die urkomisch-traurigen Beziehungssongs interpretieren. Etwa den Mann nach dem Geschlechtsverkehr: "Er hat ihr so weh getan, er hat sie so verletzt. Denn er antwortete 'Homebanking' als sie fragte: Woran denkst du jetzt?"

Symbolbild: Funny van Dannen live auf der Bühne. (Foto: picturealliance)

Gelungene Vorstellung

Und als man es sich in den Liebesgeschichten der 1990er gerade gemütlich machen will, rauscht der Abend plötzlich mit vollem Karacho in die Wirtschaftskrise der 1920er Jahre. Statt "Intimes Kino" prangt "Eden Kabarett" auf den Projektionen, statt bunt jetzt schwarz-weiß. Ole Lagerpusch performt einen herrlich verrückten Stepptanz, doch ein Höhepunkt ist die Doppel-Revue-Nummer, die das Ensemble über Anarchie, Umsturz und Kapitalismus gibt – mit einer Showtreppe, die sich, wieder Überraschung, hinter einem Haus hervorschiebt.

"Ich will den Kapitalismus lieben, weil so viel für ihn spricht. Ich will den Kapitalismus lieben, aber ich schaffe es einfach nicht" – Genial, wie Maren Eggert und Kotbong Yang zur Kapitalismuskritik in Revuekleidern über die Treppe swingen, während Jörg Pose, Ole Lagerpusch und Felix Goeser nebenan am Tisch die Ukulele zupfen.

Davon abgesehen sind es die Musiker unter der Leitung von Matthias Trippner, die für die Instrumentierung sorgen. Und was Trippner aus Funnys doch eher einfachen Gitarren-Akkorden zaubert, ist grandios. Vom Liebeslied mit Cello-Begleitung, über das A-Cappella-Duett, die Salsa-Trompete und den Grunge-Song im Nirvana-Style: So gut hat man Funny van Dannens Songs noch nie gehört.

Auf den Punkt

Und auch Daniela Seligs Kostüme sind ein Fest: Gemeinsam mit Jo Schramms Bühnenbild reisen sie durch die Zeit, von der Hornbrille und dem Bleistiftrock der 1960er zur Abendrobe der 1920er, zurück zu den mit Strass besetzten Jeanshemden der 1980er. Eine Donald-Trump-Geschichte bricht ins kriselnde 1920er-Jahre-Ambiente ein – und sitzt dort gar nicht mal schlecht. Noch so ein Wundertüten-Effekt, als das komplette Ensemble als sechs Nana-Mouskouri-Doubles den Nana-Mouskouri-Song singt.

Funny van Dannens Texte sind immer pointiert, melancholisch, menschenfreundlich und politisch, ohne, dass sie gesellschaftlich spalten würden. Das kommt den Regisseuren Kühnel und Kuttner sichtlich entgegen. Sie machen daraus einen herzerwärmenden, demokratiefreundlichen Gemeinschaftsabend, den es so nur im Theater gibt. Vor allem, wenn Maren Eggert das Lied vom Urbanhafen singt:

"Ein Licht ist für die Bösen. Auf die ist immer Verlass. Sie gründen extreme Parteien. Sind für Rassen- und Klassenhass. Sie heiraten sich, kriegen Kinder. Und die Kinder werden wie sie.

Ein Licht ist für die Bösen. Und für die Demokratie. Wenn im Urbanhafen die Schwäne schlafen. Sind viele Menschen noch wach. Sie machen Liebe oder Blödsinn. Oder sie spielen noch Schach."

Selten hat man am Deutschen Theater Menschen derart schunkeln, kichern und am Ende trampeln gehört wie an diesem Abend. Auch Funny van Dannen im Zuschauerraum gibt Standing Ovations. Und man selbst denkt beim Applaus: jetzt bitte noch mal von vorn!

Sendung: rbb24 Inforadio, 01.04.23, 11:00 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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