Kritik | Ukrainian Filmfestival Berlin - "In Kriegszeiten braucht es die Filmkunst mehr denn je"

Do 26.10.23 | 10:20 Uhr | Von Barbara Behrendt
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Das Filmtheater Collosseum im Stadtteil Prenzlauer Berg (Quelle: dpa/Carsten Koall).
Audio: rbb24 Inforadio | 26.10.2023 | B. Behrendt | Bild: dpa

Bei der Eröffnung des Ukrainian Filmfestivals wurde den im Krieg getöteten Filmemachern gedacht und das ukrainische Kino gefeiert – das nicht nur Kriegsfilme zu bieten hat. Von Barbara Behrendt

Die Filmkunst in der Ukraine ist derzeit nicht vom Krieg im Land zu trennen. Das zeigte schon die dritte Ausgabe des "Ukrainian Filmfestival Berlin" vergangenen Herbst, und das ist auch bei der Eröffnung der vierten Ausgabe der Fall. "No Time Like Home" heißt das Motto in diesem Jahr, also: "Keine Zeit wie Zuhause". Damit will das Festival die räumliche und zeitliche Dimension von Heimat und Zugehörigkeit ausloten. Ist Heimat nur das Hier und Jetzt? Das ist für die Ukrainerinnen und Ukrainer, deren Land sich im Krieg befindet, eine wichtige Frage.

Viele Kollegen, viele ukrainische Filmemacher, sagt die Schauspielerin Julia Samson, Moderatorin des Eröffnungsabends, haben mit ihrer künstlerischen Arbeit aufgehört und sich der ukrainischen Verteidigung angeschlossen: "Und traurigerweise werden viele von ihnen nicht zurückkommen." Das Publikum erhebt sich gemeinsam in Stille, und betrachtet die Fotos der im Krieg gefallenen Filmemacher, Schauspieler, Produzenten. Die meisten von ihnen junge Männer.

Symbolbild: Filmfestival
Bild: dpa

Harte Zeiten schaffen starke Menschen

Gleichzeitig will das Festival die Widerständigkeit der Menschen und des Kinos feiern. Julia Samson: "Harte Zeiten schaffen starke Menschen. Das zeigt die ukrainische Kultur und Kunst, die trotz aller Herausforderungen, allem Terror und aller Bedrohung gedeiht. Heute feiern wir die ukrainischen Filmemacher:innen und das ukrainische Kino in Berlin."

Auch der anschließende Eröffnungsfilm "Iron Butterflies" von Roman Liubyi zeigt beides: die Filmkunst und den Krieg. In einer hybriden Form zwischen Dokumentation und poetischem Essay versucht der Film, der bereits bei der Berlinale zu sehen war, Licht ins Dunkel um den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 zu bringen – im Juli 2014 waren dabei in der Ostukraine fast 300 Menschen umgekommen, darunter 80 Kinder und eine Gruppe herausragender Aids-Forscher.

Der Eröffnungsfilm: "Iron Butterflies" von Roman Liubyi

"Iron Butterflies" – eiserne Schmetterlinge, das sind die Splitter, die in den Körpern der Piloten und in den Einschusslöchern an den Wrackteilen gefunden wurden. Der Beweis, dass die tödliche Rakete vom Abwehrsystem der russischen Armee abgefeuert worden sein muss.

Roman Liubyi und sein Team fügen zahlreiche Open-Source-Materialien wie Puzzleteile zusammen: Handy-Videos, Telefongespräche, Experten-Analysen. Und, das ist der Verdienst des Films: Sie zeichnen über Nachrichtensendungen die russische Propaganda nach. Erst heißt es, Donezker Streitkräfte hätten verdienstvoll ein Flugzeug der ukrainischen Armee vom Himmel geholt. Als sich das Armee-Flugzeug als Passagiermaschine erweist, sollen es plötzlich die ukrai­ni­schen Streitkräfte gewesen sein. Oder vielleicht auch Aliens.

Der Ton des Films ist beinahe leicht, die Bilder stehen für sich. Und werden ergänzt durch poetische Schwarz-Weiß-Szenen: Eine Frau sitzt auf offenem Feld am Flügel, vor ihr ein Meer aus leeren Stühlen, über ihr ein tanzender Vogelschwarm.

Eine Verbindung von der MH17 zum heutigen Angriffskrieg

Diese Kunstanstrengungen hätte der Film allerdings gar nicht nötig. Denn seine Aussage ist kraftvoll genug: Er legt eine direkte Verbindung nahe, von diesem Abschuss 2014, für den Russland nie wirklich zur Verantwortung gezogen worden ist, hin zur russischen Invasion der kompletten Ukraine 2022.

Noch härterer Stoff ist der Festival-Abschlussfilm "20 Tage in Mariupol", in der Mstyslav Chernov die Hölle der eingeschlossenen Stadt zeigt. Die Bilder sind grauenvoll – und doch hat die Welt nur durch eben diese Aufnahmen von den dortigen Kriegsverbrechen erfahren.

Auch Coming-of-Age-Stoffe stehen auf dem Programm

Aber bis Sonntag stehen nicht nur Filme über den Krieg auf dem Programm, sondern auch Coming-of-Age-Stoffe, Krimis, Biografien, Kurzfilme. Außerdem eine dreiteilige Retrospektive über das Ukrainische Poetische Kino und drei Filme aus Georgien, um sich mit dem dortigen Nationalen Filmcenter zu solidarisieren, dem eine staatliche Umgestaltung droht.

Doch braucht die Ukraine in Kriegszeiten ausgerechnet Filme? Unbedingt, sagt Lilla Puskas vom Medienboard Berlin Brandenburg, Partner des Festivals.

"Ich glaube daran, dass wir in Kriegszeiten die Filmkunst mehr denn je brauchen. Einerseits können Filme unsere Erfahrungen reflektieren, sie können andere mit höchst dringlichen Informationen versorgen. Andererseits können sie uns von unserem Alltag ablenken. Indem sie uns in imaginäre Welten entführen und uns Geschichten erzählen. Gerade in diesen schweren Zeiten blüht die Filmkunst der Ukraine auf."

Die Filme werden in den Kinos Cloosseum, im City Kino Wedding, im ACUD Kino, im Sputnik Kino, im IL Kino und im Mena gezeigt [uffberlin.de/tickets].

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.10.2023, 6.00 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

1 Kommentar

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  1. 1.

    Das ist schon wieder so ein OFF das vermitteln soll - schaut die Filme und ihr seit solidarisch.
    Ausserdem sind ausschlieslich Diese Kunst!
    Wenn ich Schrott oder Müll sehe bleibt es immer noch Schrott oder Müll egal wo er herkommt.
    "Unser" Plastikmüll im Pazifik bleibt unser Plastikmüll im Pazifik.

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