Interview | 100 Jahre Radio - "Was die Idee Radio ausmacht, wird auf jeden Fall bleiben"

So 29.10.23 | 08:08 Uhr
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Symbolbild:Mehrere DAB+-faehige Radiogeräte.(Quelle:dpa Themendienst/F.Schuh)
Bild: dpa Themendienst/F.Schuh

Das Ende des Radios wurde schon mehrfach ausgerufen: Erst war es das Fernsehen, später das Internet und jetzt Streaming. Das Radio sendet weiterhin munter durch die Welt. Wird es so bleiben? Zwei Experten wagen einen Blick in die Zukunft.

Eine Kiste im Wohnzimmer, die Musik spielt, und dazu noch spricht: Die Skepsis der Deutschen gegenüber dem Radio war zunächst groß. Doch Hörfunk wurde schnell beliebt und versorgte die Menschen mit Unterhaltung: anschalten und los ging es. 100 Jahre gibt es Radioprogramme in Deutschland und im Jubiläumsjahr hat Radio mehr Konkurrenz denn je: Fernsehen, Streaming, Social Media. Kann Radio weiter bestehen? Darüber reden Sebastian Klöß, Bitkom-Experte, und der Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst.

rbb|24: Herr Klöß, Herr Ernst, warum hören wir in zehn oder 20 Jahren noch Radio? Was macht dieses Medium dann interessant?

Sebastian Klöß: Wir werden auch dann noch Radio hören, weil wir weiter Musik, Nachrichten und Informationen hören wollen. Und vor allem, weil wir oft keine Lust haben, selber Playlisten zusammenzustellen. Das heißt, wir wollen einfach Erwartbares im Programm hören und uns teilweise einfach berieseln lassen. Spannend wird, ob das Ganze noch Radio genannt werden wird, oder ob es aus Sicht der Hörerinnen und Hörer Audiokonsum ist. Aber was die Idee Radio ausmacht, wird auf jeden Fall bleiben.

Wolfgang Ernst: Meine medienarchäologische Antwort ist: Mag sein, dass Radio als technisch unabhängiges Medium immer mehr auf dem Rückzug begriffen ist, aber wir haben mehr Radio denn je. Denn Radio bedeutet eigentlich nur die Ausstrahlung elektromagnetischer Wellen, wie sie heute etwa im Mobilfunk im Einsatz sind.

Das Interesse an Wissensvermittlung über das Ohr als Audiokanal wird in der Zukunft stärker werden. Ob das aber vom klassischen Radioformat bedient wird, ist eine andere Frage.

zur person

Wolfgang Ernst.(Quelle:rbb/S.Hampf)
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Wolfgang Ernst ist Professor für Medientheorien am Institut für Musik- und Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er unterhält einen medienarchäologischen Fundus, eine Sammlung mit historischen Computern und Magnetofonen.

Sebastian Klöß.(Quelle:privat)
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Der promovierte Historiker Sebastian Klöß ist Bereichsleiter für Consumer Technology beim Digitalverband Bitkom. Er betreut die Arbeitskreise NewTV und Augmented & Virtual Reality und bündelt die Bitkom-Expertise zum Thema Metaverse.

Wenn wir über das Radio der Zukunft reden, kommen wir am Thema Künstliche Intelligenz nicht vorbei. Wird beispielsweise der Moderator irgendwann überflüssig?

Sebastian Klöß: Technisch betrachtet brauchen wir in wenigen Jahren tatsächlich keine Moderatorinnen und Moderatoren mehr. Heute klappt es schon wunderbar, einfach Nachrichten vorlesen oder mit Text-to-Speech Musikstücke ansagen zu lassen. Teilweise ist es auch schon möglich, eine Interaktion wie mit realen Menschen hinzubekommen.

Wolfgang Ernst: Genau. Es reichen wenige Sekunden, um einem neuronalen Netz klarzumachen, was sind die Eigenheiten unserer Stimme, unseres Sprechens? Das lernen die inzwischen mit einer erstaunlichen Schnelligkeit. Für Hörer und Hörerinnen gibt es dann nicht mehr die Möglichkeit zu entscheiden, ob da noch ein Mensch im Studio sitzt oder nicht.

Werden dadurch nicht viele Radiojobs wegfallen?

Sebastian Klöß: Die Erfahrungen mit Technik der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass neue technologische Schritte Berufe verändert, aber selten komplett ersetzt haben. Ziemlich sicher werden nicht mehr die Nachrichten vorgelesen, sicher auch nicht einfach nur Musiktitel, das Wetter oder der Verkehrsbericht angesagt.

Wolfgang Ernst: Wie in vielen anderen Berufszweigen werden viele Arbeitsstellen freigesetzt werden. Es ist aber so, dass sich dann wieder neue Nischen finden, wo Menschen arbeiten. Als Medienhistoriker bin ich da gelassen. Es könnte ein produktiver Prozess sein.

Sie sind sich einig, dass KI die Arbeitswelt verändert. Brauchen wir jemanden, um Künstliche Intelligenz zu kontrollieren?

Sebastian Klöß: Das ist die große Frage generell bei KI. Kann man KI kontrollieren, muss KI kontrolliert werden? Runtergebrochen auf Radio wird es natürlich relevant bleiben, Fakten zu checken, dass die KI nicht einfach die Nachrichten erfindet. Da werden Menschen weiterhin eine Rolle spielen, um Seriosität und Fakten sicherzustellen.

Wolfgang Ernst: Es wird ganz wichtig sein, dass menschliche Kollektive namens Redaktionen immer noch diese KI durchschaubar halten, die kritische Durchschaubarkeit dessen, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt und das auch gegencheckt. Welche Quellen sind da verarbeitet, welche Datenmengen sind das?

KI filtert riesige Datenmengen. Schafft sie das auch bei kleinen regionalen Themen?

Wolfgang Ernst: KI kann über große Datenmengen statistische Wahrscheinlichkeiten bilden. Wenn es aber um die Überprüfbarkeit und das Ausforschen von kleineren lokalen Ereignissen geht, werden nicht genug Daten im digitalen System produziert.

Hat Regionalität also für das Radio in Zukunft noch Bedeutung?

Sebastian Klöß: Regionalität wird beim Radio auch künftig eine extrem große Rolle spielen. Letztendlich sind wir sehr regional verwurzelte Wesen, die wissen wollen, was in der eigenen Region passiert. Radiosender schaffen es häufig auch, als ein lokaler Akteur vor Ort sehr präsent zu sein – mit eigenen Events, mit eigenen Konzerten, mit Angeboten vor Ort oder einfach mit dem Kontakt vor Ort. Dieses Regionale wird aber sehr stark mit Überregionalem verknüpft sein oder neben internationalen Themen stehen.

Radio wird also auch in Zukunft gehört. Aber womit werden wir in zehn oder 20 Jahren Radio hören?

Wolfgang Ernst: Radio verliert immer mehr seine Eigenständigkeit als unabhängiges technisches Medium und wird zum Format. Mit der Digitalisierung läuft das alles über ein Medium. Es wird ein Format innerhalb des Mediums, dass alle anderen Medien simulieren kann: dem Computer.

Sebastian Klöß: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir Geräte haben, die Funktionen bündeln, nicht so wie früher im Wohnzimmer, wo ein Kasten steht, der zum Einsatz kommt. Möglicherweise gibt es in 20 Jahren neben dem Smartphone noch andere Geräte, die unsere Ausspielwege bündeln.

Wolfgang Ernst: Man kann weiter an Radio glauben – als Form, nicht als technisches Medium. Leider! - sage ich als Medienarchäologe. Denn es war eine großartige Epoche, aber jede Epoche versteht sich vom Ende her. Ich werde diese Melancholie nicht mehr los, dass es eine große Epoche war, die nicht nochmal hundert Jahre weitergeht.

100 Jahre Radio in Bildern

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sebastian Hampf für rbb|24

Sendung: rbb 88.8, 29.10.1959, 13:00 Uhr

9 Kommentare

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  1. 9.

    Im Zuge der Entscheidung zu DAB+ hat sich ja Deutschland zurück gezogen. Man wollte kosten Sparen und hat die Verbreitung auf Kurzwelle und Mittelwelle eingestellt. In Ukrainekrise oder auch beim Hochwasser zeigte sich das man weitreichende Sender braucht. Auch aus den Regionen wo die Menschen flüchten könnte man Informationen ungefiltert übermitteln. Nur Österreich nahm seine Aufgabe war und verbreitete Informationen auf Kurzwelle, während hier Unterhaltungsmusik lief. Die Kurzwelle erwies sich als einziges Medium die Menschen zu erreichen, nur wir haben unsere Sender weitestgehend abgebaut.

    Kurzwelle hören ist zudem dank der Lobby der Industrie kaum noch möglich, viele Geräte massiv EMV abstrahlen. Gerade PV-Anlagen verstoßen massiv gegen technische Regeln und machen den Empfang unmöglich. Nur wenn die Störer gemeldet werden geht die Bundesnetzagentur gegen diese vor. Es kam sogar für das LED Laternen den DAB+ Empfang und Polizeifunk störten.

  2. 8.

    Ja und schade das auf Kurzwelle auch viele Sender(Piraten) verschwunden sind oder auch dort mittlerweile Digital senden. Analog bewährt sich immer im Katastrophenfall, sowie das „ordinäre“ Funkgerät.

  3. 7.

    DAB+ ist ein Projekt mit welchem die Länder auch nicht ehrlich umgehen. Eine Technik die jetzt schon tot ist bevor sie überhaupt ausgebaut wurde. Es zeigt sich das die Versprechungen sich nicht erfüllen werden konnten. Man wirbt mit "CD-Qualität" strahlt aber in Wahrheit Telefonqualität aus, um möglichst viele Sender auf den MUX zu bringen. Zudem geht die Rechnung mit den Sendern nicht auf, um auch einen Störungsfreien Empfang in Gebäuden zu gewährleisten. Im Auto ist der Empfang eine Katastrophe und in jener schaltet es sich nicht einmal an. Weil Hersteller die Funktion nicht implementiert haben. Zudem haben diese Radios einen hohen verbraucht, aufgrund der Dekodierung. Analoggeräte laufen Monate und diese nicht mal einen Tag mit Batterien. Nachhaltigkeit scheint auch kein Thema zu sein wenn Milliarden von Empfängern in die Mülltone landen und die Frequenzen mal wieder Konzernen übergeben werden. Nur ein Bundesland hatte den Mut aus dem Desaster DAB+ auszusteigen.

  4. 6.

    Ich stimme ihnen da zu.
    Nur was nützt es wenn wie im Ahrtal niemand informiert, spricht am Mikrophon sitzt, weil die Leute schon im Feierabend sind?
    Einige Gemeinden in Österreich haben darauf reagiert und dort gibt es entsprechende Sendeanlagen in den Gemeindehäusern damit in Notfällen wie zugeschneite Pässe, Lawinenabgänge usw. die Menschen informiert werden.
    In Deutschland hat soetwas halt nicht mehr zu passieren. Basta !

  5. 5.

    Es gibt noch ein weiteren Erfolg von Radio und was gegen KI spricht. Es zeigt sich das Streaming sich nicht wirklich durchsetzen wird, denn wenn sie Amazon Music und co. verwenden müssen sie auswählen was sie hören wollen. Die Dienste verwendeten auch KI um Ihnen Vorschläge zu unterbreiten, diese beruhen aber auch Daten aus ihren Hörgewohnheiten. Sie hören immer die gleiche Suppe, das Radio müssen sie nur anschalten und schon läuft Musik. Auch jene die sich sich nie angehört hätten und an jener haben sie dann womöglich gefallen. Willkommen in ihren persönlichen Blase.

  6. 4.

    Gefährlich, eigentlich skandalös, finde ich die (geplanten) Abschaltungen des ANALOGEN Radioempfangs … ICH meine, sich nur auf das Internet bzw. den DIGITALEN Radioempfang zu verlassen ist bezüglich des Staats- und Katastrophenschutzes höchst fahrlässig … Es braucht Redundanz im Bereich der Informationsversorgung der Bevölkerung … Jederzeit … Meine Meinung.

  7. 3.

    KAB/1340-Antonio Bay.
    Diesen fiktiven Sender aus "The Fog" sehe ich als Zukunftsmodell: klein, autark, begrenzte Reichweite, analog.
    Die ganze Internetkiste wird irgendwann zusammenbrechen, entweder weil der Strom fehlt oder alles vom Staat zensiert wird. Schon Burroughs und Orwell hatten diese Visionen, in denen der Staat vorgibt, den Terrorismus zu bekämpfen, aber nur die Interessen einer Funktionärselite durchsetzen will.
    Radio heißt Risiko, Pleiten, Pannen, heißt Aktualität, heißt Leben. Die KI bestätigt dagegen nur das Vorhandene, den status quo.
    In diesem Sinne: lasst uns die Subversivität des Radios preisen, seine kulturelle Kraft und Subjektivität. KI verblödet alle, alles und jeden!

  8. 2.

    Einseitig? Wissen Sie eigentlich, dass es diverse Sender des rbb gibt? Ich hoffe es. Danke rbb für jeden einzelnen.

  9. 1.

    Gut das es „Radio“ in welcher Form auch immer gibt. Das gibt einem die Möglichkeit nicht nur ihr leider sehr einseitiges Programm zu hören sondern auch über das Internet andere, freie Medien zu empfangen. Ein bisschen wie zu DDR Zeiten wo ihre Vorgängeranstalt SFB oder der Rias für eine andere Sicht der Dinge gesorgt haben.

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