Konzertkritik | Fat Freddy und Tash Sultana - Alt, jung, groovy, arty: Gelungene Doppelshow mit Seltenheitswert

Sa 15.07.23 | 10:20 Uhr | Von Hendrik Schröder
Musikerin Tash Sultana kniet während eines Konzerts in London mit ihrer Gitarre auf der Bühne
Bild: picture alliance / Photoshot

Das gibt es nicht oft: Zwei Acts spielen ein Doppelkonzert, jeder ein ganzes Set. Da die Fanlager von Fat Freddy's Drop und Tash Sultana sich nicht zwangsläufig überschneiden, war die Spannung in der Berliner Waldbühne groß, ob das funktioniert. Von Hendrik Schröder

Den Anfang machen Fat Freddy's Drop aus Neuseeland. Seit über 20 Jahren ist die Band jetzt mit ihrem dubbigen, souligen immer tanzbaren Sound unterwegs. Da ist viel Reggae drin, ein bisschen Ska, jedenfalls groovt es immer und die ganze Zeit. Die sieben Männer (plus additional Musiker bei einigen Stücken) sind rein optisch schon ein bisschen in die Jahre gekommen. Graue Haare, graue Bärte, teils wunderbar stolz präsentierte Bäuche, aber sie feuern immer noch knapp zwei Stunden lang so mächtige Grooves in die Menge, dass fast niemand in der Waldbühne sitzen bleibt.

Das Rund ist nur gut zur Hälfte gefüllt, mehr war auch nicht zu erwarten, beide Acts an diesem Abend gehören nicht zu den ganz großen Nummern im Musikgeschäft. Aber die Stimmung ist genau so gut, als wenn es knallvoll wäre. Und man hat mehr Platz und muss an den Buden und vor den Toiletten nicht so lange anstehen.

Mundharmonika in Badehose

Ein Schlagzeug haben Fat Freddy's Drop nicht, einen Bassisten auch nicht. Das schießen alles der DJ und der Keyboarder raus. Dafür haben sie aber drei Bläser, die richtig Alarm machen. Allen voran Posaunist Hopepa, der irgendwann nur noch mit glitzernder Badehose und Hemd und kniehohen Socken – alles in weiß – bekleidet ist. Hopepa läuft zum Bühnenrand und feuert die Menge an, sprintet dann von der Bühne und steht vor der jubelnden Menge am Abspergitter und spielt Mundharmonika, dann läuft er irgendwann sogar in die Leute rein – es ist ein Schauspiel. Ein echt witziger Typ, ohne den die Band live so gar nicht funktionieren würde.

Jams und Party

Wie üblich spielen Fat Freddy's Drop teilweise lange Jams und interpretieren ihre alten Songs immer wieder neu. Ab und an franst das ein bisschen aus, aber wenn dann die Bassdrum plötzlich doppelt so viele Schläge macht und das Tempo wieder anzieht, dann fährt auch der Herzschlag des Publikums kollektiv wieder hoch, ein kleines Raunen geht durch die Menge und weiter geht die Party. Die Fans hätten sich das noch ewig so anhören können, ein bisschen tanzen, ein bisschen was trinken, diesen wunderschönen Sommerabend mit genau dem richtigen Soundtrack dazu genießen, aber nach knapp zwei Stunden ist Schluss.

Älter trifft jünger

Dann kommt die Australierin Tash Sultana - und jetzt wird es spannend. Denn Sultana ist ungefähr halb so alt wie die Männer von Fat Freddy's Drop. Entsprechend gemischt ist auch das Publikum. Werden jetzt die gehen, die wegen Fat Freddy's Drop gekommen waren? Junge, kurzhaarige Frauen mit handpoked Tätowierungen stehen neben biervernichtenden Langhaarmännern, Menschen in pinken Röcken und riesigen Dreadlocktürmen auf dem Kopf neben zarten Oberlippenbärten, alles sehr divers. Aber es geht gut. Alle stehen auf alles. Die meisten bleiben. Tash Sultana fängt als Ein-Mensch-Band an. Das ist schließlich Tashs Markenzeichen, so hat es damals angefangen, als Sultana sich auf den Straßen Melbournes die ersten Fans erspielte.

Soundebenen schichten

Sultana sprintet vom Schlagzeug zum Bass zur Gitarre zur Flöte zum Saxophon, spielt auf allen Instrumenten einen Takt in eine Loop Station, die fortan das Gespielte wiederholt. Tash schichtet Soundebene auf Soundebene, steht kaum still, hüpft auf ein Podest, spielt ein Saxophonsolo, spielt auf den Knien ein Gitarrensolo, singt dann drüber. Das ist absolut beeindruckend. Trotzdem ist das eher was zum Zuhören und darüber Staunen, wie viele Instrumente ein hochbegabter Mensch so schnell hintereinander spielen kann. Um sich richtig hineinfallen zu lassen, ist zu viel Dynamik drin, geht es zu viel hin und her.

Das ändert sich auch nicht, als eine dreiköpfige Band mit auf die Bühne kommt. Aber alleine Tashs Gesicht in Großaufnahme auf den Videowänden ist alle Aufmerksamkeit wert, wie jede Falte, jede Pore, jedes kleine Zucken der Mundwinkel die Musik mitlebt. Ein Sound, der regelrecht erarbeitet wird. In der Mischung aus alt und jung, groovy und arty, Kollektiv und Individualist/in ein richtig guter, langer Konzertabend.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.07.2023, 10:30 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

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