Filmkritik | "Black Box" - Zoff im Berliner Hinterhof

Do 10.08.23 | 08:26 Uhr | Von Anke Sterneborg
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Black Box: Henrike Koch (Luise Heyer) hat eine Nachbarin im Verdacht... (Sascha Alexander Geröak) nicht mehr. Was will er von Madonna (Manal Issa, im Hintergrund), der schönen, jungen Nachbarin ? (Quelle: ZDF/Emre Erkmen)
Audio: rbbKultur | 08.08.2023 | Anke Sterneborg | Bild: ZDF/Emre Erkmen

Streit um die Mülltonnen, ein Polizeieinsatz - und das in einem Berliner Altbau-Biotop. Mit feinem Gespür für das Mit- und Gegeneinander der Kulturen und einem grandiosen Ensemble seziert "Black Box" die deutsche Gesellschaft. Von Anke Sterneborg

 

Alles beginnt mit dem Rumms, mit dem ein großer Büro-Container von oben durch die Lüfte mitten in einem Altberliner Hinterhof platziert wird. Hier residiert künftig Herr Horn als Vertreter der Hausverwaltung. Er sitzt hinter großen Fenstern, ist aber alles andere als leicht durchschaubar. Verkörpert wird er von Felix Kramer, der zwischen der rbb-Serie "Warten auf'n Bus" und Emily Atefs Literaturverfilmung "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" eine große darstellerische Bandbreite gezeigt hat.

Zur Person

Asli Özge wurde in Istanbul geboren, wo sie auch die Filmschule absolvierte. Seit 2000 lebt und filmt sie in Berlin. 2016 hat sie mit "Auf einmal" erstmals in deutscher Sprache gedreht. Nach der in Belgien gedrehten Miniserie „Dunkelstadt“ folgt mit "Black Box" ihr zweiter deutschsprachiger Film. "Black Box" startet am 10. August in den deutschen Kinos.

Horn wirkt zunächst höflich und entgegenkommend, zeigt aber auch bald eine jovial unterfütterte Härte. Das zweite, noch eher alltägliche Ärgernis für die Hausbewohner sind die Mülltonnen der Bäckerei, die nun auch noch im Hinterhof stehen sollen. Während manche Mieter gute Miene zum bösen Spiel machen, wehren sich andere entschieden. Der Lehrer Erik Behr (Christian Berkel) stellt Herrn Horn aufgebracht zur Rede: "Gucken Sie sich das mal an! Eine Schande ist das, unter meinem Fenster. Ich kann nicht mal mehr das Fenster aufmachen, wegen der Fliegen. Und dann der Gestank…" Richtig sauer wird er, als Herr Horn ihn dann auch noch beschuldigt, ihn mit einem Ei beworfen zu haben. Das lockere "Herr Behr" will er sich auch nicht gefallen lassen: "Herr Dr. Behr, bitte!"

Getarnte Wahrheiten

Es ist ein großes Vergnügen, das fein austarierte Spiel mit Gestik, Mimik und Stimmmodulation zu beobachten. Mindestens so wichtig wie das Ausgesprochene ist das Nichtgesagte. Und jeder Satz beinhaltet wenigstens noch eine verborgene Wahrheit. Aus offen ausgetragenen oder unterschwellig durchsickernden Feindseligkeiten entwickelt sich im Hinterhof ein nachbarschaftlicher Kleinkrieg, in dem Arm und Reich, Links und Rechts, Biodeutsche und Zuwanderer oft gereizt und feindselig aufeinandertreffen.

Das illustre Schauspielerensemble, zu dem auch Luise Heyer, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle und Hanns Zischler gehören, lässt sich Bösartigkeiten und Schmeicheleien, diskriminierende Beleidigungen und Angriffe in vielen Nuancen auf der Zunge zergehen. "Black Box" ist ein Kammerspiel, das sich vom Hof in die Wohnungen, über das Dach und bis in den Keller ausbreitet.

Die Hausgemeinschaft (v.l.n.r.: Jonathan Berlin, Anne Ratte-Polle, Christian Berkel, Inka Friedrich) ist über den plötzlichen Polizeieinsatz in ihrem Hinterhof irritiert. (Quelle: ZDF/Julian Atanassov)Die Hausgemeinschaft ist über den plötzlichen Polizeieinsatz in ihrem Hinterhof irritiert.

Kriegerische Belagerung

Als dann auch noch vermummte Polizisten anrücken, wird aus dem nachbarschaftlichen Kleinkrieg eine Front zwischen Bewohnern und Regierung, aus dem Alltagsrassismus eine Frage der nationalen Sicherheit: Die Straße wird gesperrt, keiner darf das Haus verlassen. Die irritierten Bewohner werden aufgefordert, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Aus Sicherheitsgründen werden keine Informationen herausgegeben. Wie lange das Ganze dauert, ist ungewiss.

Mit sanfter Stimme beginnt Herr Horn Andeutungen zu machen und Gerüchte zu streuen: "Es gibt einen Hinweis, eine Problemwohnung, die Mieterin, Iranerin … ich spreche von Aktivitäten in Wohnungen, die uns nicht gehören…" Seine Sätze sind gespickt mit Trigger-Worten, zu denen jeder sofort Bilder, Ängste und Verdachtsmomente im Kopf hat. Gezielt sät er Zwietracht und Misstrauen unter den Mietern.

Horn, das deutet sich im weiteren Verlauf an, will die Bewohner gegeneinander ausspielen, sie zum Auszug bewegen und damit die Interessen der Eigentümer fördern. Das Gespenst der Gentrifizierung geht um: Entmietung, Luxussanierung, man kennt das aus Berlin - und nicht nur von dort. Gilt das Haus erst einmal als unbewohnbar, hat der Investor freie Hand. Zur Not wird mit ein bisschen Sabotage nachgeholfen.

Zwischen Innensicht und Außenwahrnehmung

Vieles klingt hier an. Gewissheiten gibt es wenige, in der volatilen Stimmung im Hof, die Asli Özge als Türkin mit dem besonders genauen Blick zwischen Innensicht und Außenwahrnehmung betrachtet und analysiert. Der Film wollen ein "zerfallendes Gemeinschaftsgefühl" beschreiben und die Auflösung demokratischer Strukturen, sagte Asli Özge bei der Premiere auf dem Münchner Filmfest. "Das Haus ist ein Mikrokosmos, der das Land spiegelt. Viele verschiedene Kulturen und Religionen leben zusammen. Ich wollte ein Bild unserer Gesellschaft darstellen, eine Metapher für ein Land."

Die Blackbox des Mietshauses ist ein vielschichtiges System, in dem von Diskriminierung und Fremdenhass, von Existenzangst und Missgunst, von Gentrifizierung bis Bauspekulation viele virulente Themen von heute verhandelt werden. Und ganz nebenbei ist dieser fein beobachtete und raffiniert konstruierte Film auch noch das Dokument eines Berliner Biotops, das im Verschwinden begriffen ist. Denn gedreht wurde in einem Berliner Hinterhof - einem der wenigen, der noch in der ursprünglichen Form übriggeblieben ist.

Sendung: rbbKultur, 08.08.2023, 07:45 Uhr

Beitrag von Anke Sterneborg

7 Kommentare

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  1. 7.

    "Ganz natürlich" ist der vorhandenen Bandbreite ist da nichts: Menschen suchen Gleichgesinnte, das war immer so, das eröffnet neuere Perspektiven, als sich ständig mit einem Dutzend Dickköpfen auseinanderzusetzen, die mal die eine Nichtigkeit bekritteln, mal die andere.

    Und: Die beobachtbare Entmischung beruht m. E. zu mehr als der Hälfte auf reinem Statusdenken: Keine fruchtbaren Impulse mehr durch wirklichen Meinungsaustausch, vielmehr ein Ertränken in der eigenen "Sauce" - sowohl bei den einen, wie bei den anderen. Eine Vorform der Zerfalls wie im ehemaligen Jugoslawien: Ein halbes Jahrhundert Haus an Haus zusammengelebt, wenngleich auch unter der Überfigur Tito, dann nichts und absolut nichts mehr miteinander zu tun haben wollend - nur, dass Konflikt hierzulande zivilisierter ausgetragen werden.

  2. 6.

    Ein netter Versuch die Gesellschaft in einer Hausgemeinschaft widerzuspiegeln. Dazu ist Kunst da. Im wirklichen Leben ist aber der ganz natürliche Entmischungsprozess auch ein Bestandteil. Auch der rbb könnte mehr nichtgenehme Meinungen freischalten... die nicht beleidigen aber nicht gewollt sind, obwohl sie die Netiquette einhalten.

  3. 5.

    Sehr gut bemerkt. Diese Überspitzung der Situation hatte ich schon unbewusst akzeptiert, weil...

    Der Film ist Kunst und keine Dokumentation.
    Kunst hat selten etwas mit Realität zu tun sondern mit dem Künstler, also der Filmemacherin.

    Thematisch ist der Film wohl noch langweiliger als ein Tarantino-Film. Das Thema ist fast jedem bekannt.
    Tarantino-Filme leben ja auch nicht vom Thema sondern der Inszenierung und haben deshalb ihre Fans.
    So wird es auch bei Asli Özge sein.

  4. 4.

    Wohl wahr.

    >"Das aber kann ein Film nicht leisten."
    Geht auch gar nicht, weil ein Film ein eispuriges Kommunikationsmittel ohne Rückkanal ist. Ein Film kann bestimmte Themen anregen für eine Diskussion miteinander. Das scheint bei diesem Film auch gut zu funktionieren.
    Hier z.B. der schlimmste anzunehmende Fall einer Hausgemeinschaft. Den nehmen wir in unserem Aufgang als kleines Dorf im Block mal als schlechtes Beispiel und feuen uns, dass es im richtigen Leben nie so überspitzt wie im Film zugeht.

  5. 3.

    Herr X... nicht verzagen. Ein Film ist auch immer ein Stück weit Fiktion - also auch Darstellung eines Idealzustands.

  6. 2.

    Die Idee der idealtypischen Ansammlung unterschiedlichster Charaktere und Hintergründe in einem Haus ist genial als Darstellung eines Mikrokosmos, doch meiner Beobachtung nach kaum vorzufinden. Auch in den benachbarten Mikrokosmen fallen die Welten in zunehmendem Maße klar auseinander, will sagen: Die Lebenswelten fallen von Quartier zu Quartier, ggf. sogar von Haus zu Haus klar auseinander.

    Es ist einzig das Aneinander-Vorbeireden im Internet, weniger aber das Aufeinander-Beziehen im Internet, was den gesamtgesellschaftlichen Mikrokosmos abbildet. Das aber kann ein Film nicht leisten.

  7. 1.

    Wenn ich das so lese, scheint das sehr unrealistisch zu sein was da beschrieben wird. Wo gibt es den noch Vertreter der Hausverwaltung vor Ort? Im Altbau gibt es nicht Mal mehr Hausmeister.

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