Konzertkritik | Cameron Carpenter - Wie ein Spitzen-Organist allen technischen Pannen trotzt

Mi 03.05.23 | 08:04 Uhr | Von Hans Ackermann
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Archivbild: Cameron Carpenter bei einer Generalprobe. (Quelle: imago images/C. Hardt)
Audio: rbb24 Inforadio | 03.05.2023 | Hans Ackermann | Bild: imago images/C. Hardt

Die große Pfeifenorgel in der Berliner Philharmonie war am Dienstagabend außer Betrieb, also musste Cameron Carpenter auf ein digitales Instrument umsteigen. Auch ein Reset konnte den Wahlberliner bei seinem bravourösen Vortrag nicht stoppen. Von Hans Ackermann

Bevor Cameron Carpenter am Dienstagabend in der gut gefüllten Berliner Philharmonie auf die Bühne kommt, tritt eine Sprecherin der "Konzert-Direktion Hans Adler" an das Mikrofon. Das Publikum erfährt, dass die Orgel der Philharmonie aufgrund von Instandsetzungsarbeiten an diesem Abend nicht spielbar sei.

Das Konzert könne aber trotzdem stattfinden, der Veranstalter habe von einem namhaften Orgelhersteller kurzfristig "digitalen Ersatz" zur Verfügung gestellt bekommen.

Ausschließlich Werke von Johann Sebastian Bach

Statt an der großen Schuke-Orgel nimmt Cameron Carpenter also an einer großen digitalen Orgel Platz. Sie hat drei Manuale, Fußbässe, ausreichend Register - und erzeugt überraschend authentische Klänge, wie sich gleich zu Beginn bei "Fantasie und Fuge c-moll", BWV 537 feststellen lässt. Dann folgt "Präludium und Fuge Nr. 1 in C-Dur" aus dem zweiten Teil des "Wohltemperierten Klaviers".

Bei der anschließen "Fuge in F" aus der gleichen Sammlung registriert Carpenter das digitale Instrument derart gekonnt, dass man glaubt, echte Vogelstimmen im großen Saal der Philharmonie polyphon zwitschern zu hören. Ganz und gar bravourös gelingt dem Wahlberliner dann die Fantasia über "Komm heiliger Geist". Mit zehn Fingern fliegt Carpenter über drei Manuale, spielt dazu - eine Spezialität dieses Organisten - seinen sensationellen Fußbass.

Vorliebe für digitale Orgeln

Natürlich wäre es interessant gewesen, Carpenter einmal auf einer Pfeifenorgel zu hören - wenn man ihn bisher nur auf einer digitalen Orgel erlebt hat. Etwa in der Spielzeit 2017/2018, als er mit seiner elektronischen "International Touring Organ" - eine rund eineinhalb Millionen Dollar teure, fast 1000 Kilogramm schwere Einzelanfertigung - "Artist in Residence" im Berliner Konzerthaus war. Und dort mit donnernden Klängen aus wirklich riesigen Basslautsprechern das Haus zum Beben gebracht hat. Doch die I.T.O. gibt es nicht mehr.

"Dissolution of I.T.O." liest man auf Carpenters Website. Im Sommer 2021 habe er das Instrument wegen der Pandemie aufgegeben müssen. Denn Unterhalt und Einlagerung kosten soviel "wie ein kleines Opernhaus", sagt der Musiker, der 1981 in Meadville, Pennsylvania geboren wurde. Und nicht weiß, ob er die nach seinen Plänen von einer Firma in Massachusetts gebaute mobile Orgel jemals wieder in Betrieb nehmen kann.

Archivbild: Der US-amerikanische Organist Cameron Carpenter bedankt sich nach einem Konzert. (Quelle: dpa/C. Schmidt)

Technisches Problem mit Coolness gelöst

Ein gesponsertes digitales Instrument tut es ja auch - allerdings an diesem Abend nur im ersten Teil des Konzerts. Nach der Pause gibt es ernsthafte Probleme. Mitten in den "Goldberg-Variationen" unterbricht Carpenter plötzlich das Konzert, murmelt etwas von "wrong sound - falschen Klängen" und verlässt kurz den Saal. Er kehrt aber schnell zurück, in der Hand ein A4-Heft, womöglich die Bedienungsanleitung. Er müsse jetzt jedenfalls einen "Reset" der Orgel durchführen, erzählt er dem entspannt-amüsierten Publikum. Nach gut fünf Minuten setzt Carpenter dann an der richtigen Stelle wieder an - und spielt fehlerfrei bis zum Schluss.

So cool muss man erst einmal sein: In einem der größten und besten Konzertsäle der Welt das Instrument reparieren und anschließend damit eines der anspruchsvollsten Werke der Musikgeschichte spielen. Aber als Organist mache er ja nichts anderes als der Pilot eines Großraumflugzeugs, hat Cameron Carpenter vor einigen Monaten im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk angemerkt: Starten, fliegen, landen - that’s it.

Nach dem Riesenbeifall am Schluss will Cameron Carpenter als Zugabe das "Große Tor von Kiew" aus Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" spielen - doch wieder streikt die digitale Leihgabe. Nun reicht es dem Organisten. Er verspricht, die Zugabe demnächst nachzuholen und verläßt unter tröstendem Beifall die Bühne.

Sendung: Kulturradio, 30.04.2023, 07:54 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

5 Kommentare

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  1. 5.

    Es war, wie in den Kommentaren beschrieben... das Konzert sollte den künstlerischen Ansprüchen der Konzertdirektion Adler, der Philharmonie und denen des Künstlers Cameron Carpenter hoffentlich nicht genüge gewesen sein.
    Es war ein digital-technisches Desaster ! Warum schreibt hier Herr Ackermann ..allen technischen Pannen trotzt .. !
    Das Instrument war in keinster Weise vernünftig ausgesteuert und / oder angepasst an den Raum der Philharmonie.
    Warum sich das Cameron Carpenter angetan hat, weiß ich nicht .. ich gehe aber davon aus .. dass die Konzertdirektion über den Ausfall der Schuke Orgel nicht erst einen Tag vorher informiert war ..und die Ansage im Vorfeld war damit die Absage ans künstlerische Niveau des Abends. Schade !

  2. 4.

    Wir hatten Karten für einen Konzerttermin 2020. Damals mußte das Konzert pandemiebedingt ausfallen. Damals hatte Cameron Carpenter noch seine eigene Orgel. Daß er diese über die Pandemiezeit nicht finanziell tragen konnte, und das die Pfeifenorgel der Philharmonie defekt ist, ist ihm nicht anzulasten. Das er trotzdem mit den verfügbaren Mitteln ( und dem widerspenstigen Instrument )das bestmögliche versucht hat, nötigt mir Respekt ab. Das diese als "Ersatz" herbeigeschaffte Orgel den Raum klanglich nicht füllen konnte, ist ein technisches Problem. Ob sich das in der Kürze der Zeit hätte lösen lassen, und seit wann bekannt war, daß die Pfeifenorgel nicht verfügbar ist, entzieht sich meiner Kenntniss.

    Vom Ergebniss war ich, wie sicherlich auch Cameron Carpenter selbst, enttäuscht. Insofern halte ich den Bericht für nicht genügend differenziert.

  3. 3.

    Schön für Herrn Carpenter und die Konzertdirektion, wenn ein versemmeltes Konzert in solchen Lobeshymnen angehimmelt wird. Ich weiß nicht, wo der Verfasser gesessen hat - bei unseren Plätzen in Block G, die wir bewusst gegenüber der Orgel gebucht hatten, kam nur undifferenzierter Klangmatsch eines lustlos gespielten Bach an. Und die auf dem Podium aufgestellten zusätzlichen Bassboxen dröhnten durch den Raum, dass die Grenze der Körperverletzung erreicht wurde. Ein Affront gegenüber Bach und der sonst so sensiblen Akustik dieses wunderbaren Konzertsaales. Wir schätzen Cameron Carpenter sehr und fragen uns, wie er unter diesen Voraussetzungen zum Spielen gezwungen wurde. Beim dritten Stück konnten wir es nicht mehr ertragen und haben das Konzert verlassen. Das war das erste Mal in unserem Leben!

  4. 2.

    Dem Kommentar kann ich mich nur anschließen. Auch die Klangqualität des Ersatzinstrumentes und seine Verstärkung waren einfach nur peinlich und beschämend für das Haus. Da geht, wenn es schon digital sein muss, heute mehr. Freundliche Grüße, Norbert Britze

  5. 1.

    sehr geehrter Hans Ackermann, ich bin mit ihrer Darstellung unzufrieden. die Orgel in der Philharmonie ist seit längerer Zeit nicht einsatzfähig und wir sind in das Konzert gegangen weil Herr kapenter auf seiner selbst konstruierten Orgel spielen wollte. So wie er es schon einmal in der Philharmonie oder am gendarmenmarkt Tat. Herr kapen da hatte nicht die Größe vor Beginn deines Spiels diesen in "Betrug" am zuhörer/kunden anzusprechen. auch finde ich sein Verhalten nicht cool wie Sie schreiben sondern empfand es eher genervt so wie auch sein abtreten bzw Verzicht auf die Zugabe. so bin ich der Meinung dass er wenn er wie Sie schreiben der Sache getrotzt hätte diese auch noch um ihre Tatsache zu beweisen hätte spielen müssen.
    diese Enttäuschung über die Philharmonie der weit dass ich beabsichtige in diesem Jahr die Philharmonie nicht mehr zu besuchen.
    ich hoffe ihnen ist diese andere Darstellung nicht zu konträr mit freundlichen Grüßen, Jonas Richter

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