Performance | Laurie Anderson in Berlin - "How fucked up your life is"

Di 20.06.23 | 12:00 Uhr | Von Hendrik Schröder
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ARchivbild:Laurie ANderson am 23.03.2023.(Quelle:picture alliance/H.Montgomery/TT)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.06.2023 | H. Schröder | Bild: picture alliance/H.Montgomery/TT

Laurie Anderson gilt als Ikone der Avantgarde Kunst. Ihre Performances aus Musik, Videos und Texten sind oft lustig, aber trotzdem herausfordernd. Ihr Auftritt in Berlin brachte die Leute zum Schreien. Von Hendrik Schröder

Geschätzt 600 Leute sind in das Theater des Westens gekommen. Dort sollen jetzt unter dem Namen "Tingeltangel" öfter auch mal Konzerte stattfinden und Laurie Anderson macht den Anfang einer Reihe, die 100 Shows in den kommenden zwei Jahren in das Theater bringen will.

Die Fans an diesem Abend jedenfalls schreien nach wenigen Stücken erst mal wie aufgespießt. Ja, richtig, sie schreien. Weil Laurie Anderson sie darum bittet. Weil die Pole schmelzen, die Wälder brennen und überhaupt, "to see how fucked up your own life is". So die Begründung der Performerin, Dann zählt sie drei vor und der ganze Saal, in dem nun wirklich nicht nur junge Leute sitzen, denen man das eher zutrauen würde, schreit tatsächlich aus ganzer Brust.

Es klingt bedrohlich, aber auch sehr zum Lachen. Das kann ja ein interessanter Abend werden. Und es wird sogar ein ganz und gar herausfordernder. In allen Belangen, bis die Ohren bluten. Weghören oder wegsehen mag man trotzdem nicht, so ungefähr fühlt sich das an.

Videowand mit Kunstanspruch

Laurie Anderson steht hinter ihrem Synthi und einigen kleinen Misch- und Lichtpulten und dirigiert mit ruhiger Autorität den Abend und ihre Band. Mitte 70 ist sie mittlerweile, mit ihren grauen Stachelhaaren und dem sieben Nummern zu großen karierten Herrenhemd sieht sie aus wie eine Mischung aus Altpunkerin, Grunge-Überlebender und einer, die zwischendurch noch mal eben das Auto reparieren geht.

Hinter ihr steht eine Videowand, so groß wie ein Fußballtor, auf der mal weiße Zahlen wie aus einem schwarzen Loch fliegen, dann düster gezeichnete Gänge auftauchen, in die Anderson quasi hineinläuft. Das ist schon echt stark gemacht, das ist viel mehr als die üblichen Videowände bei Konzerten. Anderson kann die Projektionen von ihrem Tischchen aus Steuern, sie live abfahren, so sieht es zumindest aus.

Freejazz und Funk

Zusammen mit Laurie Anderson auf der Bühne steht ihre kleine Jazzband "Sexmob", bestehend aus fünf Herren (Herren scheint an dieser Stelle genau der richtige Ausdruck für die sehr knuffigen, sehr nerdigen, tollen Musiker), die sich ordentlich einen ab-freejazzen. Was nicht despektierlich gemeint ist, weil die das schon sehr genial machen, aber eben immer etwas wirr und schräg und so, dass man sich jetzt ja nicht zu bequem fühlt auf seinem gepolsterten Theatersitz.

Die meiste Freude schleicht sich allerdings in die Gesichter der Musiker, wenn sie mal ganz kurz befreit und straight losfunken dürfen. Aber nur ganz kurz. Dann wird wieder alles dekonstruiert. An einer Stelle läuft Laurie Anderson auf sie zu, mit ihrer modifizierten E-Geige in der Hand, sie spielen Frage und Antwort und schauen sich tief in die Augen dabei. Also einig scheinen sich Frontfrau und Band zu sein, dass das genau so verschlungen und teils gebrochen klingen soll, wie es klingt.

Lovesongs über eine KI?

Laurie Anderson mischt bekannte Stücke aus den letzten Jahrzehnten, wie natürlich ihren Charterfolg "O Superman" oder "from the Air" mit Spoken Word Vorträge. Diese dann oft mit nach oben oder unten gepitchter Stimme, manchmal klingt sie plötzlich wie ein sehr alter Mann, was ein Mal mehr zeigt, wie leichtfüßig sie mit Rollen und Identitäten spielt.

Sie gibt Tipps für depressive Studierende oder erzählt, warum man dann doch leichter über Engel singen kann, als über eine KI. Und plötzlich hört man auch die Stimme von Lou Reed, ihrem Ehemann und künstlerischem Weggefährten, sieht einen kleinen Ausschnitt von seinem Gesicht auf der Leinwand. Zehn Jahre ist Lou Reed schon tot, Andersons Version von "Junior Dad" eine kleine Hommage, das ist sehr süß. Das ist tatsächlich kein Konzert in dem Sinne, was sie da bringt, sondern eine Performance, klanglich, textlich, thematisch verlangt einem das ganz schön was ab. Nach 90 Minuten ist Schluss. Reicht auch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.06.2023, 9:45 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

2 Kommentare

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  1. 2.

    "Geschätzt 600 Leute sind in das Theater des Westens gekommen. Dort sollen jetzt unter dem Namen "Tingeltangel" öfter auch mal Konzerte stattfinden"

    Da haben auch früher schon, allerdings sehr selten, Konzerte stattgefunden: Am 28. Januar 1970 spielten "The Who" dort ihr komplettes "Tommy"-Album und einige weitere Hits, und die beiden Konzerte von "Ultravox" am 23. November 1981 und am 31. Januar 1983 habe ich selbst miterlebt.

  2. 1.

    Mist - ich hab´s verpasst :-(( schade - wäre gerne da gewesen. Danke für den Bericht :-)

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